Die späte Frucht eines Sonderforschungsbereiches und der Kooperation von Goethe-Universität und Senckenberg
Am 15. November 2024 ist die „Flore illustrée du Burkina Faso et du Mali“ (im Folgenden kurz „Flora“) als Senckenberg-Buch 89 erschienen. Sie ist ein Meilenstein für die Kenntnis der Vielfalt von Blütenpflanzen und Farnen dieser Länder. Mit der „Flora“ ist nicht nur die Pflanzendiversität dokumentiert und durch Bestimmungsschlüssel, Detailzeichnungen und Verbreitungskarten die Identifikation von Pflanzen sehr erleichtert, das Werk stellt auch eine umfassende Grundlage für die Erhaltung der Pflanzenvielfalt beider Länder dar. Die Pflanzenwelt dieser Region ist für die Bevölkerung existenziell, liefert sie doch mit Nahrung, Bau- und Brennmaterial sowie Medikamenten unverzichtbare Lebensgrundlagen. Die medizinische Bedeutung der Pflanzen ist kaum zu überschätzen, da sie für große Teile der Bevölkerung immer noch die einzigen verfügbaren bzw. bezahlbaren Heilmittel liefern. Kenntnis der Pflanzenarten und ihrer Verbreitung sind Voraussetzung und Grundlage für einen effektiven Schutz dieser natürlichen Ressourcen und damit der Zukunftssicherung. Dies betonen auch die Bildungs- und Wissenschaftsminister beider Länder in ihrem Vorwort.
Mali und Burkina Faso erstrecken sich über Sahara, Sahel und Sudanzone und schließen damit Teile der flächenmäßig bei Weitem größten Vegetationszonen des Kontinents ein. Die Flora behandelt mit 2631 Arten alle Farn- und Blütenpflanzen beider Länder, von denen rund ein Viertel auch mit Farbbildern dokumentiert ist. In Burkina Faso finden sich davon 2100 Arten, in Mali 1854. Rund 51 Prozent der Arten (1338) kommen in beiden Ländern vor.
Das Werk ist in Französisch, der Landessprache beider Länder, verfasst und wurde von der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (Coopération Suisse) substanziell gefördert. Die Flora wird den Institutionen sowie den Forschern und Forscherinnen in Burkina Faso und Mali kostenlos zur Verfügung gestellt.
Diversitätserfassungen in weniger bekannten Gebieten, wie sie die Flora umfasst, werden heute dringender denn je benötigt. Die Erstellung braucht jedoch jahrzehntelange Vorarbeiten und ist im heutigen Wissenschaftsbetrieb mit seinen meist kurzen Drittmittelzyklen und der Fokussierung auf rasche Zitationen nur schwer realisierbar. Sie ist damit zu einer Kernaufgabe von Forschungssammlungen geworden, deren Forschungsprogramme naturgemäß längerfristig angelegt sind. Für die Flora spielte auch ein langfristiges Forschungsprogramm an der Goethe-Universität eine wichtige Rolle.
Multidisziplinärer Ansatz
Die Afrikaforschung in Frankfurt hat mit den Forschungsreisen im Nordosten und Osten des Kontinents und den Sammlungen des Privatgelehrten und 2. Senckenberg-Direktors Eduard Rüppell (1794–1884) wohl seine ältesten Wurzeln. Ein anderes wichtiges Datum in diesem Zusammenhang ist der Umzug des 1898 gegründeten Frobenius-Institutes 1925 nach Frankfurt und seine Anbindung an die Goethe-Universität. Die nun erschienene Flora ist gewissermaßen eine späte Frucht des von 1988 bis 2002 von der DFG geförderten Frankfurter Sonderforschungsbereiches 268 „Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne“. Mit seinem beispielhaften, multidisziplinären Ansatz (rund 50 Beteiligte aus Ethnologie, Linguistik, Geographie, Archäologie, Archäobotanik und Botanik) und seinen inhaltlichen und strukturellen Ergebnissen hat er die Forschung in diesem Bereich in Frankfurt nachhaltig geprägt.
Maßgebliche Architekten des Antrags waren die Professoren Eike Haberland (Ethnologie; in Personalunion Direktor des Frobenius-Institutes), Arno Semmel (Geographie), Jens Lüning (Archäologie), Herrmann Jungraithmayr (afrikanische Sprachwissenschaften) und Werner Fricke (Kulturgeographie). Erster Sprecher des SFB war 1988 bis 1992 Eike Haberland, nach seinem Tod gefolgt von Prof. Dr. Günter Nagel (1992–1998) und schließlich Prof. Dr. Peter Breunig (1998–2002). Im Bereich der rezenten Botanik, die erst ab 1990 nach der Berufung von Prof. Dr. Rüdiger Wittig im SFB etabliert wurde, entwickelte sich früh eine Kooperation mit der Abteilung Botanik/Paläobotanik (heute Botanik und molekulare Evolutionsforschung) des Senckenberg Forschungsinstitutes Frankfurt. Der damalige Leiter der Abteilung Botanik, Prof. Dr. Hans Joachim Conert, forschte auch über afrikanische Gräser, u. a. in Nigeria. Die im Laufe des SFB immer umfangreicher werdenden Herbar-Aufsammlungen aus Westafrika, zu denen auch die Archäobotaniker wesentliche Beiträge leisteten, wurden Teil des Senckenbergischen Herbars (FR), geographisch konzentrierte sich die botanische Forschung zunehmend auf Burkina Faso und Benin.
Ausbildung zahlreicher Forschenden
Im Laufe des SFB (und auch der nachfolgenden Forschungsprojekte in der Region) wurden zahlreiche afrikanische und deutsche Botaniker und Botanikerinnen ausgebildet, von denen einige heute als Professoren und Professorinnen der Botanik in den beiden Ländern tätig sind. Besonders zu erwähnen ist hier Prof. Dr. Adjima Thiombiano, der im Rahmen des SFB seine Studienabschlussarbeit und Dissertation anfertigte, im Rahmen eines der Anschlussprojekte habilitierte, schließlich Professor der Botanik und 2018 bis 2022 Präsident der Universität Thomas Sankara in Ouagadougou wurde. Seit 2022 ist er Minister für Hochschulbildung, Forschung und Innovation seines Landes. Zu den wichtigen inhaltlichen und strukturellen Auswirkungen des SFB zählt auch die Gründung des Zentrums für Interdisziplinäre Afrikaforschung (ZIAF) 2003. Seit über 20 Jahren spielt es eine wichtige Rolle für Vernetzung und Entwicklung der multidisziplinären Forschung und Lehre zu Afrika. Im botanischen Bereich schlossen sich über fast zwei Jahrzehnte internationale Drittmittelprojekte in Westafrika an, bei denen Goethe-Universität und Senckenbergische Botanik eng kooperierten. Dies war zunächst das vom BMBF geförderte BIOTA-Projekt (2001–2010), danach die EU-Projekte SUN (2007-2010) und UNDESERT (2010–2015).
Neben der Ausbildung von jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen war z. B. auch Bau und Einrichtung des Universitätsherbars in Ouagadougou Teil des „capacity buildings“ im Rahmen dieser Projekte. Inzwischen ist das Westafrika-Herbar bei Senckenberg eine der bedeutenden Sammlungen für Burkina Faso und Benin. Es war die Grundlage für ein aktuelles Inventar der Pflanzenarten von Burkina Faso, den 2012 erschienenen „Catalogue des plantes vasculaires du Burkina Faso“. Das Portal „African Plants a Photo Guide“ dokumentiert rund 13 000 afrikanische Arten mit Fotografien vom Standort und hatte inzwischen über eine Million Besucher. Der letzte und wichtigste noch fehlende Schritt zur vollständigen Kenntnis der Pflanzendiversität von Burkina Faso war die nun erschienene Flora, die auch das floristisch sehr ähnliche, flächenmäßig viel größere Mali umfasst. Für die Entstehung dieses Werkes waren weitere internationale Kooperationen Voraussetzung und umfangreiche wissenschaftliche Vorarbeiten nötig. So durch die jahrzehntelange botanische Forschung des Erstautors Jean César vor Ort, aber auch durch das von Cyrille Chatelain am „Conservatoire et Jardin Botanique“ in Genf aufgebaute und ständig aktualisierte Portal „African Plant Database“, die weltweite Referenz für die korrekten wissenschaftlichen Namen der Pflanzenwelt Afrikas.
Seit einigen Jahren ist auch der Frankfurter Palmengarten Teil des Forschungsverbundes und neben den Pflanzen sind auch die Pilze Forschungsgegenstand. Aktuell liegt der geographische Fokus der botanisch-mykologischen Forschung in Benin.
Georg Zizka
Der Botaniker Georg Zizka war Professor für Diversität, Evolution und Phylogenie Höherer Pflanzen am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität des Fachbereichs Biowissenschaften der Goethe-Universität, außerdem in Personalunion Leiter der Abteilungen Botanik und Molekulare Evolutionsforschung des Senckenberg Forschungsinstituts Frankfurt. Er forscht über die pflanzliche Diversität und Evolution der Blütenpflanzen, ihre Entstehung und Veränderung unter dem Einfluss des Menschen.