
Auch im Schreibzentrum an der Goethe-Universität wappnet man sich bereits für den Einsatz von ChatGPT: Experimentieren, nicht verbieten, lautet die Devise von Leiterin Dr. Nora Hoffmann und ihrem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Kaib.
UniReport: ChatGPT ist spätestens seit Anfang des Jahres ein großes Thema für den Wissenschafts- und Bildungsbereich; wie schauen Sie als Schreibzentrum darauf?
Nora Hoffmann: Uns stört ein wenig die Panikmache, nach der Studierende künftig selbst keine Hausarbeiten mehr schreiben, nur noch betrügen. Das wäre aber eine unpassende Unterstellung – Studierende sehen vielfach durchaus den Nutzen des eigenen Schreibens zur Entwicklung eigener Gedanken und Argumentation. Die Idee, ChatGPT verbieten zu wollen, wäre zudem überhaupt nicht umsetzbar. Man könnte ja noch nicht mal nachweisen, ob der Bot bei der Erstellung eines Textes verwendet wurde. Natürlich besteht dieses Betrugsrisiko, aber auf der anderen Seite sollte es viel stärker darum gehen, dass dieses Programm uns auch neue Chancen eröffnet. Es wäre also sinnvoll, Studierende sowohl über die Grenzen bzw. Gefahren als auch über die Chancen zu informieren, sie ausprobieren und experimentieren zu lassen. Sie werden nämlich sicherlich im beruflichen Kontext künftig mit verschiedenen Formen von KI umgehen können müssen. KI-Literacy ist darüber hinaus eine Kompetenz, die sie für den wissenschaftlichen Bereich erlernen müssen, so, wie wir auch erwarten, dass sie beispielsweise mit Textverarbeitungsoder Literaturverwaltungsprogrammen umgehen können. Sie damit allein zu lassen, wäre daher falsch.
Alexander Kaib: Für uns ist auch interessant, ChatGPT schreibwissenschaftlich und -didaktisch zu erforschen. Darüber weiß man bislang noch zu wenig. Die Frage, die ich mir stelle: Vermindert der Einsatz des Bots die Kreativität beim Schreiben oder verstärkt er sie sogar? Hilft er einem dabei, schnell auf neue Ideen zu kommen, wenn man sich z.B. Texte vorschlagen lässt, die ändert und überarbeitet? Oder werden umgekehrt die eigenen Ideen in bestimmte Bahnen gelenkt und man ist dadurch weniger kreativ? Ich kann mir beides vorstellen. Aus dieser Unentschiedenheit leitet sich unser wichtigster Ratschlag ab: Man sollte es mit Studierenden ausprobieren, schauen, wo es einem weiterhilft, mit Neugierde rangehen…
Do you already have experience of who works with it?
Kaib: So far, we only have anecdotes from tutors and workshop participants. Everything is represented: Some have had no experience with it at all, some are critical of it. Many use ChatGPT when writing in English. One participant reported that she successfully had the outline of her paper created. Its use is said to be more widespread in technical and scientific subjects.
Does it affect humanities scholars and natural scientists equally, or should the answer be more subject-specific?
Kaib: I think that in natural science subjects, texts are often more exemplary overall: Protocols and research articles usually have a clearly predefined structure. Since AIs are particularly good at creating model texts, I could imagine their increased use in the natural sciences. In addition, in subjects where you tend to write exams until the higher semesters, writing is sometimes considered less important anyway. In the humanities, on the other hand, a lot of term papers are written, which are subject to different requirements depending on the lecturer, so there are also fewer conventional patterns that can be easily reproduced by AI. However, the general tip is: you should try ChatGPT in all subjects, but always involve the students.
Hoffmann: The natural and social sciences work a lot with data, whereas the humanities basically write texts based on texts; therefore, the danger of using a bot for the entire text production might seem greater in the humanities. This is perhaps also a reason why the humanities subjects are generally more critical of the tool.
Der Ökonom Prof. Walz sagte im Interview mit dem UniReport, dass es keinen Sinn mache, Studierende reproduzierende Texte schreiben zu lassen; stattdessen sollten sie lieber lernen, kreative Texte zu schreiben. Wussten Universitäten vor dem Auftauchen der Künstlichen Intelligenz eigentlich, warum Schreiben und das Erlernen der Schreibkompetenz so wichtig ist?
Hoffmann: Eine ähnliche Entwicklung hatten wir mit E-Learning in der Pandemie: Plötzlich mussten die Dozierenden sich viel stärker als früher überlegen, was sie mit ihrer Lehre erreichen und wie sie sie entsprechend didaktisch gestalten möchten. Mit ChatGPT wird man wieder auf die Grundlagen geworfen: Studierende sollen in einer Hausarbeit ein Thema selbstständig durchdenken und reflektieren, eigene Ideen entwickeln. Das wurde aber vielleicht früher nicht von allen Dozierenden so explizit als Ziel vermittelt und methodisch angeleitet, von den Studis nicht so angenommen, denn der Fokus lag stärker auf dem (zu benotenden) Textprodukt als auf dem Entstehungs- und Schreibprozess. Nun gewinnt der Blick auf diesen Prozess wieder an Bedeutung, da wir uns fragen müssen: Was sollte der Mensch schreiben können, was könnte vielleicht auch die Maschine übernehmen?
Kaib: Dazu kommt: Auch reproduzierende Texte, die von ChatGPT geschrieben werden könnten, sind oftmals für studentische Lernprozesse wichtig. Eine Vorlesung in eigenen Worten zusammenzufassen ist z.B. etwas ganz anderes, als sich eine KI-generierte Zusammenfassung durchzulesen.
Among other things, the Writing Center videos talk about the different stages of the academic writing process; one stage involves going over the written text several times and engaging with it editorially and self-critically. If I had a text artificially created, would it be a similar engagement with what I have written?
Kaib: Ja, durchaus vorstellbar. Aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Erstellung einer Rohfassung durch den Bot nicht das Denken einschränkt. Denn auch schon beim ersten Entwurf fließen Ideen ein und entwickeln sich während der Niederschrift weiter. Wenn ich hingegen einen halbwegs fertigen Text vor mir habe, ist das vielleicht schon zu spät.
Hoffmann: Grundsätzlich kann man schon sagen, dass ChatGPT keine wirklich originellen und kreativen Texte ausspucken wird, ganz zu schweigen von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern eher Dinge, die breiter Konsens sind. Und dann besteht bislang ja auch noch die Gefahr inhaltlicher Fehler oder Bias. Eine Rohfassung von ChatGPT erstellen zu lassen, bietet damit auch einige Fallstricke, da möglicherweise gedankliche Tiefe genommen wird oder man auf problematische Wege geleitet wird.
Kaib: Man könnte vielleicht formelhaft sagen: Eine Rohfassung von ChatGPT drückt unoriginelle Ideen klar aus, während menschliche Rohfassungen originelle Ideen unklar ausdrücken – das ist vielleicht der basale Unterschied.
Hoffmann: Umgekehrt könnte es schon Sinn ergeben, meinen eigenen, vielleicht noch nicht gut ausformulierten Text durch ChatGPT sprachlich weiterentwickeln zu lassen oder mir eine Rückmeldung dazu durch ChatGPT einzuholen. Immerhin wäre diese Art von Feedback besser als gar kein Feedback, wenn man nicht auf menschliche Feedbackgebende zurückgreifen kann. Wichtig ist aber, von ChatGPT erhaltene Texte – sei es ein Textfeedback oder eine sprachlich-stilistische Änderung meiner Textvorlage – anschließend unbedingt noch einmal kritisch zu überprüfen, ob man selbst hinter diesem Text stehen kann.
Kaib: Ich lese oft in studentischen Hausarbeiten Textteile, die zu lang sind, die könnte man sich z. B. von ChatGPT zusammenfassen lassen und auf der Grundlage über Kürzungen nachdenken.
Hoffmann: Es gibt auch eine didaktische Position, die ganz radikal Studierenden ohne Einschränkungen alle Hilfsmittel geben möchte, ohne dass diese das noch angeben müssen. Sie sollen, so die Idee, am Ende die Verantwortung für den Text übernehmen, für die Übereinstimmung des Geschriebenen mit der Aussageabsicht der Studierenden. Aber damit ließe man die Studis allein, ich wäre nicht dafür. Wir haben als Schreibzentrum eine Handreichung für Lehrende zum Thema ChatGPT entwickelt; im Sommersemester bieten wir dazu auch seminarintegrierte Trainings an: Wir besprechen vorab mit Dozierenden die Schreibaufgaben, die sie im Seminar unter Einbindung von ChatGPT stellen wollen, und unterstützen dann im Gespräch mit Studis durch Hintergrundinformationen zur Funktionsweise und Reflexionsanregungen.
What would be a practical example of the use of ChatGPT in a seminar?
Kaib: Ich würde das Seminar in mehrere Gruppen aufteilen: Jede erstellt mit ChatGPT eine andere Textsorte, z.B. eine Zusammenfassung, Stellungnahme, Reflexion. Dann analysiert man die entstandenen Texte etwa auf Inhalt, Aufbau und Sprache. Zusätzlich hat man eine Art von Kontrollgruppe, die die genannten Textsorten ohne KI-Hilfe erstellt. Darüber lässt sich gut ins Gespräch kommen.
The legal framework for dealing with ChatGPT also concerns both lecturers and students – and, of course, the institutions.
Hoffmann: Man merkt gerade eine große Unsicherheit. Auch wir im Schreibzentrum warten noch darauf, welche rechtlichen Regelungen die GU dazu ergreifen wird. Im Rahmen des Projekts KI:edu.nrw wurde nun gerade ein Rechtsgutachten für NRW erstellt, wie man mit Schreib-KIs im Studium umgehen kann. Das wird sicherlich auch für Hessen sehr nützlich sein. Was wir ziemlich schnell brauchen werden, sind hochschulspezifische Vorgaben für Eigenständigkeitserklärungen und Prüfungsordnungen. Auf deren Basis könnten Lehrende dann fach- und aufgabenspezifisch entscheiden, in welcher Form ihre Studierenden KI-Tools einbeziehen sollen. Zu bedenken ist zudem, dass die in ChatGPT eingespeisten Texte und Daten in den USA landen. Man kann die Studierenden zwar anregen, mit dem Programm zu arbeiten, sie aber nicht dazu verpflichten.
Kaib: Besonders die Eingabe von studentischen Texten ohne explizite Erlaubnis, z.B. um Feedback zu generieren, verletzt dem Gutachten zufolge das Urheberrecht der Studierenden. Generell ist nach wie vor nicht geklärt, wie es mit den Textkorpora aussieht, die verwendet wurden, um die Bots zu füttern.
Today, we use text correction programs and even translation programs such as DeepL as a matter of course. In view of such rapid developments, how can we imagine writing in 100 years' time?
Kaib: Eine solche Prognose anzustellen, wäre etwas schwierig (lacht). Man kann grundsätzlich sagen: Was all‘ diese Tools gemeinsam haben, ist, dass sie unseren Umgang mit Informationen verändern. Sie wurden trainiert mit riesigen Textkorpora, die Menschen in ihrer gesamten Lebenszeit nicht lesen könnten. Sie bauen daraus Anwendungen für uns zu bestimmten Zwecken und agieren damit in gewisser Weise als Redakteure, Vermittler und auch Zensoren zwischen den Originalquellen und dem, was wir daraus machen. Wollen wir aber das? Eine maschinelle Instanz, die etwas verändert, was wir nicht nachvollziehen können?
Questions: Dirk Frank
Mehr zu den Aktivitäten des Schreibzentrums bezüglich ChatGPT im Schreibzentrum der Goethe-Universität.











