Neues Graduiertenkolleg: Wie werden Übergänge im Lebenslauf gestaltet?

©Fotolia #57340669/Marco2811
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An der Goethe-Universität und an der Universität Tübingen startet ein neues von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über 4,5 Jahre finanziertes Graduiertenkolleg: Zwölf Promovenden und weitere Nachwuchswissenschaftler werden unter dem Thema „Doing Transitions ‒ Formen der Gestaltung von Übergängen im Lebenslauf“ ihre eigenen Projekte realisieren können und werden dabei von sechs Frankfurter und vier Tübinger Professorinnen und Professoren in dem Kolleg betreut. Die beiden Sprecher des Graduiertenkollegs sind der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Andreas Walther (Goethe-Universität) und seine Tübinger Kollegin Prof. Dr. Barbara Stauber.

Übergänge von der Kita bis zum Pflegeheim, die Menschen im Laufe ihres Lebens durchschreiten, werden im Mittelpunkt des gemeinsamen Forschungsinteresses der Promovenden aus den Erziehungswissenschaften, der Soziologie und Psychologie und ihrer Betreuer stehen. Dabei geht um seit Langem institutionalisierte Übergänge, wie Übergänge in Bildung, Arbeit oder Elternschaft. Aber es soll auch die Situation der Migranten besonders berücksichtigt werden: wie der Übergang in einen anerkannten Aufenthaltsstatus, ein neues Bildungssystem oder einen geschlossenen Arbeitsmarkt.

Die Initiatoren des Graduiertenkollegs wollen neue Akzente in der Übergangsforschung setzen, dazu ihr Sprecher, Andreas Walther: „Bisher ist diese Forschung sehr stark den institutionalisierten Lebensaltersphasen gefolgt. Diese Studien fragen zumeist nach den Ursachen, wenn ein Lebenslauf von den Normalverläufen abweicht und nach dem Scheitern der institutionellen Vorgaben.“ So lasse sich die Reproduktion der sozialen Ungleichheit nicht ausreichend analysieren, heißt es in dem DFG-Antrag der Frankfurter und Tübinger Wissenschaftler. „Wir wollen das Wie bei der Gestaltung der Übergänge genauer erforschen, das Kreative und Dynamische sichtbar machen und die Normalitätsannahmen hinterfragen“, betont der Frankfurter Erziehungswissenschaftler.

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Wechselspiel von öffentlichen Diskursen, Institutionen und Individuen

In dem neuen Graduiertenkolleg werden sich die Forscherinnen und Forscher in ihren Einzelprojekten besonders das Wechselspiel von drei unterschiedlichen Ebenen, die diese Übergänge wesentlich mitbestimmen, anschauen: öffentliche Diskurse, Institutionen im Bildungs-, Arbeits- und Sozialwesen und die individuellen Akteure. Da sind zunächst die öffentlichen Diskurse: Welche Anforderungen werden an Menschen in solchen Übergängen gestellt (z.B. an Eltern, die Beruf und Kinder miteinander vereinbaren müssen); wie werden Erfolg und Scheitern (z.B. Schulabbruch) gesellschaftlich beurteilt, welche Risiken (z.B. das Pflegerisiko bei Hochaltrigen) werden öffentlich debattiert? Im zweiten Bereich geht es darum, wie Übergänge auf den verschiedenen institutionellen Ebenen angegangen und reguliert werden – beispielweise: Wie ist der Schritt von der Krabbelstube zur Kita pädagogisch abgefedert?

Wie wird Inklusion beim Wechsel von einer Schulstufe zur nächsten umgesetzt? Sind Universitäten in der Lage Studierende mit unterschiedlichen Voraussetzungen erfolgreich in der Startphase zu begleiten? Wie geht der Arbeitsmarkt mit Langzeitarbeitslosen um? Und im dritten Bereich beschäftigen sich die Wissenschaftler mit den Individuen: Dabei geht es einmal um die Akteure, die sich in einem Übergang von einer zur anderen Lebensphase befinden: Wie erleben sie ihre persönlichen Lern- und Bildungsprozesse? Wie eignen sie sich Bewältigungsstrategien an, wie gehen sie damit um, sich neuen Herausforderungen zu stellen und Entscheidungen treffen zu müssen? Wie werden sie von den öffentlichen Diskursen und den Bildungsinstitutionen beeinflusst? Es werden aber auch die Personen in Forschung einbezogen, die mittelbar mit Übergängen zu tun haben: beispielsweise Eltern, deren Leben sich auch gravierend ändert, wenn Kinder eingeschult werden, oder Berufstätige, die ihre Eltern begleiten beim Übergang vom selbstbestimmten Leben in die Pflegebedürftigkeit.

©Fotolia #79953525/Robert Kneschke
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Einige exemplarische Forschungsfrage für Dissertationsprojekte haben die Wissenschaftler bereits formuliert – „damit wollen wir nichts präjudizieren, sondern nur zu weiteren Ideen animieren“, so Walther. Hier zwei Beispiele: Wie haben sich die Erwartungen an Mütter und Väter geändert, wenn es darum geht, ihre Kinder bei den Übergängen zu begleiten? Stehen diese Veränderungen in Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Entwicklungen und Normalitätsdiskursen? Oder: Wie und warum entscheiden sich Individuen im Alter für eine bestimmte Wohnform? Welche Strategien der Alltagsbewältigung entwickeln sie nach dem Umzug? Welche lokalen Bedingungen spielen für die Bewältigung dieses Übergangs eine Rolle? Wie wirkt die individuelle auf die institutionelle und kommunale Ebene zurück?

Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihre Forschungsschwerpunkte

Von der Goethe-Universität sind an dem Graduierten-Kolleg neben Prof Walther beteiligt: Prof. Dr. Sabine Andresen, Prof. Dr. Birgit Becker, Prof. Dr. Barbara Friebertshäuser, Prof. Dr. Christiane Hof und Prof. Frank Oswald. Sabine Andresen forscht zu Übergängen in der Kindheit, etwa in die Grundschule, wobei Diskurse zu Kindheit, die familiale Einbettung dieses Übergangs, seine strukturellen Rahmenbedingungen sowie das subjektive Wohlbefinden der Kinder im Fokus stehen. Birgit Becker beschäftigt sich aus bildungssoziologischer Perspektive zu Bildungsentscheidungen und Bildungsungleichheit an Übergängen in die Grund- und weiterführende Schule. Im Fokus sind bei ihr Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund.

Barbara Friebertshäuser untersucht sowohl den Studienbeginn als Übergang als auch die Gestaltung von Übergängen in der Ganztagsschule unter dem Aspekt der Ritualisierung sowie geschlechterbezogener Strukturierungen. Christiane Hof analysiert Übergänge im Erwachsenenalter, etwa die Familiengründung, aus einer Lernperspektive und mit Blick auf das Wechselverhältnis zwischen diskursiven, bildungspolitischen, pädagogischen und biografischen Aspekten des lebenslangen Lernens. Frank Oswald forscht aus entwicklungspsychologischer Perspektive zur Ausdifferenzierung von Übergängen ins und im Alter im Verhältnis zwischen Person und ihrer Umwelt. Ein zentraler Fokus liegt auf der Gestaltung von Wohnsituationen. Andreas Walther untersucht Übergänge Jugendlicher und junger Erwachsener in Bildung und Beschäftigung und analysiert international vergleichend Interaktionen zwischen institutioneller und individueller Ebene.

Die Nachwissenschaftler für das Graduiertenkolleg werden in den kommenden Monaten für eine der zwölf Promotionsstellen ausgewählt. Das Promotionsprogramm, das mit insgesamt vier Millionen Euro von der DFG unterstützt wird, begleitet die Promotions- und Postdoc-Phase der jungen Wissenschaftler über drei Jahre mit verschiedenen inhaltlichen und organisatorischen Angeboten – mal in Frankfurt, mal in Tübingen. Weiteres Ziel ist es den Kollegiaten Zusatzqualifikationen zu vermitteln, die ihnen sowohl den Wechsel in eine wissenschaftliche Laufbahn als auch für Tätigkeiten außerhalb der Hochschulen erleichtern.

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