Ganzheitliche Lösungen für die Nutzenden

Im Gespräch: Dr. Yves Vincent Grossmann, seit März 2024 Leiter Forschungsdatenmanagement (FDM) und Bibliothek Naturwissenschaften (BNat) an der Universitätsbibliothek

Yves Grossmann. Foto: Dettmar

UniReport: Herr Dr. Grossmann, Sie sind neuer Leiter der Bibliothek Naturwissenschaften (BNat) auf dem Campus Riedberg. Gleichzeitig haben Sie auch die Leitung des Teams für Forschungsdaten an der Universitätsbibliothek übernommen. Welche Chancen sehen Sie bei dieser Verbindung von Bibliothek und Daten?

Yves Grossmann: Diese Verbindung ist vielleicht auf den ersten Blick ungewöhnlich. Ich finde sie aber letztendlich schlüssig und konsequent. Bezogen auf die Wissenschaft, sind Forschungsdaten für die Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen zunehmend wichtig. Dabei steht mit wachsender Tendenz nicht mehr nur der Text im Zentrum der wissenschaftlichen Publikationen, sondern auch Daten und Software. Es ergibt sich dadurch ein Drei-Säulen-Modell an Publikationstypen, auf denen wissenschaftliche Erkenntnisse beruhen: Text, Daten, Code. Dies hängt vielfach von der Kultur der jeweiligen Fachgemeinschaft ab. Gerade im naturwissenschaftlichen Bereich geht die Entwicklung klar in diese Richtung. Diesen Prozess hat man seitens der Universitätsbibliothek antizipiert und bei der Neubesetzung der BNat-Leitung gleich miteinander verknüpft. Ich finde diesen Ansatz sehr reizvoll. Er bietet die große Chance, ganzheitliche Lösungen für unsere Nutzenden zu entwickeln, um beispielsweise vor, während und nach einem wissenschaftlichen Projekt zu unterstützen.

Was sind Ihre Ziele für die ersten hundert Tage?

Eines meiner wesentlichsten Ziele für den Beginn war es, an der Institution Goethe-Universität rasch anzukommen und mich auf die lokalen Gegebenheiten einzustellen. Ich komme von der Max-Planck-Gesellschaft und war lange in München tätig. Sowohl der Wechsel von einer außeruniversitären Forschungseinrichtung zu einer etablierten Volluniversität als auch der geografische Wechsel von der Isar an den Main bringen viele Aspekte mit sich. Gleichzeitig habe ich die Freude, mit zwei unterschiedlichen Teams zusammenarbeiten zu dürfen. Es kommen dabei recht schnell viele verschiedene Personen und Themen auf mich zu. Dies alles hat mir persönlich geholfen, rasch in Frankfurt und der Goethe-Universität anzukommen. Als kurzfristiges Ziel habe ich mir vor allem im Bereich Forschungsdaten gesetzt, die Neustrukturierung zu nutzen, um unser Team und die Services besser in der Universität bekannt zu machen. Solche Interviews wie dieses hier spielen mir dabei natürlich zusätzlich in die Karten (lachend).

Welche Entwicklungen im Bibliotheksbereich erwarten Sie längerfristig?

Längerfristig erwarte ich, dass wir uns noch stärker an den Nutzenden ausrichten werden. Die Art und Weise, wie heute Forschung betrieben wird, wie gelehrt und gelernt wird, ändert sich. Wir als Universitätsbibliothek müssen uns daran anpassen. Wir befinden uns selbst in einem Transformationsprozess, um dies zu erreichen. Wesentliche Punkte in unserem Zielbild für 2026 sind etwa, dass wir die vielen Services noch stärker an Nutzenden ausrichten und sichtbarer gestalten. Es ist daher für mich unerlässlich, im Kontakt zu stehen mit allen unseren Nutzungsgruppen, unabhängig von Karrierelevel, Tätigkeitsbereich oder Fächergruppe. Nur so sehen meine Kolleginnen, Kollegen und ich die Möglichkeit, solche Services anzubieten, die zum Bedarf passen und einen wirklichen Mehrwert bieten. Gleichzeitig nehme ich aber auch wahr, dass viele Entwicklungen im Bereich Forschungsinfrastrukturen nur zeitverzögert in Forschung, Lehre und Studium ankommen. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) hat viele spannende Impulse entwickelt. Ich beobachte aber dabei, dass Forschungssoftware als ein vielfach eigenständiges Element der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Reproduzierbarkeit immer wichtiger wird. Die drei Säulen des eingangs erwähnten Modells werden sich angleichen. Ich sehe uns als Infrastrukturanbieter daher gut beraten, dass wir versuchen, solche Entwicklungen vorauszuahnen und gemeinsam mit unseren Nutzenden Lösungen und Dienste zu entwickeln.

Bibliotheken haben sich in den letzten Jahren zunehmend zu Orten des gemeinsamen Arbeitens und Lernens entwickelt. Gleichzeitig werden neue Anforderungen für die Unterstützung der Wissenschaft gestellt. Wie verbinden Sie dies?

Das ist die drängende Frage, mit der sich die UB intensiv auseinandersetzt. Ich bin nun mit meinem Zuständigkeitsbereich aktiv Mitgestaltender in diesem Prozess. Es gibt durchaus bundesweit Überlegungen, die „klassischen“ Tätigkeitsfelder von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren durch neue Handlungsfelder wie etwa Forschungsdatenmanagement zu erweitern und weiterzuentwickeln. Wir setzen uns abteilungsintern und in der UB insgesamt bereits damit auseinander, wie wir solche allgemeinen Entwicklungen im Konkreten umsetzen können. Neben dem Forschungsdatenmanagement betrifft dies auch die forschungsunterstützenden Services rund um Open Access und die Digital Humanities, aber auch neue Überlegungen zur Raumentwicklung. Es ist ein spannender Prozess, ich bin gespannt, wo wir in einigen Jahren stehen werden.

Das große Stichwort für die Weiterentwicklung der Bibliotheken lautet seit einigen Dekaden Digitalisierung. Wie beobachten Sie dies im konkreten Alltag?

Ich habe kaum noch Unterlagen, die auf Papier sind. Nahezu alle Dokumente, Vorgänge und Prozesse sind digital abgebildet. Ich habe daher auch gleich zu Beginn den Drucker aus meinem Büro abgebaut und zurückgegeben. Gleichzeitig nehme ich an mir selbst auch wahr, dass sich das Kommunikationsverhalten in den letzten Jahren deutlich verändert. Ich telefoniere kaum noch und die physischen Besprechungen nehmen ab. Gleichzeitig wird die Kommunikation über E-Mail und Chat, aber auch via Video-Konferenzen immer dominanter. Viele der Beratungsgespräche mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern finden nicht mehr vor Ort, sondern virtuell statt. Dies ist auch dahingehend praktisch, dass ich schnell Dinge zeigen kann, beispielsweise die Oberfläche und verschiedene Arbeitsschreiben beim Publizieren von Daten mit unserem institutionellen Data Repository GUDe. In den Geisteswissenschaften und anderen Bereichen mag die weitere Digitalisierung von Büchern und Archivalien durchaus wichtig sein und die UB wirkt dabei auch aktiv mit. In den Naturwissenschaften ist dies aber nur noch in Randbereichen ein Thema.

Haben Sie einen Lieblingsort in der BNat?

Ich genieße in der BNat den Blick von der Empore über den gesamten Lesebereich. Man sieht viele Nutzende und Bücher in einem lichtdurchfluteten Längsbau. Und all dies ist eingebettet in die spannende Architektur des Otto-Stern-Zentrums.

Nachfrage: Und an der Universität insgesamt?

Ich bin noch dabei, unsere Universität und ihre vielfältigen Orte zu entdecken. Intuitiv würde ich auf dem Campus Westend suchen. Aber ich hatte wohl einfach noch nicht die Chance, irgendwo lange zu verweilen. Über Hinweise wäre ich daher sehr froh.

Fragen: Dirk Frank

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