Düstere Wolken über dem amerikanischen Wissenschaftshimmel

Eine kleine Umfrage unter einigen jungen US-Wissenschaftler*innen an der Goethe-Universität zeigt: Die Befürchtungen sind groß, dass die Wissenschaftsfreiheit in den USA noch weiter eingeschränkt werden könnte. Unabhängig von den ursprünglichen Karriere- und Lebensplanungen: Kaum jemanden zieht es im Augenblick zurück in die Heimat.

Was hätte Adorno wohl dazu gedacht?

Hunter Hilinski, Foto: privat
Hunter Hilinski, Foto: privat

Hunter Hilinski ist Doktorand an der UC Irvine und erhält seit August 2024 ein Forschungsstipendium am Zentrum für Normative Ordnungen. Der Politikwissenschaftler forscht zur Frankfurter Schule und zur Kritischen Theorie, ihn hat es daher auch nach Deutschland gezogen, um sich mit heutigen Vertreterinnen und Vertretern dieser Denkrichtung auszutauschen, aber auch um die Sprache ihrer Publikationen besser zu lernen. Sein Vertrag läuft noch bis August dieses Jahres – „doch ich würde gerne verlängern, auch wegen der aktuellen Verhältnisse in den USA!“. Hunter macht sich als amerikanischer Staatsbürger eigentlich um sich selbst keine Sorgen. „Aber diejenigen, die sich gerade nur mit einem Visa in den USA aufhalten, können kaum ihre akademische Zukunft planen.“ Hunter macht sich große Sorgen über die Entwicklung, die Trump binnen weniger Wochen losgetreten hat. „In Florida, einem sehr konservativen Bundesstaat, greift man bereits in die universitären Curricula ein, um bestimmte Inhalte, die bislang unterrichtet wurden, zu verhindern. Wissenschaftler*innen aus den Humanities, die sich beispielsweise kritisch mit Rasse und Rassentheorien beschäftigen, müssen generell fürchten, dazu keine Seminare mehr anbieten zu können. Bestimmte Begriffe, die überhaupt nicht fachspezifisch sind wie beispielsweise ‚Feminismus‘, geraten auf einen Index und dürfen dann nicht mehr verwendet werden. Ich sorge mich also darum, dass ich nach meiner Rückkehr in meine Heimat mein Fach nicht mehr frei unterrichten kann. Es steht zu befürchten, dass alles, was man schreibt und sagt, beobachtet und dokumentiert wird.“

In seiner Forschung zur Frankfurter Schule fokussiert Hunter auf die Zwischenkriegs- und Nachkriegsjahre, er möchte dabei den Begriff Utopie beleuchten: „Wie wurde in der Kritischen Theorie der Begriff als Referenzrahmen für die blockierten oder verkümmerten Möglichkeiten gesellschaftlicher Entwicklung verwendet?“ Mit seinem Forschungsthema kann Hunter zugleich die aktuellen Entwicklungen in den USA analysieren. Trumps Anti-Intellektualismus, die zu faschistoiden Tendenzen, die er lostrete, forderten das autonome, kritische Denken und die demokratische Kultur ganz entscheidend heraus. Hunter ist froh, momentan in Deutschland zu leben und zu forschen. Er sieht Europa aber keineswegs als Insel der Seligen: „Deutschland hat selbst gerade Probleme mit einer ultrarechten Partei wie der AfD; diese Tendenzen zeigen sich gerade weltweit, sind keine Besonderheit der USA – wenngleich man hier anmerken muss, dass die USA als älteste Demokratie gelten und zudem die vielleicht stärkste Militärmacht der Welt darstellen.“ Innenpolitisch sieht Hunter im starren Zweiparteiensystem ein großes Problem: Der institutionelle Rahmen lasse wenig Raum für politische Alternativen. Den Demokraten fehlte eine Vision: Man könne zwar gegen Trump demonstrieren, aber es gebe keine Idee, wofür man auf die Straße gehe. Zu spät hätten jene, die Trump nicht gewählt haben, erkannt, dass seine zweite Präsidentschaft kein business as usual sei. Nun werde die Gefahr gerade auch für das Bildungs- und Wissenschaftssystem akut.

Wenn der Klimawandel plötzlich als Fake gilt

Allison Curley, Foto: privat
Allison Curley, Foto: privat

Dr. Allison Curley, Amerikanerin von der University of Michigan, ist seit genau einem Jahr in Deutschland. Die Klimaforscherin ist als Postdoc im Fachbereich Geowissenschaften angesiedelt. „Als ich darüber nachgedacht habe, für eine bestimmte Zeit nach Deutschland zu gehen, war der Gedanke noch sehr lebendig, danach wieder in die USA zurückzukehren“, erinnert sie sich. „Studium und Promotion habe ich wirklich dort genossen, die Atmosphäre war sehr lebendig.“ Doch jetzt sagt sie klipp und klar, dass sie vorerst nicht mehr zurück möchte. Sie sieht Early Career Researchers wie sich selbst als besonders gefährdet: Jobs in Industrie und Verwaltung, aber vor allem Stellen an den Universitäten sind bedroht. „Der Erhalt des ersten Stipendiums nach der Promotion ist ein wichtiger Meilenstein. Finanzielle und ideologische Angriffe auf staatliche Fördereinrichtungen wie NSF und NIH werden dazu führen, dass die Forschungsmittel noch knapper werden. Ich bin daher froh, dass ich mein Netzwerk in Europa aufbauen kann. Als lesbische Frau, die mit einer Frau verlobt ist, sind auch die Lebensbedingungen in den USA sehr schlecht, deshalb sehe ich unsere Zukunft eher in Europa.“

Allison untersucht Gestein und Fossilien mittels verschiedener geochemischer Methoden, um Erkenntnisse zu gewinnen, was in früheren Warmzeiten mit dem Ökosystem passiert ist. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit der Erdgeschichte zur Zeit der Dinosaurier beschäftigt; aktuell beschäftigt sie sich mit der letzten Warmzeit vor ca. 120 000 Jahren, vor der letzten Eiszeit. „Mein Ziel ist es, von der Erdgeschichte zu lernen: Womit müssen wir rechnen, wenn die Temperatur auf der Erde in den nächsten Dekaden weiterhin ansteigen wird?“

Allison ist sehr frustriert, dass Trump bereits in den ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit Pflöcke eingeschlagen hat, die für die Klimaforschung katastrophal sind: „Was er als Erstes getan hat, war sich vom Pariser Klimaabkommen zurückzuziehen. Das muss man sich einmal vorstellen: Das Land, das mit als Hauptverursacher der weltweiten Emission von Treibhausgasen gilt, will nun wieder die Nutzung fossiler Brennstoffe stärken! Mit der Einschätzung, dass der Klimawandel nur die Erfindung einer linksliberalen Wissenschaft sei, zerstört Trumps Regierung die wichtigen Fortschritte zum Klimaschutz.“ Allison ist froh, in Deutschland forschen und leben zu können, blickt aber auch wie Hunter mit Sorge auf neueste Entwicklungen: „Die Niederlande sind für amerikanische Forschende sehr attraktiv. Aber wenn im Zuge eines neuen politischen Kurses der Regierung beispielsweise an der Freien Universität von Amsterdam die Abteilung Erdwissenschaften aufgelöst wird, dann muss das einem schon zu denken geben.“

Allison wundert sich etwas, dass in Europa die Proteste gegen Trump bislang nicht so recht wahrgenommen wurden. Ihrer Ansicht nach waren die Trump-kritischen Töne von Anfang an sehr laut; sie vermutet, dass die Medien nicht entsprechend darüber berichtet haben. Sie konzediert aber: „Es könnte schon noch mehr sein. Und ich bin mir auch sicher: In dem Maße, wie Trumps Politik immer mehr Amerikaner direkt betreffen wird, wird auch der Protest hörbarer werden.“ Sie bedauert, wegen ihres Auslandsaufenthaltes nicht selber auf die Straße gehen zu können. „Ich würde mich ganz sicher aktiv beteiligen.“

Die Vorzüge des European way of life

Cameron Seglias, Foto: privat
Cameron Seglias, Foto: privat

Dr. Cameron Seglias ist auch Amerikaner, fühlt sich im Geiste aber eher als Europäer: Der Wissenschaftliche Mitarbeiter und Habilitand der Frankfurter Amerikanistik hat bereits nach seinem Bachelor am New Yorker Bard College die USA verlassen und danach seinen kompletten weiteren wissenschaftlichen Werdegang in Deutschland absolviert. „Ich fühlte mich in meiner Heimat immer schon etwas fremd. Ich komme aus einer konservativen Familie in Pennsylvania. Der American way of life mit seiner Ausrichtung auf Konsum hat mich abgeschreckt, es hat mich schon früh nach Europa gezogen“, berichtet Cameron. Ursprünglich wollte er zur europäischen Geschichte und Literatur forschen. Doch der große geographische Abstand zu seiner Heimat, so seine Vermutung, hat das erneute Interesse an amerikanischer Geschichte und Literatur befeuert. „Ich habe mich in einem Buch mit der Anti-Sklaverei im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt; darin geht es mir aufzuzeigen, wie sehr der Anti-Schwarze Rassismus mit dem Entstehen des Kapitalismus verbunden ist.“ Cameron versteht das große Entsetzen in Europa über die ersten Wochen und Monate der Trump’schen Präsidentschaft, sieht aber auch jede Menge Traditionslinien und Kontinuitäten in der amerikanischen Geschichte: „Die USA sind mehr als ein Staat: Es ist in gewisser Weise auch ein Siedlerprojekt, das auf White Supremacy, auf Siedlerkolonialismus und Ausbeutung basiert.“ Gleichwohl sieht Cameron auch den gewaltigen Bruch in der jüngsten amerikanischen Geschichte: Er stellt sich die Frage, ob es jemals eine derart weitreichende Zensur auf vielen Feldern gegeben habe. „Die Geschichte Amerikas wurde immer als eine exzeptionelle erzählt. Aber sie ist nicht von der Europas zu trennen. Auch mein Fach, die Amerikanistik, muss kritisch auf die Bilder und Narrative dieses Landes schauen, darf die Propaganda nicht mit der Realität verwechseln.“

Cameron fährt im Juni auf eine Konferenz an der University of Notre Dame. Macht er sich Sorgen, dass er bei der Einreise oder auch sonst Schwierigkeiten bekommen könnte? „Eigentlich nicht, aber ich bin schon neugierig, wie sich das Land unter Trump anfühlen wird. Sorgen mache ich mir um die vielen Wissenschaftler*innen in den USA. Der Arbeitsmarkt insbesondere für junge Akademiker war bereits vor Trump sehr schlecht.“ Cameron hofft, dass die europäischen Universitäten sich ihrer Stärke besinnen und Horte der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bleiben. Demokratie- und forschungsfeindliche Kräfte seien in Europa nicht die einzige Gefahr für den Wissenschaftsbetrieb: „Eine Universität sollte kein Geschäftsmodell sein wie in den USA. Der Staat sollte genug investieren, damit alle Menschen Zugang zu Bildung haben. Das stellt meiner Ansicht nach eine große Herausforderung für die Zukunft der Wissenschaft in Europa dar.“

Zum Weiterlesen: Der Beitrag „Erasures: kreatives Streichen als Widerstand“ beschäftigt sich mit Zensur im amerikanischen Bildungssystem .

Relevante Artikel

Grafik zur Auslandsmobilität und Gaststudierende. Die Grafik stellt eine Zusammenfassung aller angegebenen Auslandsaufenthalte dar. Quelle: DAAD

Auslandsmobilität und Gaststudierende

Auswertung der BintHO-Befragung 2023/24 Die Goethe-Universität (GU) hatte im Januar/Februar 2024 an der Befragung „Benchmark internationale Hochschule (BintHo)“ teilgenommen, die

Foto: Miriam Cirino

Studierende evaluieren Bildungsprojekte

Abschlussveranstaltung des Workshops „Evaluation – Qualifiziert bewerten, professionell berichten“ Am 17. Mai fand die Abschlussveranstaltung des fachbereichsübergreifenden Workshops „Evaluation –

Buchcover "Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung", Katja Beck, Rosa Anna Ferdigg, Dieter Katzenbach, Julia Klett-Hauser, Sophia Laux, Michael Urban (Hrsg.), Waxmann Verlag

„Transfer kann nur im Dialog gelingen“

Ergebnisse des Metavorhabens Inklusive Bildung In der Förderrichtlinie »Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

(V. l. n. r.): David Gurlitt, Jacob Lemmer, Parand Yaghubi, Leonard Gross, Berkant Yilmaz. Foto: Edmund Blok

Ein Urteil in eigener Sache

Team der Goethe-Universität belegt den 1. Platz im schriftlichen Wettbewerb des Oxford International Intellectual Property Moot Court 2025. Vom 19.

Teilnehmende des Workshop "Public Responsibility for Health". Foto: Victoria Dichter

Wer trägt Verantwortung für unsere Gesundheit?

Interdisziplinärer Sozialethik-Workshop „Public Responsibility for Health“ an der Goethe-Universität bringt internationale Perspektiven zusammen. Was bedeutet es, wenn Gesundheit als Menschenrecht

Öffentliche Veranstaltungen
#GoetheDataDive 10

#GoetheDataDive: Zahl des Monats Juli

Über 7300: So viele Deutschlandstipendien wurden seit 2011 vergeben! Das Deutschlandstipendium fördert Studierende, die gute Noten und soziales Engagement vorweisen

Arnika

Wo Pflanzen uns Heilen lehren

Arzneipflanzengarten am Campus Riedberg Zwischen systematischer Pflanzenlehre und modernem Campusleben wächst am Hang südwestlich des Biozentrums ein Ort stiller Faszination:

Dr. Eilika Emmerlich

Hörsaal statt Ruhestand

Immer mehr Senioren studieren in Hessen Kein Ruhestand für den Wissensstand: In Hessen ist die Zahl der Studierenden über 60

You cannot copy content of this page