Carolin Emcke: Wo sind Risse in der monolithischen Erzählung?

Foto: Anna Schramowski, Cornelia Goethe Centrum

Carolin Emcke beschloss die Reihe »Wer hat Angst vor Gender?« des Cornelia Goethe Centrums.

Kein Platz war mehr frei im Festsaal im Casino-Gebäude. Dabei hat sich Carolin Emcke erst gründlich überlegen müssen, ob sie überhaupt als Referentin in die Vortragsreihe „Wer hat Angst vor Gender?“ passe, sagt sie. Schließlich sei sie keine Gender-Theoretikern, eigentlich überhaupt keine Theoretikerin. Aber vielleicht kamen gerade deshalb so viele Menschen, die ihr zuhören wollten. Carolin Emcke ist Publizistin und Autorin. Gebürtig in Nordrhein-Westfalen, hat sie an der Goethe-Universität, aber auch an der London School of Economics und an der Harvard-Universität Philosophie, Politik und Geschichte studiert.

Bei Axel Honneth wurde sie mit der Arbeit „Kollektive Identitäten: sozialphilosophische Grundlagen“ promoviert. Seitdem war sie für „Spiegel“ und „Zeit“ viel in den Krisengebieten der Welt unterwegs und ist heute als freie Autorin u. a. für die „Süddeutsche Zeitung“ tätig. Für ihre publizistische Tätigkeit hat Emcke 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.

»Feindliches Klima gegenüber Minderheiten«

„Gegen den Hass“ heißt ihr neuestes Buch, daran knüpfte sie in ihrem Vortrag an. Dass sie der Einladung des Cornelia GoetheZentrums, an ihrer Alma mater zu sprechen, letztlich doch gefolgt war, habe einen Grund: Selbst queer und lesbisch, müsse sie immer wieder mit Zuschreibungen leben wie „cruist gern im Baumarkt“, „ist streitbar“ oder ähnlichem. Diese Zuschreibungen seien ihre Qualifikation als Vortragende, denn sie beobachte ein zunehmend feindliches Klima gegenüber Minderheiten, das sie auch persönlich betreffe.

„Gegen den Hass“ lautete denn auch der Titel des Vortrags, versehen mit dem Zusatz „oder: Die Ordnung der Reinheit“. Carolin Emcke beobachtet eine weltweite Tendenz, Heterogenität mit dem Verweis auf eine vermeintliche ursprüngliche Ordnung abzulehnen. Das Früher wird als ein Zustand der Reinheit, der Natürlichkeit, der Authentizität geschildert, der nun verweichlicht, verweiblicht, verrucht werde.

Die eigene Gruppe, so versprächen die Wortführer, sei jedoch durch entsprechende Maßnahmen in der Lage, den Urzustand wieder herzustellen. „Darin unterscheidet sich Höcke nicht vom IS“, postulierte Emcke. Und noch eine Gemeinsamkeit hat die Publizistin weltweit beobachtet – eine Metaphorik, die sich vor allem biologistischer Vorstellungen bedient: Der „gesunde Volkskörper“ werde durch „das Andere“ gefährdet, angesteckt, kontaminiert.

In Deutschland sei diese Haltung zu beobachten zum Beispiel, wenn es um das Kopftuch von Musliminnen gehe. „Dabei hüpft das Kopftuch doch nicht von einem Kopf auf den anderen“, so Emcke. Zugleich aber würden die Mechanismen der Abwertung und Ausgrenzung geleugnet und versucht, Diskriminierung und Herabsetzung als Normalität zu etablieren. Einen Beitrag dazu leisteten Talkshows, die im Zeichen des Pluralismus „jeden Dreck“ einlüden, „als gäbe es keine Grenzen der Meinungsfreiheit“.

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ – mit Sätzen wie diesen werde versucht, Diskriminierung salonfähig zu machen. Der Abbau von Diskriminierung jedoch werde als Übergriff gewertet, „als wären Menschenrechte ein Nullsummenspiel, als gäbe es eine Obergrenze für Grundrechte“.

»Genaues Hinsehen, Reden und Erklären«

Doch was sind die Ursachen für die wachsenden Ressentiments? Was, wenn im einen oder anderen Fall tatsächlich Ängste oder Unwissenheit zugrunde liegen? Wenn es nicht gerade um offenen Hass und Zorn geht, plädierte Emcke für genaues Hinsehen, Reden und Erklären. Als Beispiel nannte sie eine Illustration zur „Kölner Silvesternacht“, die in einer großen Tageszeitung erschienen ist:

Eine schwarze Hand greift nach einer weißen Schamzone. Sie habe die Redaktion auf den Rassismus aufmerksam gemacht und damit große Bestürzung ausgelöst – und eine Entschuldigung. Auch sie selbst sei nicht immer vor Vorurteilen gefeit, wie sie nach einem Besuch im Haus einer religiösen Familie feststellen musste: Die versammelten Frauen hatten ihr den Handschlag nicht etwa deshalb verweigert, weil sie homosexuell ist, sondern weil sie sich nicht sicher waren, es nicht doch mit einem Mann zu tun zu haben.

Auch wenn es hermeneutisch irrelevant sei, ob eine Verletzung bewusst geschehe oder nicht, sei es trotzdem richtig zu fragen, warum jemand etwas Bestimmtes sagt oder tut. Wo sind Risse in der monolithischen Erzählung? Dort könne man ansetzen. Um dem Hass entgegenzutreten, reiche es nicht mehr, auf Diskriminierung hinzuweisen. Man müsse das Gespräch suchen, wobei zugleich Erfahrungen sichtbar und Gemeinsamkeiten benannt werden sollten.

Emcke forderte mehr spielerische Kritik, ohne die ständige Angst, etwas falsch zu machen. Zugewandtheit und Kritik erforderten jedoch Kraft und Geduld. „Anger is a bitter lock, but you can turn it“, zitierte Emcke abschließend die kanadische Autorin Anne Carson.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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