Wissenschaft zwischen Freiheit und Verantwortung

Goethe-Universität beschließt Papier zum Spannungsfeld von Wissenschaftsfreiheit, Meinungsfreiheit und gesellschaftlicher Verantwortung.

Zu ihrem 110. Geburtstag hat die Goethe-Universität ein Papier veröffentlicht, mit dem sie sich im Spannungsfeld von gesellschaftlicher Verantwortung der Wissenschaft, Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit positioniert. Grundtenor: Die Universität gewährt der Wissenschaft einen Raum für Eigenverantwortlichkeit und Kreativität und verteidigt ihn gegen wissenschaftsfremde Interessen – aber Autonomie kennt Grenzen und bringt sowohl für die Universität als auch für alle ihre Mitglieder und Angehörigen Verantwortung mit sich. Das Papier ergänzt das Leitbild der Universität und konkretisiert die sich aus dem Grundgesetz und weiteren Rechtsnormen herleitenden Rechte und Pflichten der Universität und ihrer Wissenschaftler*innen.

Die Goethe-Universität bekräftigt mit dem Papier ihr Selbstverständnis als Ort der Konfrontation wissenschaftlicher Ansichten im Ringen um neues Wissen. „Wissenschaft, und gerade die Goethe-Universität als Gründung aus der Stadtgesellschaft für die Stadtgesellschaft, lebt vom Dialog, der Diskussion und dem Diskurs mit Akteur*innen innerhalb und auch außerhalb der Wissenschaft. Dazu gehört es, dass Wissenschaftler*innen es aushalten müssen, wenn andere ihnen öffentlich widersprechen oder gegen wissenschaftliche Veranstaltungen protestieren, so lange dies im Rahmen der Gesetze geschieht. Wenn allerdings durch Äußerungen oder Handlungen die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr ist, haben wir als Universität die Aufgabe, sie zu schützen“, erläutert Prof. Dr. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität. „Aber nicht jede Äußerung und jede Veranstaltung von Wissenschaftler*innen ist von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt: Wenn sie ihre bloße Meinung kundtun, etwa auf Feldern, zu denen sie gar nicht kompetent sind, oder mit einer Veranstaltung rein ergebnisorientiert ideologische Ziele verfolgen, bewegen sie sich außerhalb der Wissenschaftsfreiheit und damit außerhalb des Einflussbereichs der Universität.“

Das Papier wurde erarbeitet, um eine bessere Grundlage für den Umgang mit öffentlicher Kritik an und Protest gegen öffentliche Veranstaltungen von Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität zu erhalten. „Viele Debatten sind stark polarisiert. Wenn wir Wissenschaft im Dialog mit der Gesellschaft betreiben wollen, dürfen wir davor weder zurückschrecken noch ausweichen“, erläutert Uni-Präsident Schleiff. „Wir sind als Professor*innen für den wissenschaftlichen Diskurs ausgebildet, aber wir müssen auch lernen, mit Kritik und Argumenten umzugehen, die nicht wissenschaftlicher Natur sind, und in emotional aufgeheizten Situationen souverän zu bleiben.“ Deshalb hat die Universität neue Fortbildungsangebote etwa für Moderation und Kommunikation eingerichtet, um die Kompetenzen von Wissenschaftler*innen während konfrontativer Momente zu stärken.

Erarbeitet hat das Papier eine Expert*innenkommission unter der Leitung des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Matthias Jahn. Rechtlich hat es den Charakter einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift: Diese erläutert geltendes Recht und dient damit allen an der Universität als verbindliche Handreichung, kann aber die Entscheidung im Einzelfall nicht ersetzen. „Die Universität stellt Wissenschaftler*innen ihre Infrastruktur für die Ausübung von Wissenschaft zur Verfügung, nicht für Tätigkeiten und Formate, die wissenschaftsfremde Ziele verfolgen. Wo die Grenzen liegen, lässt sich nur am Einzelfall bestimmen, auch nach Maßstäben der jeweiligen Fachkultur“, erläutert Jahn. „Eine inhaltliche Steuerung der Wissenschaft durch die Universitätsleitung ist unzulässig, Kontroversen darüber, auf welchem Weg Erkenntnisse gewonnen und wie sie gedeutet werden, obliegen der fachlichen Bewertung der Gemeinschaft der Wissenschaftler*innen. Die Universitätsleitung kann allerdings beispielsweise entscheiden, dass sie einer nicht der Wissenschaftsfreiheit unterliegenden Veranstaltung keine Räume zur Verfügung stellt, wenn diese Entscheidung organisatorisch so abgesichert ist, dass eine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit ausgeschlossen ist. Wenn Wissenschaftler*innen eine solche Entscheidung für falsch halten, steht ihnen der Weg zu den Gerichten offen.“ Die Gerichte haben dann aber die Konkretisierungen durch das Selbstverständnis-Papier der Universität zu berücksichtigen, erklärt Jahn, der im Nebenamt seit zwei Jahrzehnten an verschiedenen Oberlandesgerichten tätig ist.

Auch innerhalb der Wissenschaft gebe es Grenzen. Die Wissenschaftsfreiheit werde im Grundgesetz zwar weitreichend, aber nicht schrankenlos gewährleistet, erläutert das Papier: Einschränkungen zugunsten im Einzelfall als höher bewerteter Güter wie der Grund- und Menschenrechte, auf studentische Ausbildungsfreiheit oder der Persönlichkeitsrechte Dritter sind möglich. Die Konsequenzen sind dann einschneidend: „Verstöße gegen diese Verpflichtung (…) können Dienstvergehen darstellen“, heißt es in dem Papier.

Beschlossen wurde die normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift vom Präsidium der Universität, nachdem auch der Senat und der Hochschulrat sich damit befasst hatten. Zusätzlich wurde der Entwurf mit Vertreterinnen und Vertretern der Frankfurt Stadtgesellschaft erörtert.

Die normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift im Wortlaut:
Wissenschaft an der Goethe-Universität zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung. Normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, beschlossen vom Präsidium am 01.10.2024 nach Beratung mit dem Senat und dem Hochschulrat [PDF] | Erläuterndes Q&A [PDF]

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