Partnerschaft auf Abstand: tiefgekühlte Helium-Moleküle

Atomphysiker um Reinhard Dörner haben die Bindungslänge des exotischen Moleküls vermessen. Damit gelang ihnen ein präziser Test des quantenmechanischen Tunneleffekts.

Helium-Atome sind Einzelgänger. Nur wenn man sie stark abkühlt, bilden sie ein sehr schwach gebundenes Molekül. Dank des quantenmechanischen Tunneleffekts können sie dabei einen extrem großen Abstand voneinander halten. Wie Frankfurter Atomphysiker jetzt bestätigen konnten, sind sie über 75 Prozent der Zeit so weit voneinander entfernt, dass ihre Bindung sich nur noch durch den quantenmechanischen Tunneleffekt erklären lässt.

atomi2Die Bindungsenergie im Helium-Molekül beträgt nur etwa ein Milliardstel der Bindungsenergie alltäglicher Moleküle wie Sauerstoff oder Stickstoff. Das Molekül ist außerdem so riesengroß, dass kleine Viren oder Rußpartikel zwischen den Atomen hindurch fliegen könnten. Physiker erklären dies durch den quantenmechanischen „Tunnel-Effekt“. Sie veranschaulichen die Bindung in einem klassischen Molekül durch eine Potentialmulde. Weiter als bis zu den „Wänden“ dieser Mulde können die Atome sich nicht voneinander entfernen. Doch in der Quantenmechanik dürfen die Atome auch in die Wände hinein tunneln.

„Das ist, wie wenn jeder auf seiner Seite einen Stollen ohne Ausgang gräbt“, erklärt Prof. Reinhard Dörner vom Institut für Kernphysik an der Goethe-Universität.

Die Arbeitsgruppe von Dörner hat diese Helium-Moleküle in einem Experiment hergestellt und mithilfe des an der Goethe-Universität entwickelten COLTRIMS-Reaktionsmikroskops untersucht. Hierbei hat sie die Stärke der Bindung mit bislang unerreichter Präzision ermittelt und den Abstand der beiden Atome im Molekül vermessen. „Das Helium-Molekül stellt so etwas wie einen Prüfstein für quantenmechanische Theorien dar, denn der theoretisch vorhergesagte Wert der Bindungsenergie hängt empfindlich davon ab, wie gut alle physikalischen und quantenmechanischen Effekte berücksichtigt wurden“, erklärt Dörner.

Selbst die Relativitätstheorie, die sonst hauptsächlich für astronomische Berechnungen benötigt wird, müsse hier einbezogen werden. „Unterläuft ein kleiner Fehler, so ergeben die Rechnungen große Abweichungen oder besagen gar, dass ein Helium-Molekül überhaupt nicht existieren kann“, so Dörner. Die von seiner Gruppe durchgeführten Präzisionsmessungen werden als Vergleichswert für zukünftige Experimente dienen.

Zwei Jahre Messungen im Keller

Mit der Untersuchung des Helium-Moleküls begann die Arbeitsgruppe von Dörner bereits 2009, als die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihm ein mit 1.25 Millionen Euro dotiertes Koselleck-Projekt bewilligte. „Ein Förderung dieser Art entspricht quasi einem Risikokapital, mit dem die DFG Experimentreihen unterstützt, die einen langen Atem brauchen“, erklärt der Atomphysiker. So konnte er mit seiner Gruppe die ersten Experimente entwerfen und aufbauen. Erste Ergebnisse erzielte Dr. Jörg Voigtsberger im Rahmen seiner Doktorarbeit. „Auf der Suche nach Atomen, die ‚im Tunnel leben‘, verbrachte Jörg Voigtsberger zwei Jahres seines Lebens im Keller“, erinnert sich Privatdozent Till Jahnke, der damalige Betreuer. Dort, im Keller, befindet sich das Laserlabor der Frankfurter Atomphysikgruppe.

Stefan Zeller, der nächste Doktorand, konnte die damalige Apparatur mit Hilfe von Dr. Maksim Kunitski nochmals entscheidend verbessern und die Messgenauigkeit weiter erhöhen. Dazu musste er unter anderem mit der größten „Photonenkanone“, die es in Deutschland gibt, dem „Freie-Elektronen-Laser FLASH“ am Forschungszentrum DESY in Hamburg, auf die extrem schwach gebundenen Helium-Moleküle schießen. „Stefan Zeller hat Beeindruckendes geleistet. Seine unermüdliche Arbeit, sein großes experimentelles Geschick und seine Fähigkeit, sich von temporären Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen, haben diesen Erfolg überhaupt erst möglich gemacht“, kommentiert Zellers Doktorvater Prof. Dörner.

Ein Teil des Teams, das die Messungen durchführte. Von rechts nach links: Till Jahnke, Stefan Zeller, Markus Schöffler, Christian Janke, Martin Richter, Maksim Kunitski, Alexander Hartung Foto: Janine Gatzke
Ein Teil des Teams, das die Messungen durchführte. Von rechts nach links: Till Jahnke, Stefan Zeller, Markus Schöffler, Christian Janke, Martin Richter, Maksim Kunitski, Alexander Hartung; Foto: Janine Gatzke

Die Ergebnisse fanden bereits im Vorfeld international und national hohe Beachtung. Sie erscheinen nun in der renommierten Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) und bilden außerdem einen Teil der Forschungsarbeiten, für welche die Gruppe mit dem Helmholtz-Preis 2016 ausgezeichnet wurde.

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Publikation: S. Zeller, M. Kunitski, J. Voigtsberger, A. Kalinin, A. Schottelius, C. Schober, M. Waitz, H. Sann, A. Hartung, T. Bauer, M. Pitzer, F. Trinter, C. Goihl, C. Janke, M. Richter, G. Kastirke, M. Weller, A. Czasch, M. Kitzler, M. Braune, R. E. Grisenti, W. Schöllkopf, L. Ph. H. Schmidt, M. Schöffler, J. B. Williams, T. Jahnke, and R. Dörner: Imaging the He2 quantum halo state using a free electron laser, in: PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1610688113.
Zur Online Publikation
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