Bakterien: Lauschangriff mit tödlichen Folgen

Kolonien des Bakteriums »Xenorhabdus szentirmaii«. Deutlich zu erkennen ist die durch verschiedene Naturstoffe hervorgerufene rote Pigmentierung der Kolonien
Kolonien des Bakteriums »Xenorhabdus szentirmaii«. Deutlich zu erkennen ist die durch verschiedene Naturstoffe hervorgerufene rote Pigmentierung der Kolonien; Foto: AG Bode

Eine der wichtigsten Fähigkeiten aller Lebewesen ist die Kommunikation. Ihre universelle Ausdrucksform findet sie im Austausch hoch spezifischer Signalmoleküle. Bei der Entschlüsselung der diversen »Sprachen« und »Dialekte« von Bakterien machen Forscher immer wieder neue und überraschende Entdeckungen, die auch eine Alternative zu Antibiotika versprechen.

Chemische Kommunikation ist ein universelles Sprachkonzept in der Natur. Auch der Mensch nutzt diese wohl älteste Art der Kommunikation, jedoch meist unbewusst in Form einer Duftsprache, die signifikant zu unserem Gesamteindruck von einer Person und damit auch unserem Befinden in bestimmten Situationen beiträgt. Nicht umsonst heißt es, wir könnten jemanden »gar nicht riechen«.

Alle Lebewesen verwenden unterschiedliche »Sprachen«. Bei den enger verwandten Arten kann man diese auch als »Dialekte« bezeichnen. In Kombination mit oft sehr spezifischen Rezeptoren für die jeweiligen Signalmoleküle ergibt sich so eine zum Teil hoch spezifische Interaktion zwischen den Gesprächspartnern. Die Konkurrenz der Lebewesen bringt es mit sich, dass sie versuchen, die Kommunikation fremder Arten zu stören oder für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Bekannte Beispiele sind Insektenpheromone, mit denen Sexualpartner über große Entfernungen zueinanderfinden.

Bei niedriger Zellzahl ist die Konzentration des QS Signals (Dreieck) nur gering und nicht ausreichend, um in der Zelle an den Rezeptor zu binden.
Bei niedriger Zellzahl ist die Konzentration des QS Signals (Dreieck) nur gering und nicht ausreichend, um in der Zelle an den Rezeptor zu binden. Grafik von Kiefer nach einer Idee von Helge Bode.

Diese Pheromone werden zum Teil auch von Pflanzen produziert, um diese Insekten als Bestäuber anzulocken. Entwickelt haben sich diese spezifischen Interaktionen im Laufe der Evolution, so dass sowohl die Signale als auch die Rezeptoren für deren Detektion aufeinander abgestimmt und optimiert wurden. Dabei funktionieren die Rezeptoren im Prinzip wie Schlösser, in die nur bestimmte Signalmoleküle wie Schlüssel passen. Diese lösen eine vorgegebene Reaktion in der Rezeptor-tragenden Zelle aus.

Auch Bakterien und Pilze nutzen die Erkennung ausgewählter Substanzen oder Nährstoffe, beispielsweise, um gute Lebensbedingungen zu finden. Daneben sind sie aber auch in der Lage, spezifische Signalmoleküle zu produzieren und / oder zu detektieren, um ihre Gruppengröße, das »Quorum«, festzustellen. Man nennt diese Art der mikrobiellen Kommunikation deswegen auch »Quorum sensing«: Damit stellen einzelne Bakterien fest, wie viele ihrer Artgenossen in der näheren Umgebung sind und ob eventuell noch andere Bakterienarten darunter sind.

Quorum sensing oder gemeinsam sind wir stark!

Warum ist die Gruppengröße so wichtig, dass sich dafür eine eigene Sprache mit Signal und Detektor entwickelt hat? Einzeln haben Bakterien beispielsweise in einem Infektionsprozess keine Chance gegen das menschliche Immunsystem. Greifen aber Millionen oder Milliarden von Zellen den Wirtsorganismus gleichzeitig an, ist dessen Immunsystem schnell überfordert und kann überwunden oder überlistet werden. So verwandelt sich die ursprünglich feindliche Umgebung in eine, die gute Bedingungen für die Vermehrung bietet.

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Bei hoher Zellzahl ist die Konzentration des QS Signals so hoch, dass es in die Zelle aufgenommen an den Rezeptor bindet. Dieser bindet zusammen mit dem QS Signal an bestimmte Abschritte der DNA und aktiviert so die Expression (das Ablesen) der entsprechend regulierten Gene, so dass schliesslich Virulenzfaktoren gebildet werden. Grafik von Kiefer nach einer Idee von Helge Bode.

Die Gruppengröße ist auch wichtig für die Bildung von Biofilmen: In diesen liegen die Bakterien eingebettet in einer Art Gel, das sie selbst gebildet haben und in dem sie gegen die verschiedensten schädlichen Umweltbedingungen wie Antibiotika, Desinfektionsmittel, Hitze oder Immunsystem geschützt sind. Der Trick vieler Mikroorganismen besteht darin, sich zunächst zu vermehren, um einen erfolgreichen Angriff sicherzustellen. Sie tun dies unauffällig, ohne ihre eigenen Waffen wie Virulenzfaktoren und Toxine zu zeigen, um das Immunsystem des Wirts nicht zu alarmieren.

Ihre Waffen werden erst gebildet, wenn das Quorum hoch genug ist. Hat die Konzentration des Signalmoleküls entsprechend der hohen Zelldichte einen bestimmten Schwellenwert überschritten, werden die Virulenzfaktoren in einer konzertierten Aktion in allen Bakterien gleichzeitig gebildet. Damit überschwemmen sie die Wirtsabwehr und machen die Bekämpfung der Bakterien nun ungleich schwerer.

Wem nützt es, die Sprache der Bakterien zu verstehen?

Die Untersuchung der Quorum-sensing-Systeme in Bakterien ist wichtig, um die Pathogenität dieser Bakterien zu verstehen und vielleicht sogar aufzuheben. Die heute übliche Praxis, pathogene Bakterien durch Antibiotika abzutöten, stellt für diese einen massiven Selektionsdruck dar. So können sich zufällig entstandene resistente Bakterien bevorzugt vermehren. Bekämpft man stattdessen nicht die Bakterien als solche, sondern sorgt durch das Abschalten des Quorum sensing nur dafür, dass ihre Waffen nicht aktiviert werden oder stumpf bleiben, gewinnt das Immunsystem Zeit, die Bakterien auch ohne Antibiotika in Schach zu halten.

Man könnte sich zum Beispiel vorstellen, die Signalmoleküle zu zerstören, so dass die Konzentration nie den gefährlichen Schwellenwert erreicht. Oder man könnte die Rezeptoren blockieren beziehungsweise die Biosynthese der Signalmoleküle hemmen. Dass diese Verfahren funktionieren, zeigt die Natur selbst: Es gibt alle denkbaren Varianten, das Quorum sensing auch zwischen verschiedenen Mikroorganismen zu manipulieren: Bakterien sekretieren Enzyme, welche die Signalmoleküle anderer Bakterien abbauen.

Eigentlich fremde Signale werden nach dem Prinzip eines Schwamms in die Zellen aufgenommen, um sie der Umgebung zu entziehen und so den artfremden Produzenten eine geringere Zelldichte vorzugaukeln. Man spricht hier vom »Quorum quenching«. Infolgedessen interpretieren konkurrierende Bakterien ihre Umgebung nicht richtig, was die manipulierenden Bakterien zu ihrem eigenen (Wachstums-)Vorteil ausnutzen.

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Grafik: Grafik von Peter Kiefer nach Idee von Helge Bode mit Fotos der AG Bode.

Um sich vor Täuschungen zu schützen, können Bakterien ihre Signale mit Giften für ihre Konkurrenten koppeln oder mithilfe giftiger Signalmoleküle kommunizieren: Versucht einBakterium, ein fremdes Signal zu interpretieren, verfügt aber nicht über den notwendigen Entgiftungsmechanismus, so stirbt es. Während vor einigen Jahren die ursprünglich zuerst identifizierten Quorum-sensing-Systeme, sogenannte Acylhomoserin Laktone (AHLs), als die am weitesten verbreiteten galten, ändert sich dies gerade aufgrund unseres massiven Zuwachses an Wissen über Bakterien, ihrer Genome und ihre Physiologie. Es zeigt sich, dass auch strukturell ähnliche Rezeptoren spezifisch und selektiv sein können für chemisch sehr unterschiedliche Signale. Demnach können eine Vielzahl verschiedener Sprachen oder besser Dialekte existieren.

Fremd und doch nicht Feind

Eine weitere Ebene der Kommunikation ergibt sich aus der Tatsache, dass Mikroorganismen nicht nur miteinander und untereinander kommunizieren, sondern auch mit höheren Lebewesen. Neben der schon erwähnten Pathogenität oder Virulenz ist hier vor allem auch das friedliche Miteinander zwischen Mikroorganismen und anderen Lebewesen zu nennen. Da Mikroorganismen nahezu überall auf unserem Planeten vorkommen und praktisch alle Oberflächen besiedelt haben, wundert es nicht, dass auch Menschen nichts anderes sind als Holobionten, also eine ökologische Einheit aus Homo sapiens und bis zu 2000 verschiedenen Bakterienarten.

Auf und in unserem Körper leben etwa zehnmal so viele Bakterien, wie wir Körperzellen haben. Die Art und Anzahl dieser Bakterienarten bestimmt unsere Gesundheit, die Entwicklung unseres Immunsystems und sie beeinflusst möglicherweise sogar die Entwicklung unseres Gehirns. Wie wir uns fühlen undwas wir denken (können), haben wir also vielleicht zu einem großen Teil Mikroorganismen zu verdanken, die vor allem in unserem Darm leben. Sie versorgen uns mit Nährstoffen und Vitaminen, aber auch mit essenziellen Entwicklungsfaktoren.

Mikroorganismen reden auch mit höheren Lebewesen

In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir als Modell für die verschiedenen Arten der mikrobiellen Kommunikation Bakterien der Gattungen Xenorhabdus und Photorhabdus. Diese leben in Symbiose mit Fadenwürmern (Nematoden) der Gattungen Steinernema beziehungsweise Heterorhabditis, die wiederum im Boden lebende Insektenlarven befallen und diese töten. Die Nematoden fungieren dabei vor allem als Träger für die todbringende Fracht der Bakterien.

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Das tote Insekt teilen sich die Bakterien dann mit den Nematoden. Die Nematoden durchlaufen im Kadaver mehrere Entwicklungszyklen, bis alle Nährstoffe verbraucht sind. Dann suchen sie neue Insektenlarven. Dieser ungewöhnliche Austausch zwischen Nematoden, Bakterien und Insektenlarven wird im biologischen Pflanzenschutz sehr erfolgreich und im großen Maßstab gegen Schadinsekten eingesetzt.

Für die Forschung ist das System aus mehreren Gründen interessant. Man kann die Symbiose mit den Nematoden und die Pathogenität gegenüber den Insekten untersuchen. Darüber hinaus bilden diese Bakterien noch eine Vielzahl niedermolekularer Naturstoffe, die in unterschiedlichsten Kommunikationsformen als Signalstoffe fungieren.

Bisher haben wir Naturstoffe mit unterschiedlichsten Funktionen identifiziert: Insekten-Toxine, Nematoden-Entwicklungsfaktoren oder Abwehrstoffe gegen Nahrungskonkurrenten und Fraßfeinde, also andere im Boden lebende Bakterien, Pilze oder höhere Lebewesen. Auch zwei neue Quorum-sensing-Signale wurden in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Privatdozent Dr. Ralf Heermann von der Ludwig-Maximilians-Universität München bereits in Photorhabdus gefunden. Weitere werden gerade bearbeitet.

Molekulare »Teekesselchen«

Interessant ist dabei, dass der gleiche Naturstoff verschiedene Bedeutungen haben und von unterschiedlichen Interaktionspartnern unterschiedlich verstanden werden kann.

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So ist zum Beispiel das Isopropylstilben aus Photorhabdus asymbiotica für den Produzenten ein Quorumsensing- Signal, für andere Bakterien ein tödliches Antibiotikum, für den Nematodenwirt Heterorhabditis eine Art Hormon, das essenziell für dessen Entwicklung ist, für das Insekt und andere Eukaryonten aber ein Toxin, das unter anderem ihre Immunantwort hemmt. Weitere kürzlich gefundene Naturstoffe aus Xenorhabdus töten effizient andere Nematoden ab, verschonen aber selektiv den Nematodenwirt der Bakterien und können so einerseits andere Nematoden als Nahrungskonkurrenten abhalten, andererseits aber auch dafür sorgen, dass die spezifische Kombination aus Bakterien und Nematoden bestehen bleibt und nicht eine andere Nematodenart einfach die Auftragskiller »anheuert«.

Wenn man bedenkt, dass viele Bakterienarten, die uns Menschen bewohnen, noch kaum untersucht sind und praktisch alle anderen Lebewesen und Oberflächen ebenfalls von Bakterien besiedelt sind, die alle miteinander und mit den assoziierten höheren Lebewesen sprechen, so wird es in Zukunft für die »Sprachkundler « unter den Mikrobiologen und Chemikern wohl sicherlich noch einige neue Sprachen und Dialekte zu entdecken geben.

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