Im Rahmen des Lehrprojekts „Partisan Notes @ Donaueschinger Musiktage“ hat eine Studierendengruppe der Goethe-Universität und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst sich mit Vermittlungsformen zeitgenössischer Musik beschäftigt.

Studierende zweier Hochschulen gemeinsam auf einem Festival: „Partisan Notes @ Donaueschinger Musiktage“ wurde durchgeführt in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) und knüpft damit an frühere Exkursionen an, die Studierende zu Festivals für zeitgenössische Musik geführt haben, beispielsweise zur Frankfurter Cresc Biennale. Im vergangenen Herbst stand nun eine Fahrt zu den Donaueschinger Musiktagen auf dem Programm. „Donaueschingen gehört weltweit zu den etabliertesten und attraktivsten Festivals für zeitgenössische Musik“, erklärt Dozent Jim Igor Kallenberg. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter hat sich Kallenberg um das mit QSL-Mitteln geförderte Projekt der Lehre gekümmert: Mit den Studierenden beider Hochschulen hat er zusätzlich das Begleitprogramm des Festivals namens „Next Generation“ besucht. Verschiedene Formate des Unterrichts und der Auseinandersetzung mit Musik wurden dort praktiziert, die Frankfurter Gruppe konnte sich selber mit einem Diskussionsformat einbringen. „Das Besondere an dieser Exkursion: Es treffen Studierende der Goethe-Universität, die das Fach Musik historisch und theoretisch studieren, auf HfMDK-Studierende der Kompositionsklasse. Dieser Austausch von verschiedenen Polen des Faches ist ungemein wichtig. Und gemeinsam konnte man auf den Musiktagen auch mit Studierenden anderer Hochschulen diskutieren“, betont Jim Igor Kallenberg.
Künstlerische Grenzüberschreitungen erklären
Zeitgenössische Musik, die auf Festivals vorgestellt und gespielt wird, ist voraussetzungsreich und bedarf einer Erörterung. „Es geht nicht oder zumindest nicht schwerpunktmäßig darum, ob die Musik gefällt, wie vielleicht bei anderen Musikrichtungen, sondern vor allem darum, welche ästhetischen Ansätze dahinterstecken, welche Ideen und Fragestellungen sich in musikalischer Form ausdrücken. Um dahinterzukommen, wurde beispielsweise auch mit den Komponisten gesprochen. Darauf haben wir uns natürlich vorbereitet. Die Studierenden unseres Instituts haben vor allem ihre Kenntnisse der Musikgeschichte, die Studierenden von der HfMDK ihr Wissen und ihre Erfahrungen bezüglich des Komponierens eingebracht.“
Im Studium der Musikwissenschaft erlernt man in ungefähr zwei bis vier Semestern gewissermaßen die Sprache der Musik: Harmonielehre, Tonsatzlehre und Formenlehre zählen dazu. Mit diesen Grundlagen der Musikpropädeutik kann man die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichende Musik betrachten, aber in der zeitgenössischen Musik verkompliziert sich die Lage: Denn die moderne Avantgarde will gerade die allgemeinverbindliche Sprache hinter sich lassen, um anderes ausdrücken zu können. „Dies muss natürlich von den Studierenden ganz praktisch erfahren werden – das Infragestellen der traditionellen Musiksprache durch neue Ausdrucksformen.“
Kallenberg erwähnt hier das Beispiel des afroamerikanischen Komponisten George Lewis von der Columbia University, der in Donaueschingen ein Orchesterstück mit einem selbstspielenden AI-Klavier vorgestellt hat. Damit wurden Fragen gestellt nach der heutigen Funktion des/der Autors/Autorin, der Freiheit von Kunst und der Bedeutung von neuen Technologien. „Es geht immer auch um Grenzüberschreitungen: Was ist noch Kunst, was sind vielleicht ‚nur‘ Geräusche, wie setzt sich das Kunstwerk und damit der/die Künstler/-in mit dem Publikum auseinander, an welcher Stelle ist dieses mit einbezogen und Teil der Performance?“
Berufsfelder für Musikwissenschaftler*innen
Gerade für die Studierenden der Goethe-Universität sei die Begegnung mit Musikerinnen und Musikern der heutigen Generation sehr wertvoll, sagt Kallenberg. „Sie sehen dann, wie es ist, Musik nicht nur theoretisch zu betrachten, sondern sich Note für Note überlegen zu müssen.“ Neben der fachlichen Beschäftigung mit Ästhetik und Geschichte zeitgenössischer Musik ging es dann auch darum, wie man eine auf Tönen basierende Kunstform sprachlich adäquat beschreiben und vermitteln kann. Kallenberg betont, dass die im Rahmen des Festivalbesuchs entstandenen Texte zumindest nicht vorrangig als wissenschaftliche Texte gedacht waren. „Wir betrachten die im Rahmen der Exkursion entstandenen Texte über zeitgenössische Musik eher als journalistische Texte, das Genre ist die Kritik. Denn natürlich stellt der Musikjournalismus, ob im Radio, in der Zeitung oder im Online-Bereich, auch ein mögliches späteres Berufsfeld für unsere Studierenden dar. Das zweite denkbare Berufsfeld ist die Dramaturgie; Opern- oder Konzerthäuser beschäftigen immer auch einige Musikwissenschaftler/-innen, die sich im weitesten Sinne um die Texte kümmern, also um die in den Programmheften, aber auch Einführungsvorträge.“ Ein Festival wie das in Donaueschingen sei selber ein Arbeitgeber, der Dramaturgen, aber auch Kulturmanager und künstlerische Leiter beschäftige. Mit beiden Berufsbereichen wurde sich auf der Exkursion beschäftigt.
Kallenberg hat in seinem Studium, wie er berichtet, selber von der Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst profitiert: „Damals hat Marion Saxer, Professorin an der Goethe-Universität, diese fruchtbare Zusammenarbeit in die Wege geleitet. Ich bin darüber zum ersten Mal mit Leuten in Kontakt gekommen, die das, was ich im Studium theoretisch kennengelernt habe, in der Praxis komponiert haben. Man hat dadurch überhaupt erst ein Gespür dafür bekommen, dass in Frankfurt viele Komponistinnen und Komponisten wirken. Es haben sich dadurch auch über Projekte wertvolle langfristige Verbindungen ergeben. Und über den Verein der Frankfurter Gesellschaft für neue Musik gibt es eine enge Zusammenarbeit.“ Kallenberg hat an der Goethe-Universität Musikwissenschaft studiert und sein Studium dann in Wien fortgesetzt. Zur Promotion bei Prof. Magdalena Zorn ist er nach Frankfurt zurückgekehrt, sein musikhistorisches Thema lautet „Richard Wagner in Darmstadt“.
Mit der Online-Plattform „Partisan Notes“, die von Kallenberg und zwei weiteren Musikwissenschaftlern betreut wird, wurde ein Ort der Veröffentlichung geschaffen, der Studierenden, aber auch anderen Musikinteressierten offensteht, um Texte zu publizieren. Kerngedanke ist, dass jene Texte darüber eine Leserschaft finden können, die recht nah von Festivals berichten und somit auf Tuchfühlung mit der aktuellen Musikproduktion stehen. „Das muss kein tiefschürfender Essay sein, aber wir schließen prinzipiell keine Textsorte aus“, betont Kallenberg. Zahlreiche Artikel von den Studierenden sind auf der Plattform bereits über die Donaueschinger Musiktage nachzulesen, einige sind gerade noch in der Mache.
Finanziert wurde die Exkursion im Rahmen des Lehrprojekts „Partisan Notes @ Donaueschinger Musiktage“ über QSL-Projektmittel zur Verbesserung der Qualität der Studienbedingungen und der Lehre. So wurden den Studierenden unter anderem die Kosten für Anreise, Übernachtung und auch Tickets erstattet.
Beiträge der Studierenden sind bereits auf der Online-Plattform „Partisan Notes“ nachzulesen.