Politik des Bewusstseins / LSD und andere Drogen bei den „68ern“

LSD war bei den „68ern“ eine „angesagte“ Droge. Doch bei weitem nicht alle machten damit gute Erfahrungen. Zudem war vielen die aus der US-Hippie-Szene stammende „LSD-Ideologie“ suspekt. Damals avancierte Cannabis zur massenhaft konsumierten Droge der jungen Rebellen, erklärt Drogentrendforscher Dr. Bernd Werse in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“.

„Die ‚68er‘ werden hierzulande häufig auch als Startpunkt für eine massenhafte Ausbreitung illegaler Drogen betrachtet. Tatsächlich hatten bis Ende der 1960er Jahre nur sehr wenige Jugendliche Erfahrungen mit Cannabis oder anderen illegalen Substanzen“, so Werse vom Center for Drug Research der Goethe-Universität. Er hat im Rahmen des DFG-Projekts „Umgang mit illegalen Drogen im bürgerlichen Milieu“ (1998 bis 2001) Zeitzeugen befragt.

Die meisten gebräuchlichen psychoaktiven Substanzen waren erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts global verboten worden und zuvor als Arznei- und Stärkungsmittel weit verbreitet gewesen, etwa die Opiumtinktur „Laudanum“. Zudem war der Gebrauch von Drogen wie Cannabis, Opium oder Koka in vielen Ländern Teil der Kultur. LSD war dagegen relativ neu. Das stärkste bekannte Halluzinogen war rund 20 Jahre zuvor von dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann beim Pharmakonzern Sandoz synthetisiert worden.

Ab Mitte der 1960er Jahre wurde der Konsum von LSD in den USA u.a. durch den Erfolgsautor Ken Kesey („Einer flog über das Kuckucksnest“) propagiert. Er veranstaltete mit seiner bunten Truppe „Merry Pranksters“ sogenannte „Acid Tests“ – große Partys, auf denen LSD verteilt wurde. Ein weiterer Propagandist war der Psychologe Timothy Leary, der bereits zuvor in Harvard LSD-Experimente durchgeführt hatte. Beide teilten einen „bewusstseinspolitischen“ Ansatz: Die Vorstellung, dass die Droge durch tiefe Erkenntnisse beim Einzelnen positive Veränderungen in der Gesellschaft bewirken könne. Diese Vorstellung war ein zentrales Moment der zu diesem Zeitpunkt aufkeimenden Hippie-Bewegung.

Unter den deutschen 68ern dominierte dagegen zunächst der explizit politische Ansatz. Die von Bernd Werse befragten Zeitzeugen bestätigen zwar, dass LSD seinerzeit „angesagt“ war und sein „bewusstseinserweiternder“ Ruf zu einer hohen Probierbereitschaft führte, aber viele machten damit keine positive Erfahrung. Werse vermutet, dass die Häufigkeit der „Horrortrips“ mit dem Fehlen von Konsumregeln zusammenhängt: die Wirkung von LSD ist stark vom aktuellen Gemütszustand und dem Umfeld abhängig. „Andererseits stieß gerade das propagierte Moment der Selbsterkenntnis durch LSD selbst bei drogenaffinen Anhängern der Bewegung mitunter auf Widerspruch“, fügt er hinzu.

Weitaus „erfolgreicher“ zu dieser Zeit war der Konsum von Cannabis – ebenfalls ein kultureller Import aus den USA. „Die Protestbewegungen der 1960er Jahre haben in Deutschland vor allem Cannabis als Jugenddroge etabliert. Man konnte sich subversiv fühlen, wenn man Haschisch konsumierte“, so Werse über den Cannabis-Konsum als politisches Symbol. Im Hinblick auf die Breitenwirkung sei Cannabis die wichtigere „68er-Droge“ gewesen.

Seit einigen Jahren beobachten Drogentrendforscher jedoch, dass das Interesse an LSD sowie anderen Psychedelika wieder steigt. Das betrifft unter anderem die Idee des „Microdosing“ – den Einsatz von geringen Mengen LSD zur mentalen Leistungssteigerung. Womöglich nicht zufällig entstand dieser Gedanke – unweit der „Brutstätte“ der Hippie-Szene – in der digitalen Elite des Silicon Valley, deren Gründerväter nicht selten aus der damaligen Protestbewegung kamen.

[dt_call_to_action content_size=“small“ background=“fancy“ line=“false“ style=“1″ animation=“fadeIn“]

Journalisten können die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ kostenlos bestellen bei Helga Ott, Vertrieb, ott@pvw.uni-frankfurt.de. Forschung Frankfurt abonnieren: http://tinygu.de/ff-abonnieren

[/dt_call_to_action]

Relevante Artikel

Goethe-Universität trauert um Micha Brumlik

Erziehungswissenschaftler, Publizist und eine starke Stimme in der deutsch-israelischen Verständigung: Die Goethe-Universität trauert um Prof. Dr. Micha Brumlik, der im

Foto: Miriam Cirino

Studierende evaluieren Bildungsprojekte

Abschlussveranstaltung des Workshops „Evaluation – Qualifiziert bewerten, professionell berichten“ Am 17. Mai fand die Abschlussveranstaltung des fachbereichsübergreifenden Workshops „Evaluation –

Buchcover "Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung", Katja Beck, Rosa Anna Ferdigg, Dieter Katzenbach, Julia Klett-Hauser, Sophia Laux, Michael Urban (Hrsg.), Waxmann Verlag

„Transfer kann nur im Dialog gelingen“

Ergebnisse des Metavorhabens Inklusive Bildung In der Förderrichtlinie »Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Das Symbol des Holocaust

Erinnerungskultur aus transnationaler Perspektive: Studierende und Dozierende des Faches Erziehungswissenschaften auf Exkursion zum Staatlichen Museum Auschwitz. Im Dezember reisten Bachelor-Studierende

Öffentliche Veranstaltungen
„Beifall für Alfred Dregger“ (1982). Michael Köhler vor dem Bild in der U-Bahn-Station, auf dem er (l.) und sein Mitstreiter Ernst Szebedits zu entdecken sind (s. Markierung). © Dirk Frank

Universitäre Foto-Storys

Nach 40 Jahren: Zwei Stadtteil-Historiker haben zu Barbara Klemms berühmten großformatigen Uni-Fotos in der U-Bahn-Station Bockenheimer Warte recherchiert. Interessante, humorvolle

Kind auf einem Roller © Irina WS / Shutterstock

Wie junge Menschen unterwegs sein möchten

Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt fördert Nachwuchsgruppe CoFoKids an der Goethe-Universität „Von der ‚Generation Rücksitz‘ zu den Vorreitern der

You cannot copy content of this page