„Man ist in den USA an Schlammschlachten dieser Art gewöhnt“

blog_trump-interview-puhleDer Politikwissenschaftler Hans-Jürgen Puhle über den aktuellen Präsidentschaftswahlkampf in den USA.

Herr Professor Puhle, wie haben Sie das zweite Fernsehduell zwischen Clinton und Trump gesehen?

Puhle: Beide Fernsehdebatten haben eigentlich nicht viel Neues gebracht. Es wurden aber vor einem großen Publikum die Fronten geklärt. In der Würdigung der Medien hat Clinton beide Debatten ‚gewonnen‘ und nach der ersten Runde in den Umfragewerten etwas zugelegt auf Kosten der Unentschlosssenen. Die hardcore Trumpisten sind aber nicht weniger geworden. Ob die zweite Debatte einen ähnlichen Effekt auslösen wird, werden wir erst in ein bis zwei Wochen wissen, aber ich halte es für wahrscheinlich.

Aus europäischer Sicht sind Trumps Verfehlungen kaum zu fassen. Dass er nach dem geleakten Video aus dem Jahre 2005, in dem er extreme frauenfeindliche und sexistische Sprüche äußert, nicht einen Rücktritt von seiner Kandidatur in Betracht zieht, versteht man hier kaum.

Das ist eine typisch europäische Sicht auf die Dinge – in den USA sieht man das anders, auch in den Medien. Das liegt auch daran, dass man Schlammschlachten dieser Art schon lange gewöhnt ist. Schon  die Wahlkämpfer von Thomas Jefferson haben im Wahlkampf 1800 mit Erfolg unter der Gürtellinie argumentiert und schräge Gerüchte gestreut, so wie auch noch die Agenten von Karl Rove, dem spin doctor der Republikaner, in den Wahlkämpfen seit 2004. Dass dies alles heute noch bösartiger, radikaler und vulgärer überkommt, hat auch viel mit der Netzwerklogik der sozialen Medien zu tun, die die fundamentalistischen und populistischen Radikalisierungen verstärkt. Die Trump-Anhänger schreckt sein Stil jedenfalls nicht ab, und Trump hat wohl recht gehabt mit seiner Bemerkung, dass er mitten auf der Fifth Avenue jemanden erschießen könnte und dennoch keine einzige Stimme verlieren würde.

Gleichwohl spürt man, dass in den USA der Protest gegen Trump schärfer wird: So hat beispielsweise der Schauspieler Robert de Niro in einer Videobotschaft recht drastisch verkündet, Trump „eins in die Fresse zu hauen“.

Viele Intellektuelle und Künstler, und auch andere, die mehr ‚europäisch‘ denken, gemässigter sind oder einfach mehr vom politischen Geschäft verstehen – darunter auch einige  vernünftige und nicht restlos opportunistisch gewordene Republikaner – können sich jetzt sicher etwas mehr Gehör verschaffen. Aber man darf eines nicht übersehen: Wenn in Europa  die Intellektuellen so aufschreien würden, wäre das politisch relevant. In den USA ist es aber relativ bedeutungslos.

Aber Trump hat die amerikanische Gesellschaft gespalten, muss man konstatieren.

Die Spaltung der Gesellschaft hat nicht mit Trump angefangen, sondern viel früher. Haupttriebkraft ist hier die Republikanische Partei gewesen, die seit der Reagan-Präsidentschaft in den 80er Jahren radikale, intransigente und fundamentalistische Positionen politisch salonfähig gemacht hat. Deren Vertreter haben dann seit dem Sieg bei den Kongresswahlen 1994 zunehmend die Partei übernommen und deren Politik fundamentalisiert, bis hin zu extremer politischer Polarisierung, moralisch aufgeladenem Freund/Feind-Denken und kompletter Blockade der Institutionen. Dafür stehen z.B. diverse Verweigerungen der Haushaltsbewilligungen, das überdrehte Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton und in den letzten Jahren vor allem der fundamentalistische und intransigente Widerstand der Tea Party-Bewegung gegen die Politik Obamas. Diese Leute haben die Republikanische Partei als Geisel genommen und sie, jedenfalls in Washington, kompromiss- und politikunfähig gemacht. In dieses Vakuum konnte Trump mühelos hineinstossen mit seinem radikalen Protest gegen die etablierte Politik. Dabei hat er sowohl das Parteiestablishment wie auch die Tea Party-Leute und andere Ideologen ausgespielt und an den Rand gedrängt.

Nach dem geleakten Video wurde aber auch Kritik an Trump aus den Reihen der Republikaner Trump laut – ist das ernst zu nehmen?

Das ist überwiegend Opportunismus. Die Republikanische Basis wollte Trump, und sie haben ihn bekommen. Auch die meisten seiner Gegner  haben sich mit ihm arrangiert und sind auf den Zug aufgesprungen, um von Trumps Wählermobilisierung und Medienaufmerksamkeit zu profitieren. Entgegen früheren Gerüchten hat weder der Parteiapparat Trumps Nominierung verhindern können, noch haben sich die grossen Geldgeber zurückgezogen. Und es ist auch kein anderer als ‚unabhängiger‘ Kandidat in den Ring gestiegen. Selbst sein stärkster Gegner Ted Cruz und Speaker Paul Ryan haben sich, nach einigen Eiertänzen, hinter Trump gestellt. Erst jetzt, nach diesem geleakten Video, wo die Wähler in Scharen davonzulaufen drohen, distanzieren sich einige von ihm, um nicht in diesen Strudel gerissen zu werden.

Trump hat im Wahlkampf auf bislang ungekannte Weise gegen viele Minderheiten agitiert. Dies ist aus europäischer Sicht umso erstaunlicher, als doch gerade an amerikanischen Universitäten mit Verve der Minderheitenschutz betrieben wird, was manchmal seltsame Blüten treibt. 

Das hat natürlich mit unterschiedlichen kulturellen Rahmenbedingungen zu tun: An den amerikanischen Unis wird das Gemeinschaftsleben nicht von den Graduate Schools, sondern von den Colleges geprägt. Und dort werden die Studierenden ja noch als recht unselbstständige Schüler betrachtet, um die sich auch die Eltern noch kümmern (was nebenbei gesagt in Deutschland auch gerade zunimmt). Von daher gibt es in den USA diese Beschützerinstinkte in den Institutionen. Und auch das amerikanische Recht sieht handfeste Kompensationen vor, wenn ein Erstsemester geltend machen kann, dass seine Seele durch die Vorlesung Schaden genommen hat. Gerade in den Cultural oder Postcolonial Studies  kann man kaum noch ohne Warnung ein Seminar zum Thema Sklaverei anbieten, weil ein/e Studierende/r sich bei der Vorstellung dieses unsäglichen Elends schlecht fühlen könnte. Vor diesem Hintergrund hat Trumps Feldzug gegen die Political Correctness auch viel Resonanz gefunden.

Hillary Clinton müsste eigentlich vom schlechten Image ihres Konkurrenten viel stärker profitieren, aber sie ist auch umstritten. Würde sie es als Präsidentin schwer haben, die Gesellschaft wieder zu einen?

Nicht schwerer als andere, die schon mal Präsident waren. Sie ist eine gelernte und kluge Politikerin, vielleicht keine geborene Versöhnerin. Sie könnte das aber lernen und Leute um sich scharen, die das besser können. Trump dagegen kann das Land sicherlich nicht versöhnen, Polarisieren gehört bei ihm zum Geschäftsmodell. Man muss im Augenblick eine gewisse Schieflage in der Debatte konstatieren: In amerikanischen Medien wird mit zweierlei Maß gemessen. Während bei Clinton jede Kleinigkeit durchleuchtet wird, was sie wo und von wem bekommen hat, obwohl sie alles ordnungsgemäß versteuert hat, darf sich Trump die größten Frechheiten erlauben, bis hin zu Gesetzesbrüchen und Aufforderung zur Gewalt, ohne dass ihm das schadet. Ich wundere mich auch bei meinen Gesprächen mit Amerikanern, wie viele Hillary Clinton nicht ausstehen können. Woran das am Ende liegt, weiß ich nicht. Das traditionelle Establishment möchte wohl keine Frau an der Spitze und sucht nach jedem Argument, das man kriegen kann.

Würden Sie eine Prognose wagen, wer am Ende das Rennen machen wird?

Clinton hat jetzt einen Vorsprung von ungefähr fünf Prozentpunkten, was nicht sehr viel ist. Das ist sowohl ausbaufähig als auch grundsätzlich– gerade noch – aufholbar für Trump. Aber im Electoral College stehen Clintons Chancen besser, weshalb die Buchmacher und gurus ihr im Moment eine Siegeschance von über 80% geben.  Ich denke (und hoffe), dass sie es schaffen wird. Aber in der Politik sind vier Wochen eine sehr lange Zeit.

Die Fragen stellte Dirk Frank.

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