Vogelgezwitscher finden alle angenehm

Wie begeistern Biologielehrer*innen Schüler*innen für ihr Fach? Im ersten „Workshop on Biological Sciences“ trafen acht Studierende des Kibbutzim College of Education, Technology and the Arts in Tel Aviv mit acht Studierenden der Biowissenschaften zusammen, um genau das zu lernen. Und zwar gemeinsam und im Austausch. Auf dem Programm standen neben Vorlesungen auch ein Besuch beim Riedberg-Gymnasium sowie Führungen durch das Senckenberg Museum und den Opel-Zoo. Durch das Sozialprogramm waren die Besucher*innen zudem in der Lage, ganz neue Eindrücke zu jüdischem Leben in Frankfurt zu erhalten.

Es ist kalt und windig, als die Teilnehmer*innen am Montagmorgen das erste Mal im Biologicum auf dem Campus Riedberg aufeinandertreffen. Die israelischen Studentinnen und ihre Begleitpersonen sind am Tag vorher gelandet. Für einige ist es das erste Mal in Deutschland, für alle die erste Austauscherfahrung mit einer Universität im Ausland. Noch sitzt man getrennt in Grüppchen, Wortfetzen von Deutsch, Hebräisch und Englisch füllen den Raum. Doch schon die Vorstellungsrunde gibt Anlass, sich auszutauschen, haben doch viele israelische Namen eine Bedeutung, noch dazu manche eine naturwissenschaftliche. Yuval erklärt, dass ihr Name „Bach“ bedeutet, während Bar auf die Wurzeln des Adjektivs „wild“ in ihrem Vornamen eingeht und Shahar sagt, dass ihr Vorname „Sonnenaufgang“ bedeutet.

Auch deutsche Namen können eine Bedeutung haben, greift Prof. Ingo Ebersberger den Impuls auf und erklärt, dass sein Vorname sich von „Ingwio“, dem Namen des Stammesgottes des germanischen Volkes der Ingväonen ableite. Dann schlägt der Forschungsdekan am Fachbereich Biowissenschaften gleich die Brücke zum Unterricht, in dem gerade Bildsprache sich ideal dafür eignet, Schüler*innen die Augen zu öffnen: „In der Lehre, und vor allem in der Kommunikation über Grenzen, Gemeinschaften und Kulturen hinweg, ist es maßgeblich wichtig, der Person gegenüber zu vermitteln, welche Bilder man im Kopf hat. Für junge Lehrerinnen ist das oft extrem schwierig, da Kinder manchmal gelangweilt sind und nicht verstehen, warum sie so etwas lernen müssen. Das Ziel besteht darin, ihnen zu vermitteln, warum dies wichtig, interessant, ja sogar cool ist.“ Die Naturwissenschaften, Mathematik und IT eigneten sich dabei besonders, denn es gehe hier in vielen Fällen um „common sense“.

Ebersberger gibt den Studierenden den Rat mit, die gemeinsame Zeit zu nutzen, um miteinander zu reden, sich zu begegnen, Spaß zu haben und über ähnliche „common sense“-Lernmethoden nachzudenken. Dann geht es auch schon weiter. Die Uhr tickt und der nächste Programmpunkt lässt sich nicht schieben: Der Unterricht der neunten Klasse am Riedberg-Gymnasium beginnt pünktlich.

„Die Menschen gut ausbilden, die später unsere Kinder ausbilden“

Akribisch vorbereitet wurde der erste Austausch zwischen dem Kibbutzim College of Education, Technology and the Arts in Tel Aviv, an dem rund ein Viertel aller Lehrkräfte in Israel ihren Abschluss machen, und dem Fachbereich Biowissenschaften von der Referentin für Forschung und Internationales am Fachbereich Biowissenschaften Dr. Anne Schrimpf-Alt, dem Dekan der Naturwissenschaften am Kibbutzim College Prof. Dr. Adiv Gal sowie seiner Kollegin Dr. Iris Alkaher.

Gemeinsam haben sie für den Aufenthalt vom 31. März bis zum 4. April ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt: Das reicht von Vorlesungen und einem Schulbesuch über einen Abstecher zum Opel-Zoo, dem Senckenberg Museum und dem Wissenschaftsgarten der Universität bis hin zu einem Begleitprogramm. Dieses, von Sandra Binnert aus dem Fachbereich Erziehungswissenschaften und Dr. Anne Schrimpf-Alt konzipiert, sieht den Besuch der Westend-Synagoge, eine Führung im Jüdischen Museum und eine Einführung in das Konzept von Stolpersteinen vor. „In diesen schwierigen Zeiten ist es uns wichtig, die Menschen gut auszubilden, die später unsere Kinder ausbilden“, fasst Prof. Ebersberger das Ziel des Austauschs zusammen. Ein Highlight für die Studierenden beider Länder: sich untereinander austauschen. Zum Beispiel beim gemeinsamen Unterrichtsbesuch des Riedberg-Gymnasiums.

Onomatopoesie „at work“: Auf Hebräisch heißt Grille „tsar-tsar“

Studierende unterhalten sich. Foto: Uwe Dettmar, Goethe-Universität Frankfurt
Kibbutzim-College-Studentinnen Bar (Mitte) und Yuval (rechts) nutzen die Arbeit an unterschiedlichen Stationen, um mit Schüler*innen des Riedberg-Gymnasiums in den Austausch zu kommen. Foto: Uwe Dettmar

Die Schule liegt nur einen kurzen Spaziergang vom Biologicum und Campus Riedberg entfernt. Die Studierenden nutzen die Chance, um erste Kontakte zu knüpfen. Am Folgetag wird es eine Studieneinheit zum Verhalten von Zweifleckgrillen geben – ein interessantes Thema, sind sich die Student*innen aus Israel einig, auch wenn viele Vorlieben für andere Tierarten haben. Tomer beispielsweise liebt Meerestiere – von Fischen zu Delfinen und Haien. Die 21-Jährige studiert Sonder- und Wissenschaftspädagogik; es ist ihr erstes Mal in Deutschland.

Ebersbergers Ermutigung, „common sense“ anzuwenden – wörtlich übersetzt als die „gemeinen Sinne“ oder den gesunden Menschenverstand – findet direkt im Spaziergang Anwendung. „Das hebräische Wort für Grille ist ‚tsar-tsar‘“, erklärt Yuval, 27. „Die Aussprache hört sich so an wie das Geräusch, das die Insekten ausstoßen.“ Womit die Studentin aus Israel ohne es zu wissen bereits einen Bogen zur kommenden Unterrichtsstunde schlägt, in der sich alles um das Thema „Hören“ drehen wird.

Passend zum Thema Sinne, Hören und Gemeinsamkeiten gestaltet sich auch die Ankunft an der Schule, denn hier steppt – und das nicht nur sprichwörtlich – der (Puh-)Bär. Die letzte Woche der Oberstufe hat begonnen, es laufen verkleidete Schüler*innen herum, Musik hallt in den Pausen aus einem offenen Saal. Das Motto ist „Helden der Kindheit“ – bei dem Rundgang kommt die Gruppe unter anderem an Super Mario, Pikachu, Pippi Langstrumpf und Harley Quinn vorbei. „Macarena“ spielt im Hintergrund – als würde die Musik unterstreichen wollen, dass Popkultur ebenso grenzüberschreitend ist, wie Super Mario für Menschen unterschiedlichster Kulturen selbstverständlich ein Kindheitsheld war/ist, oder dass es ein Lied namens „Macarena“ gibt, dessen Melodie weltweit bekannt ist und zu dem manche auch die entsprechenden „dance moves“ perfektioniert haben.

Zur Begrüßung im Auditorium gibt Dr. Maria Kleemiß, kommissarische Fachbereichsleiterin Naturwissenschaften, den Besucher*innen, die von Prof. Dr. Sven Klimpel, dem Dekan des Fachbereichs Biowissenschaften begleitet werden, Informationen zu der Schule an die Hand: Das ökofreundliche Gebäude sei mit 16 Jahren quasi noch ein Teenager, knapp 130 Lehrer*innen unterrichteten hier. „Mit der Goethe-Universität verbindet die Schule eine nunmehr zwölfjährige Partnerschaft“, erklärt Klimpel.

Aufeinander-Hören, Voneinander-Lernen, Miteinander-Austauschen

Im Klassenraum von Dr. Anne Hahn ist alles auf den Besuch ausgerichtet. Das Thema der heutigen Stunde ist Wahrnehmung, genauer: Gehör. Die Biologielehrerin spielt sieben unterschiedliche Tonsequenzen vor und bittet die Klasse, diese in Zweierteams nach ihrer Empfindung zu sortieren – hört sich das Geräusch eher angenehm oder unangenehm an?

Meeresrauschen, ein Rasenmäher, Vogelgezwitscher, ein schreiendes Baby, Straßenverkehr – in den Diskussionen stellt sich heraus, dass es viele Gemeinsamkeiten, aber durchaus auch Unterschiede in der Wahrnehmung bestimmter Geräusche gibt. Für Goethe-Uni-Studentin Isabella, 26, die gerade ihren Bachelor in Biowissenschaften absolviert, ist das Meeresrauschen angenehm, während ihre Diskussionspartnerin Shahar, 24, die Sonder- und Wissenschaftspädagogik studiert, das Geräusch als eher unangenehm wahrnimmt. Bei Vogelgezwitscher sind sie sich einig: angenehm! Straßen- und Baulärm empfinden beide störend und finden dabei gleich eine weitere Gemeinsamkeit: In Frankfurt wie auch der Partnerstadt Tel Aviv wird permanent überall gebaut!

Vier Tage später, bei einem gemeinsamen Mittagessen auf dem Campus Westend, stellt sich heraus: Gemeinsamkeiten haben die teilnehmenden Studierenden des ersten „Workshop on Biological Sciences“ zuhauf gefunden – und dort, wo es Unterschiede gibt, haben sie nicht mit Nation oder Religion zu tun. Zum Beispiel sind Lily aus Israel und Giorgio aus Frankfurt beide Gegner von Zoos. Trotzdem haben sie an der Führung teilgenommen und hinterher ihren Kommiliton*innen erklärt, warum sie gegen Tierhaltung im Zoo sind. Ganz im Sinne des Aufeinander-Hörens, Voneinander-Lernens und Miteinander-Austauschens.

Kibbutzim-College-Studentinnen Bar (Mitte) und Yuval (rechts) nutzen die Arbeit an unterschiedlichen Stationen, um mit Schüler*innen des Riedberg-Gymnasiums in den Austausch zu kommen. Foto: Jürgen Lecher, Goethe-Universität Frankfurt
Foto: Jürgen Lecher

Ein Höhepunkt des kulturellen Rahmenprogramms war der Vortrag und die Führung der Stolperstein-Initiative in Frankfurt am Main. Dr. Martin Dill, selbst Biologe, konnte zusammen mit seiner Frau Ute Bramann die Studierenden einfühlsam an das Projekt heranführen. Nach dem Vortrag machte sich die Gruppe mit einigen Mitarbeiter*innen des Fachbereichs Erziehungswissenschaften auf den Weg zu den Stolpersteinen, die rund um den Campus Westend verlegt wurden. Natürlich hatte Dill seinen Eimer mit Reinigungsutensilien dabei, denn »die Steine werden zwar regelmäßig gereinigt, aber eine Auffrischung kann man immer gut gebrauchen«. Während des Putzens wurden die Biographien der Menschen, die in den Häusern gewohnt haben, vorgelesen und Bramann erklärte, wie es zur Verlegung der Steine kam. Nachdem Dill einige der Steine frisch poliert hatte, griffen einige der Student*innen kurzerhand selbst zu den Utensilien. Ein bewegender Moment, den wohl alle Beteiligten nicht vergessen werden.

Sandra Binnert

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