Frankfurter Physikerinnen erkunden den Nachthimmel am Nordic Optical Telescope.

Am Berghang des Roque de los Muchachos, hoch oben über einem Wolkenmeer, thront das Nordic Optical Telescope, kurz NOT, ganze 2400 Meter über dem Meeresspiegel. Nur über eine schmale, kurvenreiche Straße erreichbar, umgeben von schwarzem Vulkangestein und karger Vegetation, liegt das Observatorium rund 40 Minuten vom nächsten Ort entfernt. So schnell verirrt sich hier oben niemand hin. Doch in dem 35 Jahre alten kuppelförmigen Gebäude sitzen zwei junge Wissenschaftlerinnen, die genau hier und nirgendwo anders sein wollen. Annika Schichtel und Clara Peter haben sich bereits Monate auf diese Forschungsreise gefreut. Die beiden Physikerinnen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Camilla Juul Hansen an der Goethe-Uni reisten gemeinsam mit drei Kolleg*innen an, um den Nachthimmel zu erkunden. Dieser ist über La Palma besonders dunkel, denn die Insel erließ 1988 das weltweit erste Gesetz zum Schutz vor Lichtverschmutzung. Gepaart mit der geringen Anzahl störender Luftpartikel (z.B. Staub) in dieser Höhe sind die Beobachtungsbedingungen hier ideal.
Messung mit Hindernissen
„Eine Besonderheit des NOT ist, dass wir alle Messungen selbst durchführen konnten“, erzählt Peter. Anders als bei vielen anderen Observatorien sind es die Forschenden selbst, die die Geräte einstellen und steuern, die Koordinaten kontrollieren und buchstäblich die Nacht zum Tag machen. Was als gut geplante Expedition mit drei Beobachtungsnächten beginnt, entwickelt sich schnell zu einem kleinen Abenteuer. Nach der ersten Nacht, in der zwei Support-Astronominnen dem Team eine umfassende Einführung geben, kommt es anders als geplant: Zwei der mitgereisten Kolleginnen müssen die Forschungsstation krankheitsbedingt verlassen. „Plötzlich waren wir allein“, lacht Schichtel, „zum Glück war ich schon zum zweiten Mal dort.“
„Wir waren ein Dreamteam“, betonen beide – zum Glück, denn direkt in der zweiten Nacht folgt die nächste Überraschung: Ein sogenanntes Target of Opportunity erreicht das Observatorium – eine zeitkritische Beobachtungsanfrage externer Wissenschaftler*innen, die von den gerade anwesenden Astronominnen durchgeführt werden muss. Der Beobachtungsplan wird im Schnellverfahren geändert, die eigene Messung hintenangestellt. „Das war ganz schön stressig. Wir hatten vorher schon Schwierigkeiten bei der Einstellung unseres Referenz-Sterns und dann das“, erinnert sich Peter.
Ein Fenster ins Universum
Zeit für die eigene Forschung bleibt trotzdem genug. Ein typischer Arbeitstag der Astronominnen beginnt gegen 16 Uhr mit den Vorbereitungen. „Wir öffnen alle Klappen der Kuppel und beginnen mit der Kalibrierung der Instrumente“, erklärt Peter, „dafür benötigen wir noch etwas Tageslicht.“ Sobald die Sonne untergegangen ist, starten die eigentlichen Messungen. Mit einem genauen „Fahrplan“ wird das Teleskop zum gewünschten Zeitpunkt auf einen Stern ausgerichtet. Eine einzelne Aufnahme dauert etwa 30 Minuten und wird für aussagekräftige Ergebnisse mehrfach wiederholt. Dabei dreht sich die schützende Kuppel mit, damit das Teleskop freie Sicht hat. Um trotz der Erdrotation ein scharfes Bild zu bekommen, gleicht das Teleskop diese Bewegung präzise aus. Diese Arbeit setzt sich fort bis 7 Uhr morgens, wenn der anbrechende Tag die Beobachtungen beendet.
Zwischen Kohlenstoff und Thorium
Schichtel untersucht für ihre Ende 2024 begonnene Doktorarbeit sogenannte carbon-enhanced metal-poor stars, kurz CEMP-Sterne. Diese stellaren Objekte zeichnen sich durch einen ungewöhnlich hohen Kohlenstoffanteil bei gleichzeitig geringem Vorkommen von Metallen aus. Diese chemische Zusammensetzung macht sie zu wertvollen Zeitkapseln der kosmischen Entwicklung, da sie Aufschluss über die Entstehung der chemischen Elemente in den frühen Phasen des Universums geben können. Peter fokussiert sich in ihrer Masterarbeit auf die Altersbestimmung besonders alter Sterne mittels des Elements Thorium. Dieses radioaktive Schwermetall mit einer beeindruckenden Halbwertszeit von etwa 14 Milliarden Jahren fungiert als kosmische Uhr.
Beide Wissenschaftlerinnen nutzen für ihre Forschung die Spektralanalyse, bei der das Licht der Sterne in seine einzelnen Wellenlängen zerlegt wird. „Jedes Element hinterlässt eine charakteristische Signatur im Spektrum, ähnlich wie ein Fingerabdruck“, erläutert Schichtel. Diese Methode erlaubt es, die chemische Zusammensetzung entfernter Himmelskörper zu bestimmen und daraus Schlüsse über ihre Entstehung und Entwicklung zu ziehen.
Perspektivwechsel
Am Ende ihres Aufenthalts unternehmen die Physikerinnen eine Wanderung zur Bergspitze des Roque de los Muchachos. Von dort bietet sich ein beeindruckender Blick über die Vulkaninsel und das Meer. Besonders faszinierend ist das Naturphänomen des Wolkenfalls, bei dem die Wolkendecke wie ein gewaltiger Wasserfall über die Bergkette zu fließen scheint. „Bombastisch“, sind sich die beiden einig. Ein Wort, dass die gesamte Forschungsreise gut zusammenfasst.