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Sustainibility & Biodiversity

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Was sagen vergangene Warmzeiten über unsere CO₂-Klimazukunft aus? Und wie beeinflusst die chemische Belastung des Planeten den Rückgang der Artenvielfalt?

Im Profilbereich Sustainability & Biodiversity erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Themen Nachhaltigkeit, Biodiversität, Erdsystem und Umwelt. So geht es in einem Schwerpunkt um Wetter- und Atmosphärenphänomene und Klimamodellierungen. Ein weiterer Schwerpunkt verknüpft Fragen zu Biodiversität und Nachhaltigkeit mit den Bereichen Globalisierung, Gentechnik und ökonomischen Gründen von sozialer Ungleichheit.

Um die Folgen von Klimawandel und Umweltverschmutzung zu verstehen, braucht es nicht nur naturwissenschaftliches Wissen: Im Forschungsprojekt RobustNature arbeiten Soziolog*innen und Ökonom*innen eng zusammen.

Klimawandel, Artenschwund und Umweltverschmutzung sind die drei großen Bedrohungen für das zukünftige Leben auf der Erde. Wie viel hält unser Ökosystem aus, bis seine Fähigkeiten zur Anpassung versagen? Die Grenzen für den Klimawandel sind inzwischen gut erforscht. Weniger ist bekannt über seinen unmittelbaren Einfluss auf den Artenschwund. Ebenso weiß man bisher kaum, wie die Umweltbelastung durch Chemikalien, Krankheitserreger und invasive Arten sich auswirken. Doch vieles weist darauf hin, dass die Grenzen der Belastbarkeit bereits überschritten sind.

Dass die Reaktionen der Ökosysteme auf menschliche Eingriffe erst rückblickend sichtbar werden, liegt an der Komplexität der wechselseitigen Einflüsse. So können Pflanzenschutzmittel indirekt die Verbreitung tropischer Erkrankungen begünstigen. Artenschwund wirkt sich auf Dienstleistungen des Ökosystems aus und damit auch auf das menschliche Wohl. Forscher sprechen inzwischen von »One Health«, das heißt, menschliche Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit irdischer Ökosysteme verbunden.

»Die Zusammenhänge allein auf naturwissenschaftlicher Ebene zu verstehen, ist schon eine große Herausforderung«, sagt Prof. Henner Hollert, Sprecher von RobustNature. Dabei arbeiten Forschende aus der Biologie mit Spezialist*innen aus der Umwelt- und Atmosphärenforschung zusammen. Darüber hinaus zielt das Projekt RobustNature darauf, die sozio-ökonomischen Folgen des Wandels zu verstehen und herauszufinden, wie die Robustheit und Resilienz der Systeme auf der Erde gestärkt werden können. Wie müsste gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel gestaltet werden?

Für ein transdisziplinäres Projekt solchen Ausmaßes ist Frankfurt ein idealer Standort: Hohe Kompetenz in der Biodiversitäts- und Umweltforschung wurde durch strategische Berufungen von Expert*innen erzielt etwa im Bereich Naturschutz, der Transdisziplinären Forschung, der Ökosytemanalyse und der Naturstoffgenomik. Diese arbeiten gemeinsam in Projekten etwa mit dem Kompetenzzentrum Wasser, dem LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik,  DFG-Projekten zu OneHealth und der Wasser- und Hochwasserforschung. Ergänzt wird die Kompetenz durch Kooperationen mit dem Forschungsinstitut Senckenberg und dem Institut für Sozialökologische Forschung (ISOE). »Damit haben wir vor Ort schon die Anbindung an die gesellschaftswissenschaftliche Forschung. Zusätzlich haben wir mit dem Leibniz-Institut SAFE die Wirtschaftswissenschaften ins Boot geholt«, sagt Hollert.

Durch Kooperation mit den Rhein-Main-Universitäten (RMU) erweitert sich das Know-how um die Ingenieurwissenschaften und Geschichtswissenschaften an der TU Darmstadt, hinzu kommen die Insektenbiologie an der Universität Gießen und der Bereich Angewandte Ökologie und Bioressourcen am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME). Wichtige Partner sind zudem das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz sowie das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UfZ) in Leipzig.

Um die transdisziplinäre Forschung zu fördern, sieht RobustNature neben den fachspezifischen »Competence Areas« auch interdisziplinär besetzte »Translational Research Areas« vor. Ergänzt werden sie von Synergy Funds kleinerer inter- und transdisziplinärer Projekte. Diese werden zu 60 Prozent von Early Career Researchers geleitet, was die hohe Relevanz der Nachwuchsförderung im Projekt unterstreicht. Ein Beispiel ist die Hochwasserforschung nach den extremen Überschwemmungen im vergangenen Sommer an Ahr und Rur. Hier ging es nicht nur um die Analyse der Umweltbelastungen durch Giftstoffe, die mit dem Hochwasser vom Flussbett aufgewirbelt und verteilt wurden, sondern auch um die Frage, wie solche Katastrophen die Naturverbundenheit und die Wahrnehmung der Betroffenen beeinflussen.

»Da gibt es noch Überraschungen«

Aktuell untersucht eine Gruppe die Auswirkungen von Heiz- und Motorenöl, das vom Hochwasser aus Öltanks und Autos gespült wurde. Fische reagieren vor allem in den frühen Entwicklungsstadien empfindlich auf Schadstoffe: »Schon bei sehr geringen Konzentrationen ist die Augen-Entwicklung gestört«, berichtet Projektleiterin Sarah Johann über erste Ergebnisse. »Wir müssen die Mechanismen der toxischen Einwirkung erst auf der molekularen Ebene aufklären, bevor wir weiter zu Organen, Organismen und Populationen gehen.« Sie hält es für sehr wahrscheinlich, dass geschädigte Fisch-Populationen sich anders verhalten werden. Zumal Auswirkungen der Öle auf weitere Sinnesorgane wie den Geruchssinn oder das Seitenlinienorgan nicht ausgeschlossen sind. Diese Fragen untersuchen die Forscher*innen gegenwärtig mit Entwicklungsbiologen und den hochauflösenden bildgebenden Verfahren der Abteilung von Prof. Ernst Stelzer, ebenfalls Sprecher von RobustNature.

„Wir wollen verstehen, wie sich die Umweltverschmutzung auf die biologische Vielfalt auswirkt.“

In den Translational Research Areas wollen Natur- und Gesellschaftswissenschaften Hand in Hand weitere sozio-ökonomische Aspekte untersuchen. Etwa: Was belastet die Bevölkerung im Ahrtal? Welche Pläne gibt es zur Schadensbegrenzung für Mensch und Umwelt? Henner Hollert weiß: »Da gibt es oft noch Überraschungen. Langfristig wollen wir über experimentelle Studien und Modellierungen verstehen, wie sich die Umweltverschmutzung auf die biologische Vielfalt auswirkt, auf die Gesundheit der Ökosysteme, die Verbreitung von Krankheitserregern und das menschliche Wohlbefinden und welche Hebel es zur Transformation der Gesellschaft gibt.«

(ahv)

Nachgefragt bei...

Henner Hollert

Welches Problem wollen Sie mit Ihrer Forschung gern besser verstehen?

In RobustNature beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sich die globale Herausforderung der Umweltverschmutzung im Zusammenspiel mit Klima- und Landnutzungsänderungen auf die biologische Vielfalt, die Gesundheit der Ökosysteme und das menschliche Wohlbefinden auswirkt. Wir fragen also: Was sind die gesellschaftlichen Triebkräfte der Umweltverschmutzung und die Hebel zur Veränderung?

Was ist Ihnen daran persönlich wichtig?

Die Bedeutung der Umweltverschmutzung, also der Chemikalien, Krankheitserreger und invasiver Arten auf den Verlust der Biodiversität, ist noch nicht umfassend verstanden. Meines Erachtens ist das Verständnis dieser Zusammenhänge und die Entwicklung von Lösungen für eine gesellschaftliche Transformation eine der großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Und wichtig ist mir daran, in einer inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit hier mit Forscher*innen verschiedener Disziplinen dieses Thema anzugehen.

Was ist die größte Hürde?

Alle Wissenschaftler*innen müssen eine gemeinsame Sprache entwickeln und lernen, nicht linear, sondern vernetzt zu denken.

Gibt es eine Erkenntnis, die Sie besonders geprägt hat und die Sie als Rüstzeug in Ihr Projekt mitnehmen?

Die Entscheidung der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Nairobi in diesem Jahr, einen Weltchemikalienrat zu gründen, und aktuelle Publikationen zu der Bedeutung der Chemikalien im Konzept der Planetaren Leitplanken (engl. Planetary Boundaries) zeigen die große Notwendigkeit dieser Forschung.

Prof. Dr. Dr. h.c. Henner Hollert ist Stellvertretender Geschäftsführender Direktor des Instituts für Ökologie, Evolution und Diversität am Fachbereich Biowissenschaften und gemeinsam mit Prof. Dr. Ernst Stelzer Sprecher des Forschungsprojekts RobustNature.

Wolken, Regen und Wind entstehen in der Troposphäre, die unseren Globus erdnah umgibt. Wie aber werden Wetter und Klimawandel von der Tropopausenregion beeinflusst, die dicht darüber liegt? Das untersuchen Atmosphärenforscher*innen in einem SFB-Transregio.

Nicht alle Schichten, die unseren Globus umgeben, sind gleich gut bekannt. Wenig erforscht ist etwa die Tropopausenregion: Sie befindet sich zwischen der erdnahen Troposphäre, in der sich die Luft mit zunehmender Höhe abkühlt, und der Stratosphäre, in der die Luft wieder wärmer wird; aufgrund dieses Temperaturverlaufs können sich die Luftpakete unterhalb der Tropopause ständig durchmischen, während die vertikale Durchmischung in der Stratosphäre viel geringer ist. In der zehn bis zwölf Kilometer mächtigen, dazwischenliegenden Zone, der Tropopausenregion, bleibt die Temperatur dagegen gleich. Was das für die in der Klimaforschung interessanten Transport- und Austauschprozesse von Wasserdampf, Ozon und feinen Schwebeteilchen (Aerosole) bedeutet, erforscht der Sonderforschungsbereich (SFB) »Die Tropopausenregion in einer Atmosphäre im Wandel« – kurz TPChange.

Wie beeinflusst die Tropopausenregion etwa die Entstehung von Wolken in den Tropen? Dies ist eine der Fragen, die die Wissenschaftler*innen beschäftigt. Wolken haben eine große Bedeutung für das Klima: Einerseits reflektieren sie Sonnenstrahlung und wirken wie ein Sonnenschirm. Andererseits halten sie Wärmestrahlung von der Erde wie ein Treibhausdach. Wenn man wissen will, wie groß diese kühlenden und wärmenden Effekte sind, muss man auch verstehen, wie Wolken entstehen. Dafür braucht es feine Partikel, an denen Wasserdampf kondensieren kann.

»Eine Hypothese ist, dass die Tropopausenregion in den Tropen die entscheidende Region für die Entstehung neuer Aerosolpartikel ist. Denn in Gewitterwolken werden Substanzen vom Boden sehr schnell in eine Höhe von 12 bis 13 Kilometern transportiert«, erklärt Atmosphärenforscher Prof. Joachim Curtius von der Goethe-Universität. »Wir würden gerne nachweisen, dass sich dadurch in der oberen Troposphäre massiv neue Aerosolpartikel bilden, die wachsen, abwärts transportiert werden und dann die ganze Troposphäre mit Kondensationskernen für die Wolkenbildung versorgen.« Daran schließen sich auch Fragen an, wie zusätzliche Aerosole durch menschliche Aktivität langfristig den Strahlungshaushalt der Erde verändern.

Dass die Prozesse in der Tropopausenregion inzwischen mehr ins Bewusstsein der Atmosphärenforscher*innen gerückt sind, ist der verbesserten Messtechnik zu verdanken. So können jetzt auch kleinste Aerosolpartikel von zwei bis drei Nanometern Durchmesser erfasst werden (ein menschliches Haar ist ungefähr 70 000 Nanometer dick). »Wir wissen, dass die neugebildeten Aerosolpartikel pro Stunde um etwa einen Nanometer wachsen. Das bedeutet, dass wir das Wachstum schon nach zwei bis drei Stunden verfolgen können«, erklärt Curtius.

Vormals konnten Partikel erst bei einer Mindestgröße von 10 bis 20 Nanometer nachgewiesen werden; dabei wussten die Forscher*innen nicht, wo und wie die Partikel genau entstanden waren. Die Messzeit war zudem auf einige Stunden, nämlich die Flugdauer, begrenzt.

Atmosphäre im Wandel

Prof. Andreas Engel und Dr. Tanja Schuck vom Institut für Atmosphäre und Umwelt an der Goethe-Universität sind Spezialist*innen für solche Messungen. Mithilfe von Messinstrumenten auf Flugzeugen und Ballonen untersuchen sie, wie Spurengase in die Tropopausenregion transportiert werden. Und wie lange es dauert, bis eine Substanz von der Troposphäre an verschiedene Punkte der Stratosphäre gelangt.

Luftproben sammeln die Forscher*innen nicht nur mit dem Forschungsflugzeug HALO, sondern auch im Rahmen des EU-Infrastrukturprojekts IAGOS-CARIBIC auf einem umgebauten A350 Langstreckenflugzeug der Lufthansa. Diese Plattform ermöglicht regelmäßige und globale Beobachtungen einer Vielzahl klimarelevanter und ozonschädigender Substanzen in der Tropopausenregion. Besonders wichtig ist hierbei, dass diese Messungen über einen längeren Zeitraum angelegt sind, sodass auch Veränderungen in der Atmosphäre beobachtet werden können.

Neben der Wolkenbildung untersucht »TPChange« einen weiteren Faktor für den Klimawandel: die Ozonverteilung. Ozon bleibt in der Regel nur wenige Tage bis Wochen in der Atmosphäre, aber deutlich länger in der Tropopausenregion. Deshalb ist seine Wirkung auf das Klima und die Luftqualität wesentlich komplexer als bei langlebigen Treibhausgasen wie Kohlendioxid und Methan.

Wenn sich das Klima ändert und damit die Temperatur in der Troposphäre steigt, während sie in der Stratosphäre abnimmt; wenn der Wasserdampf in der Atmosphäre zunimmt und sich die Höhe der Tropopause ändert – was macht dann das Ozon, und wie sind wiederum die Rückkopplungen ins Klimasystem? Klimamodelle und Beobachtungen zeigen teilweise auch widersprüchliche Ergebnisse, wenn es darum geht, ob Ozon in der Tropopausenregion durch den Klimawandel zu- oder abnimmt. Doch davon hängen die Auswirkungen dieser Region auf das Klima ab. »Die entscheidende Frage ist: Welche Prozesse muss man berücksichtigen, um die Klimamodelle zu verbessern?«, erklärt Curtius.

Nimmt Ozon in der Tropopausenregion durch den Klimawandel ab oder nimmt es zu?

Um diese Fragen beantworten zu können, braucht es Atmosphärenforscher*innen unterschiedlicher Spezialisierungen. Denn die Dynamik, Chemie, Mikrophysik und Strahlungsprozesse in der Tropopausenregion sind äußerst komplex. »100 Meter Höhenunterschied machen sich bei der Messung schon bemerkbar«, erläutert Curtius. Das liegt daran, dass Prozesse auf unterschiedlichen Größenskalen miteinander gekoppelt sind: die Aerosolbildung an Prozesse wie Wärmeströmung, Turbulenzen und die Vermischung von Luftpakten, und diese sind wiederum an der Entstehung von Gewittern in den Tropen beteiligt. Deshalb sind am SFB-Transregio »TPChange« neben den beiden weiteren RMU-Universitäten, der TU Darmstadt und der JGU Mainz, als Sprecherhochschule, die LMU in München und einer Vielzahl von außeruniversitären Forschungseinrichtungen auch alle sieben Arbeitsgruppen des Instituts für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität beteiligt. »Das ist ungewöhnlich für einen SFB. Denn obwohl man auf einem Flur sitzt, berühren sich die Arbeitsgebiete kaum. Wir haben nun mit der Tropopausenregion eine Fragestellung, zu der alle Gruppen beitragen können.«

(ahv)

SFB TRR 301 »Die Tropopausenregion in einer Atmosphäre im Wandel«

Steckbrief

Hauptstandorte: Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Sprecherin) und Goethe-Universität Frankfurt

Beteiligte Institutionen: Technische Universität Darmstadt, Ludwig-Maximilians-Universität München, Max-Planck-Institut für Chemie Mainz, Forschungszentrum Jülich, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Oberpfaffenhofen

Fördersumme: 12,5 Millionen Euro (plus PP) für 4 Jahre, davon 3,2 Mio. Euro für Goethe- Universität Frankfurt

Nachgefragt bei...

Joachim Curtius

Welches Problem wollen Sie mit TPChange gern besser verstehen?

Wir wollen damit die Rolle der Tropopausenregion für das Klima und für die Atmosphäre allgemein besser verstehen. Es ist eine Schlüsselregion für viele Prozesse, die aber bisher nicht gut genug untersucht ist, weil sie nicht so leicht zugänglich ist wie die Luft nahe am Boden.

Was ist Ihnen daran persönlich wichtig?

Ich möchte vor allem herausfinden, wie sich in der oberen Troposphäre in den Tropen neue Aerosolpartikel bilden und ob diese als Kondensations- und Eiskeime die Wolkenbildung in den gesamten Tropen maßgeblich beeinflussen. Ich erwarte, dass in der Tropopausenregion in den Tropen die wesentliche »Geburtsstätte« liegt für die allermeisten Aerosolpartikel der Tropen und dass diese neugebildeten Partikel anwachsen und sich in den gesamten Tropen in der Atmosphäre verteilen. Dies würden wir gerne nachweisen und die chemischen Substanzen, die zur Bildung der Partikel führen, erstmalig vor Ort identifizieren.

Was ist ein Etappenziel?

Erstes Etappenziel für mein Teilprojekt wird eine Messkampagne über dem Amazonas in Brasilien sein, die im Winter 2022 stattfinden wird. Hier wollen wir mit Messflügen herausfinden, wie die Bildung von neuen Aerosolpartikeln in der Tropopausenregion hoch über dem Regenwald abläuft.

Was ist die größte Hürde?

Wir wollten die Messkampagne in Brasilien eigentlich schon vor zwei Jahren durchführen, aber da hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir mussten die Kampagne wenige Wochen vor dem Startdatum absagen. Manaus war ja 2020 ganz schlimm von Corona betroffen. Wir hoffen, dass es nun 2022 möglich sein wird, die Messkampagne in Brasilien durchzuführen. Weiterhin müssen natürlich unser Massenspektrometer und die anderen Messgeräte auch unter den schwierigen Bedingungen in den Tropen gut funktionieren, damit die Messungen ein Erfolg werden.

Gibt es eine Erkenntnis, die Sie besonders geprägt hat und die Sie in dieses Projekt quasi als »Rüstzeug« mitnehmen?

Wesentliche Voraussetzung waren die Messungen, die wir an der Aerosolmesskammer CLOUD am CERN in Genf in den vergangenen Jahren gemacht haben. Aufgrund dieser Prozessuntersuchungen unter Laborbedingungen erwarten wir, dass die Oxidation von Terpenen und Isopren, die in riesigen Mengen vom Amazonas-Regenwald in die Luft abgegeben werden, dann in der oberen Troposphäre zur Bildung der neuen Partikel führt. Aber das ist bislang nur Hypothese und wir würden sehr gerne überprüfen, ob es tatsächlich so ist.

Prof. Dr. Joachim Curtius ist Professor am Institut für Atmosphäre und Umwelt am Fachbereich Geowissenschaften/Geographie und Co-Sprecher am SFB TRR 301 »Die Tropopausenregion in einer Atmosphäre im Wandel«.

Das interdisziplinäre Praxisprojekt des Orientierungsstudiums »Natur- und Lebenswissenschaften« hilft Studierenden bei der Fächerwahl.

»Schlüpfen Sie in die Rolle eines interdisziplinären Experten-Teams und beraten Sie eine Senatskommission der Universität zu Risiken und Potenzialen von Extremwetter am Campus Riedberg!« – so lautete der Arbeitsauftrag im Praxisprojekt »Extremwetter« des Goethe-Orientierungsstudiums »Natur- und Lebenswissenschaften« (GO). Zwar war die Senatskommission erfunden – doch die Zusammenarbeit der vier teilnehmenden Projekt-Teams war sehr real. Die bunt gemischten Projektgruppen aus Studierenden des Orientierungsstudiums im zweiten Semester, fortgeschrittenen Bachelorstudierenden anderer Naturwissenschaften und angehenden Umweltingenieuren der FH Münster stürzten sich im Sommersemester 2021 hoch motiviert in die Arbeit und erlebten nicht nur die Höhen und Tiefen im Projektalltag, sondern legten mit ihren selbstgewählten Themen wie Hitze und Starkregen den Finger an den Puls der Zeit.

Das Orientierungsstudium ist eines von zwei Pilotprojekten, das 2018/19 gemeinsam mit der Hessischen Landesregierung angestoßen wurde. Neben der Universität Kassel ist die Goethe-Universität mit zwei neuen Bachelorstudiengängen vertreten: dem B.Sc. Natur- und Lebenswissenschaften und dem B.A. Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Orientierungs-Phase ermöglicht einen »Realitäts-Check«, vermittelt gleichzeitig akademische Schlüsselkompetenzen sowie vielfältige theoretische und praktische Einblicke in Fachdisziplinen – in den Geistes- und Sozialwissenschaften und in den Natur- und Lebenswissenschaften. Das alles mit dem Ziel, Studierenden eine reflektierte und informierte Fachwahl zu ermöglichen.

Mit GO gehört die Goethe-Universität zum Vorreiterfeld im bundesweiten Trend hin zu Orientierungs(studien)programmen: Diese möchten durch Orientierung am Studienbeginn die Abbrecherquoten in den Fächern senken, die bundesweit durchschnittlich 20 Prozent und in MINT-Fächern bis zu 40 Prozent und mehr betragen.

„Viele Studierende sind überrascht, dass jede Wissenschaft irgendwie in der anderen drinsteckt.“

Es ist speziell die Semesterringvorlesung, die den Studierenden ein Gefühl für die verschiedenen Fächer vermittelt. Mit dem Thema »Frankfurt 2035: 40°C – Fakten & Fake News« stand im Wintersemester 2021/22 das Thema Klimawandel auf dem Programm. »Da wurde schnell deutlich, dass es in den Naturwissenschaften sehr interdisziplinär zugeht, Meterorologie mehr als Wetter ist und sich die Sportwissenschaften eben nicht nur auf Ballsportarten reduzieren lassen«, erklärt Projektkoordinatorin Dr. Bianca Bertulat. »Viele Studierende überrascht, dass jede Wissenschaft irgendwie in der anderen drinsteckt und welche vielfältigen Möglichkeiten jedes Fach bietet.«

Die individuelle Orientierungsreise zum »eigenen« Studienfach findet ihren Höhepunkt im GO-Praxisprojekt: Es lehnt sich eng an die Ringvorlesung an und steht allen Studierenden der Goethe-Universität offen. »Spätestens beim gemeinsamen Forschen wird den meisten Studierenden klar, ob sie studieren möchten und auf welche Fachrichtung sie sich in den folgenden sechs Semestern festlegen wollen«, resümiert die Biologin Bertulat. Nach acht Semestern beschließen die Studierenden dann ihr Fachstudium mit dem Bachelor of Science oder bei der Wahl Sportwissenschaften mit dem Bachelor of Arts.

»Schlüpfen Sie in die Rolle …«: Im fiktiven Forschungsauftrag zum »Extremwetter« erlebten die Studierenden, wie Forschen geht. Wie grenzen wir eine Fragestellung so ein, dass sie sich innerhalb der gegebenen Zeit und mit den verfügbaren Mitteln bearbeiten lässt? Wie ist Extremwetter eigentlich definiert? Sollten wir eigene Daten erheben? Sind etwa Hitzeperioden für die Universität ein viel größeres Risiko als Starkregen, und könnten eine mit Photovoltaik betriebene Klimaanlage und Fassadenbegrünung hier Abhilfe schaffen? Diese und andere Fragen beschäftigen die vier Studierenden-Teams mit jeweils vier bis sechs Studierenden und begleitet von älteren Mentoren.  

Als Informationsquelle zogen die Teams auch die Abteilung Gebäudemanagement hinzu, deren Mitarbeiter von Anfragen zu Dachflächen und Gebäudeplänen überrascht wurden. Das Starkregen-Team entwickelte daraufhin auf dem naturwissenschaftlichen Campus Fließpfadkarten, es dokumentierte Pfützenbildung, Pilz- und Mooswuchs, identifizierte regengefährdete Türen, verfolgte Wassereinflüsse und ermittelte Regenwassermengen. Eine Woche nach Projektabschluss zeigte die Flutkatastrophe an Ahr und Rur, wie aktuell die Fragestellung war.

Das Team »Dach- und Fassadenbegrünung« legte hingegen den Fokus auf Hitzeperioden und untersuchte den kühlenden Effekt von Pflanzenbewuchs. Dazu wurden im selbstgebauten Modell Temperaturen im begrünten und unbegrünten Zustand aufgezeichnet und verglichen. Nach Projektende »bedankten« sich die Studierenden bei den Mitarbeitern des Gebäudemanagements mit ihren Projektberichten und Handlungsempfehlungen, die für Starkregen-Risiken sensibilisierten und durchkalkulierte Konzepte für Photovoltaik und Dachbegrünungen lieferten.

Für viele Teilnehmer haben die Erlebnisse der O-Phase und des Praxisprojekts in eine der sieben Studienrichtungen des B.Sc. Natur- und Lebenswissenschaften geführt – oder eben auch zu anderen Hochschulen und Studiengängen. Ein Erfolg für das Orientierungsstudium, das noch bis 2025 gefördert wird? »Auf jeden Fall. Wir freuen uns über jede und jeden, der am Ende dank GO einen Weg zielstrebig weiterverfolgt – wenn der Weg bei uns weitergeht, natürlich umso mehr!« Erfolg eines Orientierungsstudiums sei aber auch, wendet Bianca Bertulat ein, wenn eine Studentin sich nach der Orientierungsphase für ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart entscheide, ein duales Studium bei der Polizei oder die Ausbildung in Bühnentechnik beginne. Dass die O-Studiengänge erfolgreich seien, stehe fest. An welchen Standards ihre Erfolgsquote bundesweit messbar sei, daran würde auch mithilfe der Goethe-Universität gerade gearbeitet. 

Einen Auftrag, den die Studiengänge im Start mit auf den Weg bekommen haben, haben sie schon jetzt erfüllt: Impulse zur Verbesserung der universitären Lehre weiterzugeben. Das Praxismodul »Extremwetter« wurde an den Fachbereich Geowissenschaften/Geographie übergeben und ist dort nun für alle Bachelorstudierenden wählbar.

Das nächste Praxisprojekt erlebt seinen Praxistest 2022: »Moon-Base 2.0« lehnt sich an die Ringvorlesung »Mission to Mars« an und wird erstmalig in Präsenz erprobt, Projektabschluss-Feier inklusive.

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