Diversifizierter Getreideanbau in der frühen Jungsteinzeit

Kooperationsprojekt von Goethe-Universität und Universität Köln erforscht die Landwirtschaft im vorgeschichtlichen Rheinland und Hessen

Schon in der frühen Jungsteinzeit haben die Bauern im heutigen Rheinland und in Hessen den Getreideanbau diversifiziert, bauten also unterschiedliche Getreidearten an. Früher als bisher angenommen sorgten landwirtschaftliche Innovationen dafür, dass die Lebensmittelversorgung widerstandsfähiger und flexibler wurde. Erste Ergebnisse aus dem Kooperationsprojekt von Goethe-Universität und Universität Köln wurden jetzt im „Journal of Archaeological Science“ veröffentlicht.

Verkohlte Emmerkörner aus einem Vorratsfund einer linearbandkeramischen Siedlung bei Werl, Nordrhein-Westfalen. (© Tanja Zerl, Universität zu Köln)
Verkohlte Emmerkörner aus einem Vorratsfund einer linearbandkeramischen Siedlung bei Werl, Nordrhein-Westfalen. (© Tanja Zerl, Universität zu Köln)

„Diversifizierung und Wandel. Untersuchungen zu Besiedlung und Landwirtschaftspraktiken im 5. Jt. v. Chr. im zentralen Mitteleuropa“ – so lautet der Titel des interdisziplinären Projekts von Goethe-Universität und Universität zu Köln, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Beteiligt sind die Disziplinen prähistorische Archäologie, Archäobotanik, Vegetationsgeschichte, Archäozoologie und Dendroarchäologie. Das Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Dr. Silviane Scharl, Dr. Astrid Röpke (beide vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln) und apl. Professorin Dr. Astrid Stobbe (Goethe-Universität Frankfurt am Main) hat herausgefunden, dass bäuerliche Gesellschaften bereits vor knapp 7000 Jahren begannen, neue Getreidesorten in ihr Kulturpflanzenspektrum zu integrieren. Es wurden tiefere Einblicke in die zugrundeliegenden Prozesse erarbeitet und diese Innovationen in der Landwirtschaft zeitlich eingeordnet. Die Ergebnisse der Studie „Dynamics of early agriculture – multivariate analysis of changes in crop cultivation and farming practices in the Rhineland (Germany) between the 6th and early 4th millennium BCE“ sind im Journal of Archaeological Science erschienen.

Die ersten Bauern in Mitteleuropa gehörten der sogenannten Linearbandkeramischen Kultur an und bevölkerten den Kontinent zwischen etwa 5400 und 5000/4900 v. Chr. Sie kultivierten fast ausschließlich die Urweizenarten Emmer und Einkorn, beides Spelzgetreide. Bei diesen Getreidearten muss das Getreidekorn vor der Weiterverarbeitung von der äußeren Hülle befreit werden (Entspelzen). Bisher war bekannt, dass neue Getreidesorten wie Nacktweizen, bei denen das Entspelzen entfällt, und Gerste im Verlauf der Jungsteinzeit, genauer während des sogenannten Mittelneolithikums (ca. 4900 bis ca. 4500 v. Chr.) eingeführt wurden, wobei der zeitliche Rahmen und die genauen Prozesse bislang nicht bekannt waren. Um diese Prozesse auf regionaler Ebene besser zu verstehen, hat das Forschungsteam Daten zu archäobotanischen Makroresten aus 72 neolithischen Fundstätten im Rheinland (Deutschland) gesammelt und ausgewertet. Die Proben bestehen aus verkohlten Resten von Sämereien und datieren aus der Zeit vom späten 6. bis zum frühen 4. Jahrtausend v. Chr. Sie wurden aus Siedlungsgruben der jungsteinzeitlichen Bauern geborgen.

Mithilfe aufwendiger Statistikverfahren konnte gezeigt werden, dass es signifikante Unterschiede zwischen den neolithischen Phasen gibt. Überraschenderweise ergab die Studie, dass die für das Mittelneolithikum charakteristischen landwirtschaftlichen Veränderungen bereits zu Beginn dieser Periode erkennbar waren. „Die Integration neuer Getreidearten machte die Landwirtschaft resilienter und flexibler. Sie ermöglichte nicht nur den Anbau von Winter-, sondern auch von Sommerkulturen und die potenzielle Nutzung einer größeren Vielfalt von Böden sowie eine mögliche Verringerung des Arbeitsaufwands“, sagt Professorin Scharl. Eine stetige Zunahme der Getreidevielfalt wurde auch durch eine Diversitätsanalyse nachgewiesen. Diese Analyse zeigt, dass die steinzeitlichen Bauern die größte Diversität im Anbauspektrum um 4350 v. Chr. erreichten. Danach geht sie wieder deutlich zurück, was auf eine erneute Transformation des Agrarsystems hindeutet, die Gegenstand weiterer Forschung ist. Einige Anzeichen deuten darauf hin, dass in der Folgezeit die Viehwirtschaft, vor allem die Rinderhaltung, zugenommen hat.

Die aktuelle Studie verdeutlicht, dass jungsteinzeitlichen Bauern im Laufe der Zeit landwirtschaftliche Techniken und Praktiken entwickelt haben, die es ihnen erlaubten, sehr flexibel auf regionale und sich wandelnde Umweltbedingungen zu reagieren. In Regionen mit schwierigeren Umweltbedingungen wurden Getreidearten angebaut, die auch unter diesen Bedingungen einen Ertrag lieferten. Dies zeigt, dass die Bauern sehr gut über die Umweltbedingungen in ihrer Region Bescheid wussten und ihre Strategien zur Nahrungsmittelproduktion entsprechend angepasst haben. Auch die von der Universität Frankfurt durchgeführten und noch laufenden Untersuchungen zu den Landschaftsveränderungen in Hessen zu dieser Zeit belegen, dass die Menschen das Land um ihre Siedlungen strategisch nutzten und je nach verfügbaren Ressourcen unterschiedliche Wege in der Viehzucht fanden, um ihre Tiere zu ernähren.

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