Erwachsenwerden in einer Welt mit Risiken

Abeer, 12 Jahre, Israel
© Carolin Schüten

Erwachsenwerden in einer Welt mit Risiken ist für viele junge Menschen mit hohen Anforderungen verbunden. Zwar gibt es teils größere Freiräume und Optionen, aber auch viele Unwägbarkeiten. In etlichen Teilen der Welt sind die Lebensbedingungen noch dazu von Krisen oder gar traumatisierenden Verhältnissen geprägt. Aber auch unter weniger belasteten Voraussetzungen dauert es länger, bis junge Menschen ihren Platz im Leben gefunden haben. Die Adoleszenz, Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein, reicht häufig bis weit ins dritte Lebensjahrzehnt. Diese Tendenz, doch auch der bei Erwachsenen zu beobachtende Trend, betont jugendlich aufzutreten, verändern das Verhältnis zwischen den Generationen.

Mit diesen und weiteren Themen beschäftigt sich die interdisziplinäre Tagung „Adoleszenz in einer Welt der Risiken“. Die „Joseph Sandler Psychoanalytic Research Conference“ findet vom 3. bis 5. März auf dem Campus Westend der Goethe-Universität statt, erwartet werden mehr als 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie therapeutisch Tätige und Studierende. Ausgerichtet wird die internationale Konferenz vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut in Kooperation mit der International Psychoanalytic Association (IPA), der Goethe-Universität, dem interdisziplinären Forschungszentrum „Individual Development and Adaptive Education of Children at Risk“ (IDeA) sowie der Universität Kassel.

Halima, 12 Jahre, Sudan
© Carolin Schüten

„Die wissenschaftlichen Herausforderungen liegen darin, Folgen gesellschaftlichen Wandels für psychische Entwicklungsprozesse der Adoleszenz differenziert herauszuarbeiten. Die psychoanalytisch orientierte Forschung bietet hierzu aufschlussreiche Zugänge und Befunde“, so Vera King, eine der Organisatorinnen der Tagung, Professorin für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe-Universität, die seit Ende 2016 gemeinsam mit Prof. Patrick Meurs von der Universität Kassel und Prof. Heinz Weiß vom Robert-Bosch-Klinikum Stuttgart das Sigmund-Freud-Institut leitet. Vera King wird den Kongress am Freitag (3. März) um 15 Uhr mit einem Vortrag zur Generationendynamik der Adoleszenz eröffnen.

Das Thema Adoleszenz muss aus verschiedenen Perspektive betrachtet werden, sind die Veranstalter überzeugt. Daher finden sich Beiträge aus Psychoanalyse, Entwicklungspsychologie, Sozial-, Kultur- und Erziehungswissenschaften, Ethnologie und Medizin mit Psychosomatik und Neurowissenschaft. „Dies entspricht der Tradition der Sandler Psychoanalytic Research Conferences, sich diszplinübergreifend auszutauschen“, so die Mitorganisatorin Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber, die bis Herbst 2016 Direktorin am Sigmund-Freud-Institut war.

Johan, 12 Jahre, Spanien
© Carolin Schüten

Weltweit wachsen Jugendliche oder junge Frauen und Männer in gesellschaftliche Verhältnisse hinein, die geprägt sind von sehr ungleichen Chancen und Risiken. Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Heranwachsende erwachsen werden müssen, haben sich erheblich verändert. Sie müssen sich diesen neuen Herausforderungen stellen und die Aufgabe meistern, sich von der Welt der Kindheit innerlich zu verabschieden und körperlichen, kognitiv-mentalen und emotionalen oder bindungsbezogenen Veränderungen in ihr Leben zu integrieren. Ein Beispiel für den Wandel ist die wachsende Bedeutung der digitalen Kommunikation, die noch genauer zu erforschen ist.

Im Mittelpunkt der Frankfurter Tagung stehen aktuelle Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zur Adoleszenz, die besonders die gesellschaftlich-kulturellen und individuell-psychischen Ebenen im Blick haben, aber auch Schlussfolgerungen für die klinische Praxis ziehen. Dabei geht es u.a. um Folgen von Traumata für die Adoleszenz, um Flucht und Migration, um Ursachen und Behandlung adoleszenter Destruktivität und die Fragen: Welche Folgen hat die Entgrenzung der Jugendphase? Wie kann der Begriff der Ablösung gefasst werden, wenn sich die Bindung an die Elterngeneration in einigen sozialen Milieus eher verlängert zu haben scheint? Inwiefern lassen sich Entwicklungskonzepte der Adoleszenz junger Männer und Frauen auf unterschiedliche Regionen dieser Welt übertragen? Unter welchen Bedingungen können kreative Potenziale der Adoleszenz wirksam werden?

Paul, 11 Jahre, Deutschland
© Carolin Schüten

Einige Vortragsthemen und Referenten der Tagung: Prof. Mark Solms (Kapstadt/London) und Prof. John Clarkin (New York) diskutieren, welchen Beitrag die Psychoanalyse leistet, um den Relationen von Körper, Psyche und Geist auf die Spur zu kommen. Dr. Werner Bohleber, Psychoanalytiker aus Frankfurt, befasst sich mit der Psychoanalyse der Spätadoleszenz und des jungen Erwachsenenalters. Prof. Tilmann Habermas und Alice Graneist, Arbeitsbereich Psychoanalyse an der Goethe-Universität, werden erläutern, welche Bedingungen notwendig sind, um die Fähigkeit zur Emotionsregulierung zu entwickeln. Daran anschließend stellt der Schweizer Psychoanalytiker Prof. Dieter Bürgin (Basel) eine Fallstudie der Adoleszenten-Behandlung vor. Prof. Clara Raznoszczyk de Schejtman (Buenos Aires) zeigt die Folgen traumatischer Erfahrungen für adoleszente Entwicklungen in Argentinien auf. Dr. Christoph Schwarz (Marburg) erläutert die sozialen und politischen Entwicklungsbedingungen junger Menschen in Nordafrika anhand von Fallstudien aus Marokko.

Stefanie, 12 Jahre, Brasilien
© Carolin Schüten

Abschließend befasst sich der aus Belgien stammende Kinder- und Jugendanalytiker Prof. Patrick Meurs (Sigmund-Freud-Institut und Universität Kassel/Leuven) mit den hochaktuellen Fragen nach den Ursachen und Formen von Radikalisierungsprozessen bei Adoleszenten. „Islamistische Gruppierungen wenden sich zum Beispiel über das Internet an Jugendliche, die mit ihren spezifischen Unsicherheiten und eigenen Verstörungen, Nöten und Verletzungen besonders empfänglich sind für die Botschaften der Radikalen“, so Meurs.

Im Rahmen der Konferenz wird der Züricher Ethnologe und Psychoanalytiker, Privatdozent Dr. Mario Erdheim, einen öffentlichen Vortrag zum Thema „Adoleszenz, Entwicklungsrisiken und Zweizeitigkeit“ halten.

https://aktuelles.uni-frankfurt.de/event/adoleszenz-entwicklungsrisiken-und-zweizeitigkeit/

In seinem Vortrag wird es darum gehen, das anthropologische Konzept der „Zweizeitigkeit“ der menschlichen Entwicklung, das bisher eher oberflächlich behandelt worden ist, in seiner Relevanz für das Verständnis der Adoleszenzkrise herauszustellen. Mario Erdheim nimmt dabei auch Freuds Annahme auf, wonach es die „Verspätung der Pubertät“ sei, die den Menschen kulturfähig werden lasse, aber auch die Neigung zur Neurose mit hervorbringe. Erdheim untersucht insofern auch den Zusammenhang zwischen Kulturkrise und Adoleszenzkrise.

Yossef, 11 Jahre, Israel
© Carolin Schüten

Die Tagung wird flankiert von der zeitgleich eröffneten Ausstellung „Like all but me“ am Sigmund-Freud-Institut, Myliusstraße 20, 60323 Frankfurt. Carolin Schüten, Kölner Fotografin und Künstlerin, zeigt eine Auswahl ihrer seit 2006 analog entstandenen Schwarz-weiß-Portraits von Jugendlichen aus der ganzen Welt. Die Bilder entstammen ihrem Fotobuch „Like All But Me“ (Ketteler-Verlag 2015), weitere Informationen unter www.schueten.de. Das Programm finden Sie unter: www.sigmund-freud-institut.de.

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Das Buch zur Ausstellung:

„Like All But ME“, Kettler Verlag 2015, 128 Seiten, 36 Euro

Carolin Schüten zeigt 70 ausgewählte Bilder aus ihrer Porträtreihe über Heranwachsende im Alter von zehn bis 14 Jahren. Die Fotografien entstanden zwischen 2006 und 2014 auf vier verschiedenen Kontinenten. Die Jugendlichen kommen aus unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontexten. Die Arbeit von Carolin Schüten fokussiert den bedeutsamen Moment des Übergangs von der Kindheit ins Erwachsenenleben. „Ich kann mich nicht erinnern, eine vergleichbare Arbeit, eine solche Bebilderung dieser Umschlagsmomente je gesehen zu haben“,  so Prof. Dr. Vera King von der Goethe-Universität.

Die Fotografin zu ihrer Arbeitsweise: „Ich nahm meine Hasselblad und viele Rollen Schwarz-Weißfilm auf jede Reise mit, um Situationen für Portraits zu suchen. Ich kreierte immer ähnliche Bedingungen beim Fotografieren, um einen seriellen Charakter und eine Vergleichbarkeit zu erreichen. Die meisten Jugendlichen begegneten mir unbefangen und ermöglichten mir, sie unverstellt und sehr offen im Ausdruck zu fotografieren.“ Carolin Schüten wurde 1957 in Krefeld geboren. Sie studierte Fotografie am Brooks Institute of Photography, Santa Barbara und am Art Center College of Design, Los Angeles. Sie arbeitet als freischaffende Fotografin und Künstlerin und lebt mit ihren beiden Söhnen in Köln.

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