Ein von Astrid Franzke und Katrin Springsgut herausgegebener Sammelband beleuchtet die Gleichstellungsarbeit in der Wissenschaft. Viel sei zwar schon erreicht worden, viel gebe es aber noch zu tun, resümieren die beiden Herausgeberinnen im Gespräch mit dem UniReport.

UniReport: Frau Franzke, Sie haben das Wissenschaftssystem in der DDR noch miterlebt, haben dort studiert und promoviert. Was waren dort gute Ansätze in Bezug auf Frauenförderung und Gleichstellung, wo gab es Einschränkungen und was ist dann bei der Wiedervereinigung hinten runtergefallen?
Astrid Franzke: Zunächst einmal war das Thema Frauenförderung in der Wissenschaft in der DDR anders gerahmt. Die (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit der Frau galt als zentrale Voraussetzung für die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann. Zugleich war dies ein ökonomisches Erfordernis, das viele Frauen aber auch in ihr Selbstverständnis integriert haben. Dafür mussten gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichten, unterschiedliche Lebensmodelle zu leben. Es gab also durchaus die institutionelle Verantwortung, Vereinbarkeit zu ermöglichen. Dies galt ebenso für das Wissenschaftssystem. Und das hatte mit Kindereinrichtungen zu tun, aber auch mit Frauensonderstudienplänen, um als Frau mit Kind in der regulären Studienzeit das Studium abschließen zu können. Damit waren individuell andere Optionen auch möglich. In meinem Beitrag erwähne ich ja auch, dass es an der Universität Leipzig insgesamt zehn universitätseigene Kindereinrichtungen gab, von Kinderkrippen bis zu Kindergärten. Es gab darüber hinaus Instrumente zur Karriereförderung, insbesondere für Frauen durch Forschungsstipendien zur Promotion und Habilitationsaspiranturen, um letztendlich den Anteil an Professorinnen zu erhöhen und deren Erfahrungen für das Wissenschaftssystem verfügbar zu machen. Das ist, sagen wir mal so, in der Beschäftigungspyramide besser gelungen als zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik, es waren insgesamt mehr Frauen in allen Statuspassagen im Wissenschaftssystem. Dennoch wurden die patriarchalen Strukturen nicht beseitigt. In der oberen Hierarchie wurde der Anteil der Frauen geringer, auch in allen Fachdisziplinen. Schaut man sich nun die Wiedervereinigung an, dann wurde damals nicht wirklich daran gedacht, aus dem Wissenschaftssystem der DDR etwas zu übernehmen. Man wollte stattdessen eine möglichst schnelle Anpassung vornehmen. Die Chance zu nutzen, um das Gesamtsystem zu verändern, wurde vertan. Wissenschaftlerinnen aus der DDR, die zu dieser Zeit schon im Wissenschaftssystem etabliert waren, eine Professur innehatten oder auf einer (befristeten) Stelle waren, sind dann überwiegend hinuntergefallen.
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Eine Autorin des Sammelbandes – Ute Klammer – hinterfragt in ihrem Beitrag die Begriffe „exzellent“ und „Exzellenz“ durchaus kritisch. Woran macht sie ihre Kritik fest?
Katrin Springsgut: Bei der letzten Exzellenzinitiative konnten die Universitäten, die erfolgreich abgeschnitten haben, natürlich über die eingeworbenen Mittel auch im Bereich Chancengleichheit viel tun. Aber andere Universitäten, die nicht erfolgreich waren, konnten auf diesem Feld entsprechend weniger bewegen. Ute Klammer zeigt das auch anhand eigener Befragungen von Nachwuchswissenschaftler*innen auf. Ihr Fazit lautet, dass es eines breiteren Verständnisses von Exzellenz bedarf. Ansonsten werden die Bemühungen um mehr Chancengerechtigkeit konterkariert. Die von ihr befragten Nach- wuchswissenschaftlerinnen wünschen sich innovative Forschung, die auch einen gesellschaftlichen Bezug hat. Die starke Ausrichtung auf Drittmitteleinwerbung und Zahl der Publikationen wird hingegen kritisch gesehen, weil damit viele Menschen ausgeschlossen werden, zum Beispiel Menschen mit Sorgeverantwortung; Menschen, die keine linearen Wissenschaftskarrieren vorweisen können und damit eben die vermeintlichen Leistungskriterien nicht erfüllen können. Es wäre so gesehen schön, andere Kriterien anzulegen und auch zu beleuchten, welche Diskriminierungsrisiken es überhaupt gibt. Wenn Wissenschaftler*innen sichtbar zu sein haben, muss klar sein, welche Diskriminierungspotenziale das für bestimmte Gruppen birgt. Ute Klammer nennt das Beispiel, dass eine Muslimin mit Kopftuch nicht für ihre Arbeit gesehen wird, sondern nur als Stellvertreterin einer Gruppe, der sie anzugehören scheint. Das sind ganz viele komplexe Fragen, die da mitschwingen.
Franzke: Ute Klammer plädiert für ein breite(re)s Verständnis von Exzellenz, das nicht nur diese überwiegend quantitativen Aspekte gewichtet. Denn da können Frauen häufig mit ihren Lebensbiografien nicht mithalten. Gewichtet wird meistens nach Maßgabe linearer Wissenschaftsbiografie, die an einer männlichen Sozialisation entlang gedacht ist. Dabei wäre gerade Vielfalt ein großes Potenzial für unser Wissenschaftssystem, gerade vor dem Hintergrund von Internationalisierung. Beim ‚klassischen‘ Begriff von Exzellenz fehlt häufig, die gesamte Vielfalt der Bedingungen von hochwertiger wissenschaftlicher Leistung abzubilden. Leistung ist eben nicht komplett quantifizierbar. Zum qualitativen Portfolio, das Wissenschaftler*innen einbringen, gehören auch individuelle Erfahrungskontexte und Hintergründe. Das sichtbar zu machen, zutage zu fördern und darin ein Potenzial zu sehen, stünde für einen erweiterten Exzellenzbegriff.
Eine weitere Autorin des Sammelbandes – Karin Schittenhelm – beschäftigt sich mit der Doppelbödigkeit internationaler Mobilität hinsichtlich der Gleichstellung.
Franzke: Besonders nach der Postdoc-Phase besteht ja im Grunde genommen der unausgesprochene Anspruch, dass man als Wissenschaftler*in internationale Mobilität nachweisen muss. Auch aus meinen Erfahrungen über Mentoring Hessen weiß ich, dass Wissenschaftlerinnen, die lange im Ausland gewesen sind, zusätzlich die Schwierigkeit haben, nach dem Auslandsaufenthalt wieder in die deutsche Community zurückzufinden. Was man grundsätzlich sehen sollte: Internationale Expertise kann nicht nur durch räumliche Mobilität nachgewiesen werden, sondern auch durch eine entsprechende Präsenz in den für das jeweilige Fach relevanten, internationalen Netzwerken, Kooperationen und durch internationales Publizieren. Dafür bedarf es nicht immer eines kompletten Jahres in den USA, was für viele gleichbedeutend leider immer noch mit internationaler Mobilität ist.
Springsgut: Karin Schittenhelm hat im Rahmen ihrer Studie, für die sie Wissenschaftlerinnen und Paare begleitet und befragt hat, festgestellt, dass Frauen zwar während des Studiums öfter als Männer Auslandsaufenthalte vorweisen können, sie im späteren Verlauf ihrer Wissenschaftskarriere nur noch kürzere Auslandsaufenthalte einplanen können. Ein entscheidender Faktor hierfür ist die noch immer geschlechtsbezogene Verteilung der innerfamiliären Sorgearbeit. Das sollte verstärkt berücksichtigt werden. Bei vielen Paaren kippt das an einem gewissen Punkt: Wenn beide in der Wissenschaft tätig sind, stellt sich die Frage, in welches Land man geht und für wie lange? Wer nimmt die Elternzeit? Lena Eckert und Anne Frese gehen in ihrem Beitrag über die „University Care Culture“ darauf ein, dass es beispielsweise mehr Kinderbetreuung auf Tagungen geben müsste. Hier an der Goethe-Universität sind wir dabei, Wege zu finden: Es soll einen Mobilitätsfonds für Konferenz- und Forschungsreisen für Nachwuchswissenschaftler*innen mit Kind geben. Nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie aufgezeigt, dass innerhalb der Familien die Frauen die Hauptlast tragen, wenn Schule oder Betreuung ausfallen. Auch die Sorgearbeit im Hinblick auf die Pflege von Familienmitgliedern lag vor allem bei den Frauen. Dadurch hatten viele weniger Zeit für ihre Forschung.
Die Vereinbarkeit beziehungsweise Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Sorge ist sicherlich einer der zentralen Punkte in dem Großthema Gleichstellung.
Franzke: Der Beitrag der beiden Nachwuchswissenschaftlerinnen Lena Eckert und Anne Freese, die selber die Erfahrung der (Un-)Vereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaft gemacht haben, ist ebenso innovativ wie mutig: Man sieht, welch große Herausforderung es ist, in dieser Situation den Anschluss an die Community zu halten. Die beiden unterstreichen, dass es zwar viele Förderstrukturen gibt, die sich an Frauen richten, die aber das Thema Mutterschaft nicht bis in die letzte Konsequenz unterstützend mitdenken. Wir haben bestimmte Richtlinien, bei denen sich verschiedene Förderansätze nicht miteinander kombinieren lassen.
Springsgut: Auch als Universität stoßen wir manchmal an Grenzen, wenn Unterstützungsmaßnahmen, die wir gerne implementieren würden, auf rechtliche oder praktische Hürden in der Umsetzung treffen. Das war etwa bei der Einrichtung des Fonds FlexiKids zur Finanzierung von Kinderbetreuung zu Randzeiten der Fall. Da haben wir wirklich lange mit den zuständigen Abteilungen drangesessen, um eine gute Lösung zu erarbeiten. Unser Präsidium hat uns an der Stelle sehr gut unterstützt. Die Komplexität des Themas bedeutet: Gibt es familienfreundliche Arbeits- und Gremienzeiten? Sind Führungskräfte sensibilisiert für die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Personen mit Sorgeverantwortung? Und da arbeiten wir natürlich als Büro für Chancengerechtigkeit auch an Lösungen.
Frau Franzke, Ihre Kollegin Anja Wolde, die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Goethe-Universität, sagt in ihrem Vorwort mit Blick auf die Frauenförderungs- und Gleichstellungsarbeit: „das Glas ist halb voll, das Glas ist halb leer“. Würden Sie sich dem anschließen?
Franzke: Ich denke schon. Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch etwas zu dem Konzept unseres Sammelbandes sagen: Wir haben im Prinzip sozialwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung mit dem Fokus auf Hochschulen und Wissenschaft zusammengeführt mit Gleichstellungsarbeit und Frauenförderung. Beides zusammenzudenken, ist wichtig für den Blick auf Weiterentwicklung von konkreten Gleichstellungsmaßnahmen, die aus meiner Sicht zukünftig in Richtung Diversität weiter ausgestaltet werden müssen. Alles, was wir in Zukunft entwickeln, muss strukturell und finanziell durchdacht und nachhaltig sein. Bei vielen Projekten machen wir gute Fördererfahrungen, aber es gelingt nicht immer, nach Abschluss dieser Projekte diese Ideen in die regulären Strukturen zu überführen. Ich habe persönlich erlebt, dass es immer wichtig ist, selber eine positive Haltung zu Veränderungen zu haben. Dann gelingen einem die Übergänge und man entdeckt Angebote, kann sich in neue Netzwerke hineinentwickeln. Und eine Atmosphäre des Produktiven und Kooperativen zu suchen, finde ich ganz wichtig. Ich hatte im Rückblick die große Chance, in Projekten genau diese Dinge zu befördern. Auch Wissenschaftlerinnen befinden sich in Konkurrenz zueinander, sodass man schauen muss, wie man solidarisch zusammenwirken kann und sich gegenseitig unterstützt. Dafür findet man unzählige Beispiele in den Beiträgen unseres Buches.
Springsgut: Ich würde mich der Einschätzung „das Glas ist zugleich halb voll und halb leer“ anschließen. Einerseits ist Gleichstellungsarbeit nicht mehr aus den Hochschulen wegzudenken. Der Frauenanteil steigt stetig. Die Instrumente aus der Frauenförderung sind etabliert, die wir ja auch in unserem Sammelband teilweise beleuchten. Und was ich auch sehr positiv finde, dass die intersektionale Perspektive immer mehr berücksichtigt und umgesetzt wird. Andererseits aber sehen wir auf der Führungsebene, dass dort die Frauenanteile stark schwankend sind. Wir haben auch recht wenig Dekaninnen an unserer Hochschule. Man darf sich also nicht auf dem ausruhen, was man erreicht hat.
Ich würde da auch noch mal an die Hochschulen appellieren, da ihre Verantwortung zu sehen: Sie sind nicht nur Orte der Wissensproduktion und Innovation, sondern auch der Demokratieförderung, der Gleichstellung und der Diversität. Und wenn wir die jetzige politische Lage weltweit anschauen, sehe ich durchaus Risiken, dass wir wieder Rückschritte machen könnten, auch in Deutschland. Der Wettbewerb um Ressourcen wird sich in den nächsten Jahren verschärfen.
Astrid Franzke und Katrin Springsgut (Hrsg.):
Gleichstellung im Wandel. Neue Herausforderungen und Karrierewege von Frauen in der Wissenschaft.
Sulzbach: Verlag Ulrike Helmer 2025 (mehr dazu auf S. 26 dieses UniReports)