Der Paul Ehrlich-Preis 2025 würdigt die Entdeckung eines Signalwegs im Immunsystem

Die Ärztin Andrea Ablasser, der Virologe Glen Barber und der Biochemiker Zhijian J. Chen erhalten am 14. März 2025 in der Frankfurter Paulskirche den renommierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis. Ihr Verdienst: die Entdeckung des cGAS-STING-Signalwegs, der wie eine Alarmanlage in unseren Zellen funktioniert. Diese Erkenntnis hat das Verständnis des angeborenen Immunsystems auf eine neue Grundlage gestellt und eröffnet neue Ansätze zur Behandlung von Krebs, Autoimmunerkrankungen und Infektionen. Mit 120.000 Euro dotiert und international hoch angesehen, zählt die Auszeichnung zu den bedeutendsten in der Medizin.
Manche Momente in der Wissenschaft wirken wie ein Funke und weisen eine neue Richtung. Die Entdeckung des cGAS-STING-Signalwegs ist ein solcher Moment. Sie zeigt, wie Neugier und Beharrlichkeit in der Grundlagenforschung den Weg zu bahnbrechenden Therapien ebnen.
Von der molekularen Entdeckung zur medizinischen Revolution
Die Geschichte dieser Entdeckung beginnt jedoch nicht erst im 21. Jahrhundert, sondern bereits mit der Rede von Ilya Mechnikov, die er hielt, als er sich 1908 den Medizinnobelpreis mit Paul Ehrlich teilte. Darin beschrieb der russische Forscher, dass Nukleinsäuren wie die DNA eine Immunreaktion auslösen können. Doch wie dieser Prozess auf molekularer Ebene abläuft, blieb lange ein ungelöstes Rätsel.
»Die Erkenntnisse von Barber, Chen und Ablasser sind wegweisend. Der cGAS-STINGSignalweg bildet ein Fundament unserer angeborenen Immunabwehr. Mit dessen Entdeckung haben die Preisträger eine Grundlage geschaffen, um Infektionen, Krebs und entzündliche Erkrankungen effektiver zu bekämpfen.«
Prof. Thomas Boehm, Vorsitzender des Stiftungsrats Paul Ehrlich-Stiftung
Erst ein Jahrhundert später begann sich dieses Geheimnis zu lüften. 2008 legte der Virologe Glen Barber an der Universität Miami den Grundstein. Auf der Suche nach der Antwort, wie DNA im Zellplasma erkannt wird und eine Immunantwort auslöst, entdeckte er ein bisher unbekanntes Protein. Aufgrund seiner Funktion nannte er es STING – den Stimulator von Interferon-Genen. Zhijian J. Chen, ein Biochemiker an der University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas, knüpfte an Barbers Entdeckung an. Mit hochempfindlichen biochemischen Methoden isolierte er den Sensor cGAS, der DNA im Zellplasma erkennt, und identifizierte cGAMP, den Botenstoff, der daraufhin STING aktiviert. Seine Entdeckungen, die 2012 in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurden, bildeten einen weiteren Meilenstein auf dem Weg, die molekularen Grundlagen der Immunantwort zu verstehen. Die deutsche Ärztin Andrea Ablasser charakterisierte schließlich den Botenstoff cGAMP im Detail. Für diese Arbeit wurde sie bereits 2014 mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis ausgezeichnet. 2018 synthetisierte sie zudem den ersten STINGInhibitor. Mit ihrer Entdeckung des cGAS- STING-Signalwegs haben die drei Forscher ein molekulares Abwehrsystem des Körpers entschlüsselt, das wie eine Alarmanlage funktioniert, wenn DNA im Zytoplasma auftaucht, wo sie nicht hingehört. Dieser Signalweg ist nicht nur eine fundamentale Verteidigungslinie gegen Infektionen und Krebs, sondern bietet auch neue Möglichkeiten zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen.
Die Doppelrolle der Alarmanlage
Was den Signalweg so einzigartig macht, ist seine Universalität. Der cGASSTING- Signalweg unterscheidet nicht zwischen eigener und fremder DNA – eine Eigenschaft, die das Immunsystem normalerweise auszeichnet. Dieser Regelbruch birgt Gefahren: Eine überaktive Alarmanlage gegen eigene DNA kann den Körper in einen Zustand chronischer Entzündung versetzen, wie es bei Autoimmunerkrankungen der Fall ist. »Diese Dualität macht den Signalweg therapeutisch so interessant«, erklärt Prof. Jochen Maas, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung. »Wir haben hier einen Mechanismus, der sowohl ausgeschaltet als auch aktiviert werden kann – im ersten Fall zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten, im zweiten Fall zur Behandlung von Krebs oder für die Impfstoffentwicklung.« Arzneimittel, die auf die eine oder die andere Art in den cGAS-STING-Signalweg eingreifen, befinden sich bereits in der Entwicklung.
Von der Grundlagenforschung zur Anwendung
Der Paul Ehrlich-Preis steht symbolisch für die Verknüpfung zwischen zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung. Prof. Thomas Boehm unterstreicht: »Ohne das tiefe Verständnis biologischer Mechanismen könnten wir viele medizinische Herausforderungen nicht lösen. Die Entdeckung des cGAS-STING-Signalwegs zeigt, wie fundamentale Forschung die Basis für therapeutische Innovationen bildet.«
»Der Preis würdigt nicht nur die Leistung der Forscher, sondern sendet auch ein Signal: Grundlagenforschung ist das Fundament der Medizin von morgen.«
Dr. Jochen Maas, Vorsitzender des Kuratoriums der Paul Ehrlich-Stiftung
Das Beispiel der mRNA-Technologie, deren Entdecker und BioNTech-Gründer – das Ärzte-Ehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin und die Biochemikerin Katalin Karikó – ebenfalls Preisträger des Paul Ehrlich-Preises waren, zeigt, wie bahnbrechend solche Arbeiten sein können. Jahrzehnte der Forschung an Nukleinsäuren waren nötig, bevor die mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 entwickelt werden konnten.
Eine Ehrung mit Weitblick
Seit 1952 wird der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis verliehen und hat sich als Zeichen für Spitzenforschung etabliert. 26 der bisherigen Preisträger wurden später auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Diese hohe Anzahl unterstreicht eindrucksvoll die Bedeutung des Paul Ehrlich-Preises als Indikator für bahnbrechende Forschung in den Bereichen Immunologie, Krebsforschung, Hämatologie, Mikrobiologie und Chemotherapie. Die Auszeichnung setzt auch ein starkes Zeichen für die Relevanz der Grundlagenforschung und deren Übersetzung in klinische Anwendungen. So ist die Entdeckung des cGAS-STINGSignalwegs ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie wissenschaftlicher Forscherdrang, Ausdauer und Leidenschaft letztlich das Leben vieler Menschen verbessern könnten.
Autorin: Heike Jüngst