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Rückblick auf die Römerberggespräche / Europa auf einem Bierdeckel

Prof. Stefan Kadelbach (l.) im Gespräch mit Alf Mentzer.

Die Römerberggespräche fragten in Kooperation mit den »Normativen Ordnungen« nach einer souveränen Idee für die Zukunft des Kontinents.

Last Exit nach dem Brexit – Ist Europa noch zu retten?“ So lautete der Titel der jüngsten Ausgabe der Römerberggespräche im Chagallsaal des Schauspiel Frankfurt. Sie fanden vor den Wahlen statt. Auf dem Programm standen Themen ganz grundsätzlicher Natur. „‚Souveränität Europas‘ oder zurück zum Nationalstaat? Mögliche Szenarien für die Zukunft der Europäischen Union“ hieß beispielhaft der Vortrag von Stefan Kadelbach, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Goethe-Universität und Mitglied des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“.

Der geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsverbund an der Goethe-Universität gehörte auch dieses Mal zu den Kooperationspartnern der öffentlichen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung. Die begrüßenden Worte sprach die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig. Die Moderation hatte Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk. Die Veranstaltung traf auf Resonanz, nur wenige Plätze im Chagallsaal blieben leer.

Herausforderungen aus eigener Kraft begegnen

Stefan Kadelbach ist auch Direktor des Wilhelm Merton-Zentrums für Europäische Integration an der Goethe-Universität. Das von ihm aufgegriffene Schlagwort einer „Souveränität Europas“ stammt von Emmanuel Macron. In seiner berühmten Rede an der Sorbonne im September 2017 zielte der französische Staatspräsident damit auf die gemeinsame Fähigkeit, sich nicht treiben zu lassen von den Herausforderungen, die die globale Politik, Wanderungsbewegungen, neue Technologien und Veränderungen der Umwelt mit sich bringen, sondern ihnen aus eigener Kraft zu begegnen.

Das Gegenbild zu dieser „Souveränität“, so Stefan Kadelbach, sei der Weg zurück in den Nationalstaat wie beim Brexit. „Die Europäische Union ist eine Form, Probleme zu bewältigen, die für ihre Mitglieder je für sich nicht oder nicht in gleicher Weise zu lösen sind“, betonte Kadelbach. Die EU müsse aus sich heraus so überzeugend sein, dass ein Ausstieg als Alternative nicht attraktiv sei. Kadelbach plädierte für eine Fortentwicklung der europäischen Verfassung. Dazu gehöre, so der Europarechtler: Die Spitzenkandidaten der Parteifamilien sollten mit einem eigenen politischen Programm in den Europawahlkampf gehen können, eine Koalition im Europäischen Parlament müsste die Zusammensetzung der Kommission bestimmen können.

Die Parteien müssten mit politischen Programmen Wahlkampf machen, und die Wahlkämpfe sollten nicht, wie auch dieses Mal wieder, auf ein simples Pro und Kontra Europa hinauslaufen. Daraus ergäbe sich ein Anreiz, europaweite Parteien zu gründen, und eine echte europäische Öffentlichkeit könnte sich bilden. Der Frage „Wo versteckt sich die europäische Öffentlichkeit?“ widmete sich in ihrem gleichnamigen Vortrag Christine Landfried, emeritierte Professorin für Politikwissenschaft an Universität Hamburg. Ein Schritt, um sie zum Vorschein zu bringen, besteht für Landfried in einer institutionalisierten Bürgerbeteiligung „von unten“, beispielweise in Form „europäischer Konvente“. Dabei könnte es sich um Gremien handeln, deren Mitglieder nach dem Zufallsprinzip ausgewählt würden, um eine möglichst große Vielfalt zu erreichen.

Denkbar wären miteinander vernetzte Gruppen auf regionaler, nationaler und supranationale Ebene mit dem Recht, von den Entscheidungsträgern gehört zu werden und auch eigene Vorschläge einzubringen. Möglicherweise könnten Vorschläge wie die von Christine Landfried und Stefan Kadelbach dazu beitragen, dass bei Wahlen zum Europaparlament konkrete europäische Sachfragen im Vordergrund stehen. Bisher ging es bei den Europawahlen in den Mitgliedsstaaten zu einem großen Teil um die prinzipielle Existenz der EU oder auch um die Bewertung des nationalen Regierungshandelns. Deshalb seien sie häufig „Protestwahlen“ oder „Denkzettelwahlen“, so Philip Manow, Professor für Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Bremen.

Laut- und Meinungsstärke der Europagegner

„Wir brauchen eine klare Idee für Europa, die so griffig ist, dass sie auf den sprichwörtlichen Bierdeckel passt“, sagte Ulrike Guérot, Professorin an der Donau-Universität Krems und dort Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung. Ein strategischer Vorteil der Europagegner sei deren Laut- und Meinungsstärke, so Guérot in dem Podiumsgespräch mit der Schriftstellerin Mara-Daria Cojocaru.

Laut Cojocaru, die auch Philosophie-Dozentin an der Hochschule für Philosophie in München ist, suggerieren die Populisten nationale Problemlösungskompetenzen, die gar nicht mehr vorhanden sind. Das Publikum gab sich durchweg pro Europa. Viele forderten, Ulrike Guérot beipflichtend, viel mehr Leidenschaft für die Idee eines gemeinsamen Europas. Aus den Reihen des Publikums meldete sich auch Michael Stolleis, emeritierter Professor für öffentliches Recht und Rechtgeschichte an der Goethe-Universität und Gründungsmitglied des Clusters.

Er skizzierte den Vorschlag, statt der Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung die nationalen Sicherungssysteme zu erhalten und mit EU-Geld zu ertüchtigen. „Sie sind ein Europaskeptiker“, rief ein Zuschauer Andreas Rödder zu. Der Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz hatte sich in seinem Vortrag gegen Überlegungen ausgesprochen, die EU in einen Bundesstaat und eine Transferunion umzuwandeln. Eine Transferunion, etwa nach dem Muster des deutschen Länderfinanzausgleichs, wäre, so Rödder, unter den Mitgliedsstaaten nicht mehrheitsfähig und würde der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union als ganzer schaden.

Auch Bündnisse einzelner Staaten, die neben der EU agieren, könnten sinnvoll sein, um Europa eine Stimme in der Welt zu geben. Denkbar wäre beispielsweise eine verstärkte Zusammenarbeit der europäischen „Kraftzentren“ Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Vom „Pulse of Europe“ schließlich nahm der Rechtsanwalt und Mitbegründer Daniel Röder an den Römerberggesprächen teil. Der Aktivist wurde dann besonders eindringlich und grundsätzlich. Nur ein gemeinsam handelndes Europa könne einen nennenswerten Beitrag zum weltweiten Klimaschutz leisten.

Und für den Kontinent selbst würde das Ende der europäischen Idee die Rückkehr überwunden geglaubter Kriege und Konflikte bedeuten. Die Frankfurter Römerberggespräche bestehen seit 1973 in ununterbrochener Folge und sind eine feste Institution der Debattenkultur in Deutschland. Vorsitzender des Trägervereins Römerberggespräche e.V. ist Miloš Vec, Professor für Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien und seit 2013 assoziiertes Mitglied des Clusters. Die nächsten Römerberggespräche werden am 2. November 2019 stattfinden. Das geplante Thema lautet: „30 Jahre nach dem Mauerfall – Mehr Aufbruch wagen!“.

Bernd Frye

Weitere Informationen:
www.roemerberggespraeche-ffm.de
www.normativeorders.net/de/roemerberggespraeche

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.19 des UniReport erschienen.

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