„Das Angebot, das Stadtlabor zu nutzen, ist wie ein Sechser im Lotto“

Das Historische Museum Frankfurt arbeitet im Stadtlabor erstmals mit Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität zusammen. Entstanden ist dabei die partizipative und informative Ausstellung „Alle Tage Wohnungsfrage. Vom Privatisieren, Sanieren und Protestieren“.

Die Ausstellungsmacher*innen Angelina Schaefer, Kuratorin des Stadtlabors, sowie Tabea Latocha und Prof. Sebastian Schipper, beide Humangeograph*innen an der Goethe-Universität. Foto: Pia Barth, Goethe-Universität Frankfurt
Die Ausstellungsmacher*innen Angelina Schaefer, Kuratorin des Stadtlabors, sowie Tabea Latocha und Prof. Sebastian Schipper, beide Humangeograph*innen an der Goethe-Universität. Foto: Pia Barth, Goethe-Universität Frankfurt

Im Jahr 2025 feiern zahlreiche Museen und andere städtische Einrichtungen den 100. Geburtstag von „Das Neue Frankfurt“ – jenes stadtplanerische Programm, mit dem Frankfurt zwischen 1925 und 1930 der Wohnungsnot mit sozialen Wohnungsbauprojekten begegnen wollte und dabei deutschlandweit auch architektonisch Maßstäbe setzte. Die Ausstellung „Alle Tage Wohnungsfrage. Vom Privatisieren, Sanieren und Protestieren“ plante das Historische Museum gemeinsam mit Humangeograph*innen der Goethe-Universität. Im Stadtlabor des Historischen Museums geht es vor allem um die Geschichte dreier ursprünglich gemeinnütziger Frankfurter Siedlungen: Die Knorrstraße im Gallus der 1890er Jahre, die in den 1930ern entstandene Carl-von-Weinberg-Siedlung im Westend und die Henri-Dunant-Siedlung der Nachkriegsmoderne in Sossenheim. Wie Ausstellung und Rahmenprogramm die Geschichten ihrer Bewohner*innen beleuchten und in einen wissenschaftlich erforschten Rahmen stellen, darüber sprechen Tabea Latocha und Prof. Sebastian Schipper, beide Goethe-Universität, und die Freie Kuratorin Angelina Schaefer des Historischen Museums mit dem UniReport.

UniReport: Salopp gefragt: Wer hat angefangen? Wer kam auf wen zu?

Angelina Schaefer: Ihr seid auf uns zugekommen, oder?

Tabea Latocha: Genau! Bei einem Treffen mit Katharina Böttger, der Kuratorin für das Stadtlabor des Historischen Museums, habe ich vor vier Jahren von dem von Sebastian Schipper und Bernd Belina geleiteten DFG-Projekt „Home and Housing in Urban Regeneration Processes: Studying the Macro through Historiographies of the Micro in Tel Aviv-Jaffa and Frankfurt am Main“ erzählt, in dessen Rahmen ich zu ausgewählten Frankfurter Wohnsiedlungen geforscht habe. Dabei habe ich auch erzählt, wie wir forschen, nämlich angewandt-kritisch, also in Kollaboration mit Mieter*innen und sozialen Initiativen. Da entstand dann die Idee, das Format des Stadtlabors nutzen zu können, um die Forschungsergebnisse nicht nur zu präsentieren, sondern auch im partizipativen Format weiterzuentwickeln.

Das heißt, in diesem Stadtlabor beraten Forschende nicht nur, sondern arbeiten auf Augenhöhe mit.

Latocha: Ja, es ist das erste Stadtlabor, bei dem nicht nur mit der Frankfurter Bevölkerung zusammengearbeitet wird, sondern in dem es explizit eine Kooperation mit der Universität gibt. Wir haben uns gefragt: Wie kann diese Zusammenarbeit eigentlich aussehen? Denn das Wohnungsthema ist wissenschaftlich schon recht komplex. Da müssen makropolitische Prozesse wie Gesetzgebungen gut übersetzt werden in das Ausstellungsformat des Stadtlabors, das vor allem auch die subjektive Ebene von Bewohner*innen zeigt.

Sebastian Schipper: Möglich war das nur, weil das Forschungsprojekt selbst partizipativ angelegt ist und deshalb gut mit einer partizipativen Museumsdidaktik zusammenpasst. Unser Forschungsprojekt ist inspiriert von einer Methode von Tovi Fenster, einer Kollegin der Tel Aviv University, die auch an der Ausstellung beteiligt ist. Sie nennt es „Archeology of the Address Methodology“, also über Archivarbeiten zur Geschichte, in unserem Fall einzelner Wohnsiedlungen, werden Geschichten der Bewohner*innen rekonstruiert und bis heute verfolgt und darüber auch die Geschichte der Wohnungspolitik im deutschen Kontext beleuchtet. Also eine Bewegung hin vom Mikro zum Makro, wie es in dem Titel unseres Forschungsprojekts angesprochen wird.

Hatten beide Seiten also von Anfang an dasselbe Ziel?

Schaefer: Ja, wir hatten beide das Ziel, Menschen, die betroffen sind, die das Thema selbst erleben, miteinzubeziehen. Ihr (wendet sich an Tabea Latocha und Sebastian Schipper, Red.) habt mit Eurer Forschung die lokale Schwerpunktsetzung auf die drei Siedlungen mitgebracht. Da haben wir von Euren Kontakten und dem großen Wissen über die Siedlungen sehr profitiert.

Latocha: Wir haben gemeinsam das Jubiläum als Aufhänger genommen, um zu sagen: Wir gucken, was die Tradition des Gemeinwohls in der Frankfurter Stadt- und Wohnungspolitik eigentlich an Ideen bereithält, um die aktuelle Wohnungsfrage zu beleuchten. Und das soll unterfüttert werden mit den subjektiven Blickwinkeln der Menschen, die diese Wohnungskrise tatsächlich erleben.

Schipper: Wissenschaft will ja die Welt besser verstehen. Bei uns Sozialwissenschaftler*innen kommt aber noch hinzu, dass man das, was man herausfindet, auch irgendwie wieder in die Gesellschaft zurücktragen will. Da ist das Angebot, das Stadtlabor zu nutzen, wie ein Sechser im Lotto.

Schaefer: Bei uns kam auch hinzu, dass wir sehr viel weniger Stadtlaborant*innen hatten als bei anderen Themen. Diese inhaltliche Lücke konnten wir sehr schön mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen füllen.

Das heißt, beim Thema Wohnen, das so viele Menschen betrifft, gab es weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer als sonst?

Schipper: Es ging ja sehr stark um die Menschen in den drei Siedlungen, die von Entmietung und Mieterhöhung betroffen sind. Sie haben keine Zeit, im Museum in Workshops zu arbeiten, weil sie sich gerade um den dritten Job und anderes kümmern müssen.

Schaefer: Die Wohnungsfrage ist eine sehr prekäre Frage, weshalb sich viele Menschen unsicher fühlen, über ihre Situation zu sprechen und Privates zu zeigen. Da müssen wir als Museum sensibel mit umgehen.

Nicht nur im Rahmenprogramm, sondern auch in der Ausstellung haben Sie ja auch Angestellte der Stadt, mitunter auch Entscheidungsträger*innen, einbezogen: Wie haben Sie diese integriert?

Schaefer: Entscheidungsträger*innen werden im Begleitprogramm der Ausstellung, in Gesprächsrunden und Informationsabenden, einbezogen. Außerdem gibt es in der Ausstellung einen Zukunftsbereich, indem wir die Frage stellen, wie wollen wir eigentlich in Zukunft wohnen und wie kommen wir dahin. Dort zeigen wir auch Videointerviews mit einer Architektin, einer Person vom Amt für Wohnungswesen und einer Sozialwissenschaftlerin.

Haben Sie schon ein Lieblingsausstellungstück?

Schaefer: Ich freu mich sehr auf den Beitrag der Kita in der Henri-Dunant-Siedlung. Die Kinder haben ein Modell gebaut, wie sie Sossenheim erleben. Die Kita war dazu sehr viel in der Siedlung unterwegs und hat dort akribisch erforscht. Die Kinder haben dann zehn Zeichnungen angefertigt, die mich sehr, sehr beeindruckt haben. Und sie haben auch Interviews mit Erwachsenen geführt, die in dem Beitrag zu sehen sein werden.

Schipper: Gespannt bin ich auf jeden Fall auf die Schimmelwohnung, die nachgebaut worden ist. Da kann man erfahren, was es heißt, in so einer Wohnung zu sein.

Latocha: Die Schimmelwohnung würde ich auch nennen. Da haben einige Menschen, die in ihrem Alltag viel zu bewältigen haben und auch sehr darunter leiden, für das Stadtlabor all ihren Mut zusammengenommen. Da stehen auch Ängste im Raum und hängen auch mietrechtliche Fragen dran. Schön finde ich auch das Mobile einer jungen Frau: Sie stellt ihre Sicht als Jugendliche auf die Siedlung dar und bearbeitet das Thema: Ist es eigentlich gerecht, dass ich mir nach dem Abitur nicht leisten kann auszuziehen? Sie liebt die Wohnsiedlung, das Grün dort und erlebt gleichzeitig, wie ihre Mutter mit der hohen Miete kämpft.

In der Ausstellung wird es auch einen Bereich zu Visionen geben.

Latocha: Wir haben einen Zukunftstisch entworfen, an dem man sitzen kann. Da gibt es eine Art Tischdecke, auf die positive Bespiele zu sozialem Wohnen draufgedruckt sind. Dann sind Besucher*innen auch eingeladen, selbst Ideen zu entwickeln. Sie finden zum Beispiel Kärtchen, die über wohnungspolitische Forderungen informieren. Und dann gibt es den Bereich, in dem wir fragen: Was können wir aus den letzten hundert Jahren sozialen Wohnungsbaus lernen? Was war gut? Was war nicht so gut? Denn auch der soziale Wohnungsbau war nicht perfekt. Da können Besucher*innen dann selbst eine Siedlung nach ihren Vorstellungen bauen.

Schaefer: Im Lauf der Ausstellung werden auch noch mehr Modelle entstehen, etwa in Workshops mit Kindern.

Das heißt: Je länger die Ausstellung läuft, desto komplexer und kompletter wird sie?

Schaefer: Ja, so funktionieren unsere Stadtlabore. Da gibt es immer partizipative Stationen, an denen man Gedanken hinterlassen kann. Da entsteht oft über Zettel zeitversetzt ein Dialog zwischen Besucher*innen, werden Kommentare immer weiter kommentiert.

Haben Sie selbst im Prozess der Ausstellungsentwicklung auch etwas gelernt?

Latocha: Ich durfte lernen, dass, selbst wenn ich denke, ich verpacke etwas in einfache Sprache, es dann noch lange nicht bedeutet, dass es in einem Museum funktioniert. Was verstehen wir zum Beispiel etwa unter Modernisierung, Sanierung und Renovierung? – Da mussten wir kleine Formate finden, um diese Begriffe kurz zu erklären, ohne dass die Ausstellung zu einem belehrenden Projekt wird.

Schaefer: Und ich fand es spannend, Euch in der Textredaktion zu erleben. Die Stadtlaborant*innen schreiben ja ihre Texte selbst, und wir übernehmen die Redaktion. Da fand ich es toll, wie wir eine gemeinsame Sprache gefunden haben: Verständlich zu schreiben, aber gleichzeitig präzise zu bleiben – da habe ich sprachlich noch einmal ganz viel gelernt. Ich hoffe, das kommt bei den Besucher*innen an.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich denn von der Ausstellung?

Schaefer: Ein Stadtlaborant hat immer wieder betont, er möchte die Besucher*innen der Ausstellung motivieren, zu protestieren und die eigenen Interessen auszusprechen.

Schipper: Die Ausstellung wird zeigen, dass die gegenwärtigen Erfahrungen von Wohnungssuche, Wohnungsverlust, Wohnungsnot durch gesellschaftliche, politische und ökonomische Bedingungen hervorgebracht worden sind. Und dass man sie – Stichwort Zukunftstisch – auch anders gestalten könnte.

Sind Sie da zuversichtlich?

Latocha: Aufgeben ist gar keine Option! Es gibt ja auch positive Bespiele und die Erfahrung, dass Protest etwas bewirkt. Es mag sein, dass Wohnungen nicht direkt wieder gemeinnützig werden und die Mieten sinken. Aber wichtig ist das Moment, dass Menschen sich zusammentun und erkennen, es betrifft nicht nur mich, sondern uns alle. Und: Gemeinsam haben wir eine politische Handlungsmacht. Wenn dieses Moment angestoßen ist, dann kann ganz viel daraus werden. Aber das ist natürlich offen.

Die Ausstellung des Stadtlabors „Alle Tage Wohnungsfrage. Vom Privatisieren, Sanieren und Protestieren“ startet am 18. Juni im Historischen Museum Frankfurt, Saalhof 1, 60311 Frankfurt am Main.

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