Maike Windbergs: Durch ENABLE möchten wir die Schnittstellen von Infektionen, Entzündungen und Immunantworten besser verstehen lernen, um neue Ansätze für bisher nicht adäquat heilbare Krankheiten zu entwickeln.
Ivan Đikić: COVID-19 ist hier ein gutes Beispiel – schwere Verläufe gehen meist mit einer überschießenden Immunreaktion einher, bei der das Immunsystem letztendlich körpereigenes Gewebe angreift und zerstört.
Windbergs: Auch wenn wir beide in der Grundlagenforschung arbeiten, wurde unsere Ausbildung als Mediziner beziehungsweise Apothekerin von der Motivation geleitet, einige der größten biomedizinischen Herausforderung unserer Zeit zu lösen. Dies kann nur in einem interdisziplinären Konsortium erreicht werden, weshalb es wichtig ist, ein Team aus verschiedenen Spezialistinnen und Spezialisten zusammenzustellen, um völlig neue Forschungsansätze zu finden.
Đikić: Dieses Projekt ermöglicht uns, die bereits vorhandenen Plattform-Technologien weiter auszubauen und so einzusetzen, dass neue Erkenntnisse zügig in den klinischen Kontext transferiert werden können. Abgesehen davon, dass wir damit einen wichtigen Beitrag für neue therapeutische Strategien leisten, tragen wir auch entscheidend zur Ausbildung einer neuen Generation von interdisziplinären Forschern und Forscherinnen für die Zukunft bei.
Windbergs: Eine große Herausforderung besteht natürlich darin, die Schnittstellen und das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Mechanismen im menschlichen Körper zu verstehen und dafür die geeigneten Tools und Modelle – zum Beispiel humane 3D-Gewebemodelle – zu entwickeln. Mit solchen Modellen ahmen wir die Situation im menschlichen Körper gezielt nach, um dann die Übertragbarkeit in die Klinik zu ermöglichen. Auf diese Weise können wir zum Beispiel zielgerichtet Strategien für hochwirksame Antibiotika und Virostatika entwickeln.
Đikić: Am Ende kennen wir aber nie alle Hürden, die in einem Projekt auf uns zukommen werden. Das ist ja in gewisser Weise auch der besondere wissenschaftliche Reiz – wir bewegen uns auf neuem Terrain, und da gibt es immer wieder überraschende Entdeckungen und ebenso unerwartete Herausforderungen. Es ist daher essenziell, über das richtige Team und die geeignete Infrastruktur zu verfügen, um flexibel und schnell auf neue Erkenntnisse reagieren zu können.
Windbergs: Eine prägende Erfahrung für uns alle war sicherlich, wie die in Mainz entwickelte Plattform-Technologie zur Produktion mRNA-basierter Impfstoffe in Rekordzeit zur Entwicklung wirksamer COVID-19-Impfstoffe geführt hat. Aus meinem Labor nehme ich insbesondere die gelungene Nachbildung von lebensfähigen menschlichen 3D-Geweben mit, mit denen wir auch Krankheitszustände simulieren können. Diese werden für die geplanten Projekte äußerst wertvoll sein, um im Gewebekontext Mechanismen zu untersuchen und therapeutische Strategien zu validieren.
Đikić: Vor einigen Jahren hat mein Labor eine bahnbrechende Entdeckung gemacht, als wir eine bislang unbekannte Art der Ubiquitin-Modifikation durch Legionellen-Enzyme mechanistisch bis ins Detail aufklären konnten. Der Einsatz eines ganzen Repertoires aus struktur- und funktionsaufklärenden Studien ermöglichte es uns, sowohl molekulare Details als auch die Abläufe im zellulären Kontext einer Legionellen-Infektion zu verstehen. Dieses breite Methodenspektrum, das wir mittlerweile auch mit bioinformatischen Methoden, zum Beispiel dynamischer Modellierung, kombinieren, ist zum unverzichtbaren Rüstzeug für die Zukunft geworden. Mit unserem Zukunftscluster PROXIDRUGS haben wir zudem erstmals die Grundlage für die Entwicklung von Molekülen gelegt, die auch therapeutisch einsetzbar wären.