Auch ohne Goldkugel bezaubernd: Bei Pfeilgiftfröschen steckt die Magie in den Fingern

Wie die Frankfurter Biologin Diana Abondano Almeida unbekannte Kommunikationswege bei neotropischen Fröschen entdeckte.

Den meisten sind sie sicher schon einmal begegnet: Quicklebendige Kaulquappen, die in einem Teich oder gar einer Pfütze in großer Schar vor sich hin wuseln. Selten findet man dabei jedoch einen erwachsenen Frosch. Anders ist das bei den neotropischen Pfeilgiftfröschen (Dendrobatidae). Diese nur rund 2 bis 3 cm kleinen Amphibien kümmern sich hingebungsvoll um ihren Nachwuchs. Schon der Laich – der einen wesentlich kleineren Umfang hat als der europäischer Arten – wird rund um die Uhr, meist auf einem Blatt thronend, bewacht.

Doch wo kommt das Gelege eigentlich her? In der Paarungszeit, die je nach Klimazone variieren kann, legen die Weibchen ihre Eier im Wasser oder auf Blättern, wo diese dann von den Männchen befruchtet werden. Körperkontakt ist dafür eigentlich nicht notwendig. Dennoch wird bei Fröschen und auch Kröten weltweit ein mehr oder weniger liebevolles Umklammern beobachtet, der sogenannte Amplexus. Dabei umschlingt das Männchen das Weibchen mit den vorderen Gliedmaßen. Abhängig von der Art kann dieser Griff sehr fest sein. Im Fall unserer Pfeilgiftfrösche könnten sich die Weibchen jedoch leicht davon befreien.

Die kleinen Baumsteigerfrösche bei einer typischen Paarung mit cephalem Amplexus.

Dieses Verhalten gibt den Biowissenschaften Rätsel auf: Warum wird geklammert, wenn es für die Befruchtung nicht vonnöten ist? Warum begeben sich die Frösche so in eine exponierte Lage, die sie angreifbar für Fressfeinde macht? Warum lassen sich die Weibchen das gefallen, obwohl sie das kleinere Männchen einfach abschütteln können? Ein Hinweis hier-für könnte in der chemischen Kommunikation der kleinen Amphibien liegen. Während ihre akustischen Signale, gemeinhin bekannt als Quaken, gut erforscht sind, weiß man bislang wenig über die Nutzung der anderen Sinneskanäle bei der Fortpflanzung.

Geschwollene Finger

Daher legt auch die Arbeitsgruppe Wild-/Zootierbiologie und Systematik um Prof. Dr. Lisa Schulte am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität ihren Fokus auf diese bislang wenig beachteten Kommunikationswege. Während sich die Arbeitsgruppenleiterin auf das besondere elterliche Pflegeverhalten mancher Amphibien spezialisiert hatte, stach Doktorandin Diana Abondano Almeida etwas anderes ins Auge: Im Gegensatz zu ihren europäischen Artgenossen umschließen die neotropischen Pfeilgiftfrösche beim Amplexus nicht den Bauch- oder Brustraum der Partnerin, sondern den Kopf – der sogenannte cephale Amplexus. Dabei platzieren sie ihre Finger nah an den Nasenlöchern der Weibchen. Auffällig ist auch, dass in der Paarungszeit einer der vorderen Finger bei manchen Arten auf ein Vielfaches seiner eigentlichen Größe anschwillt. Das Team erkannte schnell, dass sich hinter der Schwellung ein bislang übersehener Mechanismus verbergen könnte. Die Beobachtung war der Ausgangspunkt für ihre Dissertation.

Biologin Diana Abondano Almeida bei einer ihrer Forschungsreisen.

Auf einer Expedition in ihr Heimatland Kolumbien beobachtete Almeida die Art Leucostethus brachistriatus bereits 2018 in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Regenwald, und entnahm Gewebeproben von unterschiedlichen Fingern und Zehen. Kein leichtes Unterfangen bei der geringen Körpergröße – ein Stecknadelkopf ist größer als eine Fingerspitze der kleinen Amphibien. Mit dem präparierten Gewebe reiste sie zurück nach Frankfurt, wo sie von einer verwandten, im Terrarienhandel verbreiteten Art – Epipedobates anthonyi – analoge Proben gewann. Almeidas Ziel war es, die RNA (Ribonukleinsäure) zu sequenzieren und so zu bestimmen, welche Gene in den Fingerdrüsen aktiv sind (s. Infokasten). Trotz des hohen Vorkommens dieser unscheinbaren, braunen Frösche in Kolumbien war über ihre molekularbiologische Ausstattung bislang kaum etwas bekannt.

Nicht nur der Gesang zählt

Als die Biologin die Ergebnisse nach mehreren Monaten intensiver Auswertung in der Hand hielt, war ihr Erstaunen groß: Bei beiden Arten – unabhängig davon, ob ein Finger geschwollen ist oder nicht – zeigt sich eine besonders aktive Genregion in den vorderen Gliedmaßen. Dabei handelt es sich um sogenannte SPF-Gene (Sodefrin Precursor-like Factors). Diese Gene sind dafür bekannt, Pheromone zu produzieren. Solche chemischen Botenstoffe beeinflussen das Verhalten oder die Körperfunktionen anderer Tiere, vor allem bei der Partnersuche. Während man sie bislang vor allem von Molchen und Salamandern kannte, ist ihr Nachweis bei Fröschen – und dann auch noch in den Fingern – eine überraschende Entdeckung. Denn bislang galt: Bei Fröschen zählt der Gesang. Dass sie womöglich auch über Duftstoffe miteinander kommunizieren, eröffnet eine völlig neue Perspektive auf ihr Verhalten bei der Paarung.

Nun ist Almeidas Dissertation fast abgeschlossen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Pfeilgiftfrösche bei der Partnersuche womöglich mehr auf chemische Signale setzen, als bislang angenommen. Die Entdeckung von Pheromon-bezogenen Genen in den Fingerdrüsen liefert erste Hinweise auf eine bisher kaum erforschte Sinneswelt dieser Tiere. Ob der cephale Amplexus der neotropischen Frösche tatsächlich eine Form der gezielten Signalübertragung ist, muss künftig genauer untersucht werden. Aber vielleicht war es am Ende gar kein Zufall, dass die Finger die Hauptrolle spielen – und es braucht eben nicht immer einen goldenen Ball, damit etwas Besonderes beginnt. 

Wie wird RNA sequenziert? RNA-Sequenzierung ist eine Methode, mit der Forscher die genetische Information aus der RNA einer Zelle entschlüsseln. Zuerst wird die RNA isoliert und in komplementäre DNA (cDNA) umgewandelt. Diese cDNA wird dann mithilfe spezieller Geräte in ihre Einzelbausteine zerlegt und sequenziert. Die gewonnenen Daten zeigen, welche Gene in der Zelle aktiv sind und wie stark sie produziert werden. Bei den Fröschen wurde diese Methode angewendet, um die Gene zu identifizieren, die für die Produktion von Pheromonen in den Fingerdrüsen verantwortlich sind.

Publikation: https://doi.org/10.1111/mec.17476

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