Im Gespräch mit… Tanja Raab-Rhein

Vorsitzende Richterin am Landgericht Frankfurt & Ehefrau des Hessischen Ministerpräsidenten

Tanja Raab-Rhein © Heike Jüngst
Tanja Raab-Rhein © Heike Jüngst

Frau Raab-Rhein, was hat Sie dazu bewegt, die Schirmherrschaft für den Förderverein für unerkannte und seltene Erkrankungen (FUSE Hessen e. V.) zu übernehmen?

Menschen mit seltenen oder lange nicht erkannten Erkrankungen haben oft einen belastenden Leidensweg hinter sich. Die jahrelange Suche nach einer Diagnose, das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, und die Hilflosigkeit in dieser Situation sind für Betroffene und ihre Familien enorm herausfordernd. Auch in meinem persönlichen Umfeld habe ich erlebt, wie schwer diese Zeit sein kann – und wie wichtig eine frühzeitige und verlässliche Unterstützung ist. Nehmen Sie zum Beispiel das Chronische Fatigue-Syndrom, das lange kaum bekannt war und erst durch die Corona-Pandemie und Long Covid mehr Aufmerksamkeit erhielt. Viele Betroffene litten über Jahre im Stillen. Das zeigt, wie notwendig mehr Forschung, Aufklärung und gezielte Hilfe im Bereich seltener Erkrankungen sind – damit niemand mit seinem Leid allein bleibt.

Was muss sich aus Ihrer Sicht für diese Patientengruppe ändern?

Politisch und gesellschaftlich braucht es ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass »selten« nicht gleichbedeutend mit »unwichtig« ist. Seltene Erkrankungen betreffen zwar nur wenige Menschen, in der Summe aber Millionen – allein in Deutschland schätzungsweise vier bis fünf Millionen. Trotzdem steht unser Gesundheitssystem vor großen Herausforderungen, wenn es um die Versorgung dieser Patientinnen und Patienten geht, denn es ist vor allem auf häufige Erkrankungen ausgerichtet. Das darf so nicht bleiben. Es braucht gezielte Investitionen in die Forschung, eine langfristige Sicherung spezialisierter Versorgungsangebote und vor allem eine bessere Vernetzung – national und international. Die Universitätskliniken in Hessen, insbesondere die Zentren in Frankfurt und Marburg, zeigen mit großem Engagement, wie Versorgung, Forschung und Zusammenarbeit für seltene Erkrankungen erfolgreich gestaltet werden können. Diese Strukturen verdienen dauerhafte politische Unterstützung, damit Betroffene nicht länger durchs Raster fallen, sondern die Hilfe bekommen, die ihnen zusteht.

Welche Rolle übernimmt hier der Förderverein FUSE e. V.?

Das Ziel des Fördervereins FUSE Hessen e. V. ist es, Forschung, Versorgung, Politik und Öffentlichkeit enger miteinander zu verknüpfen – denn nur gemeinsam lassen sich echte Fortschritte erzielen. Um die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Hessen nachhaltig zu verbessern, finanziert FUSE gezielt Forschungsprojekte, um neue Therapien zu ermöglichen. Der Verein informiert und sensibilisiert – denn viele seltene Erkrankungen sind kaum bekannt und Betroffene haben oft keine hörbare Stimme in der Öffentlichkeit. Darüber hinaus bringt FUSE wichtige Akteure aus Medizin, Wissenschaft, Politik und Patientenorganisationen zusammen, um den Austausch zu fördern und gemeinsam konkrete Verbesserungen zu erreichen. Da wir noch ein sehr junger Verein sind, freuen wir uns über weitere Mitglieder und Förderer.

Von Ihrer Vorgängerin Ursula Bouffier haben Sie zwei weitere Schirmherrschaften »geerbt«, die für das Müttergenesungswerk Hessen und die für die Rheuma-Liga Hessen. Sind diese Aufgaben für Sie eher Pflicht, Plattform oder Privatsache?

Diese Aufgaben nehme ich sehr gerne wahr. Sie sind keine lästige Pflicht, ich betrachte sie aber auch nicht als Plattform für Selbstdarstellung. Vielmehr bieten die Schirmherrschaften für solche wichtigen Initiativen die Chance, mehr Sichtbarkeit für die Anliegen dieser Institutionen zu erreichen. Sie können sich vorstellen: Als Ehefrau des Ministerpräsidenten kann ich mehr Türen öffnen, als es mir als Privatperson möglich ist.

Seit Ihr Mann Boris Rhein zum Ministerpräsidenten von Hessen gewählt wurde, hat sich auch Ihr Leben verändert. Was bedeutet es für Sie, die »First Lady« von Hessen zu sein?

Landesmutter, First Lady, Ministerpräsidentengattin sind Zuschreibungen, mit denen ich wenig anfangen kann. Wir führen eine Ehe auf Augenhöhe. Das bedeutet auch, dass jeder von uns nebeneinander eine eigenständige Persönlichkeit ist. Dazu kommt, dass ich das Rampenlicht nicht suche. Ich arbeite als Vorsitzende Richterin am Landgericht Frankfurt, Spezialkammer für Bau- und Insolvenzrecht, und das leidenschaftlich gerne. Tatsächlich aber hat meine berufliche Laufbahn durch die politische Karriere meines Mannes einen anderen Weg genommen. So hatte ich eine Zeit lang im Hessischen Innenministerium als Juristin – Arbeitsrecht ist mein Fachgebiet – den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen mit ausgehandelt. Als mein Mann in diesem Ministerium Staatssekretär unter Volker Bouffier wurde, konnte ich dort nicht bleiben und bin nach Frankfurt gewechselt.

Wie prägen Ihre Gespräche mit Ihrem Mann seine politischen Entscheidungen?

Wenn Sie damit meinen, dass ich seine Einflüsterin bin, liegen Sie falsch. Vielmehr pflegen wir als Familie eine sehr ausgeprägte Diskussionskultur. Am heimischen Küchentisch gibt es bisweilen intensive politische Debatten. Ich halte es für sehr wichtig, unterschiedliche Haltungen zu diskutieren und auszuhalten, um sich eine Meinung zu bilden. Probleme kann man nur dann lösen, wenn wir aus vielfältigen Sichtweisen und Vorschlägen die besten herausfiltern. Dazu aber muss alles auf den Tisch, oder anders gesagt: Jeder muss eine Stimme haben. Und es fordert einen ganz schön, wenn in der Familie drei gegen einen argumentieren. Was die politische Karriere meines Mannes betrifft: Wenn man sich so lange kennt wie wir, weiß man um die Wünsche und Ambitionen des Partners. Und die unterstützt man gerne. Deshalb habe ich ihm geraten, die Aufgabe des Ministerpräsidenten anzunehmen. Nicht meinetwegen, sondern weil es für ihn richtig ist.

Sie und Ihr Mann haben sich während des Jura-Studiums an der Goethe-Universität kennengelernt. War das der Beginn eines gemeinsamen politischen Weges?

Hauptberuflich eine politische Laufbahn einzuschlagen, war im Gegensatz zu meinem Mann nie mein Ansinnen. Ich bin mit Leib und Seele Richterin. Für mich ist das der beste Beruf der Welt. Kein Nine-to- Five-Job. Wenn mir unter der Dusche etwas einfällt, wie man einen bestimmten Fall lösen und damit allen gerecht werden kann, setze ich mich auch am Wochenende an den Schreibtisch. Jura beeinflusst fast jeden Aspekt unseres Lebens, von Arbeitsbedingungen bis hin zu Umweltfragen. Als Juristin arbeite ich daran, das Rechtssystem fairer und gerechter zu machen, und kann zur Stabilität der Gesellschaft beitragen.

War für Sie schon als Schülerin klar, dass Sie Jura studieren werden?

Überhaupt nicht. Ich wollte eigentlich Biologie-Lehrerin werden. Aber als ich das Abitur machte, riet man mir davon ab, Lehramt zu studieren. Es gab damals zu viele Lehrer – das kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen –, und die Aussicht darauf, eine feste Beamtenstelle zu erhalten, war gering. Auf Jura bin ich dann gekommen, weil ich klare Strukturen schätze und ein gut organisierter Mensch bin.

Richterin, Mutter von zwei Söhnen, Ehrenamtlerin, politisches Engagement – und Ehefrau des Ministerpräsidenten. Wie schaffen Sie es, alles unter einen Hut zu bekommen?

Das werde ich oft gefragt. So genau kann ich das gar nicht beantworten, weil ich on top auch noch jemand bin, der nicht so gut delegieren kann. Außerdem bin ich kein Mensch, der Ausgleich im Nichtstun findet. Ich kann nicht still sitzen. In meiner Freizeit gehe ich laufen oder Rad fahren, schaue mir Ausstellungen an, gehe in Museen und Ähnliches. Ich denke, es gelingt mir, weil ich so gut wie alles wirklich gerne mache.

Das Interview führte Heike Jüngst

Zur Person:
Zugewandt, interessiert, offen, herzlich. Tanja Raab-Rhein lacht gern, denkt scharf, urteilt nie vorschnell. Sie wächst gemeinsam mit ihrer Schwester in Frankfurt am Main auf, der Vater stirbt, da ist sie erst elf Jahre alt. Dieser Schicksalsschlag macht ihr damals zu schaffen. Durch die unerschütterliche Unterstützung ihrer Mutter schafft Tanja Raab ein Abitur mit Bestnoten. Sie studiert Jura an der Goethe-Universität, lernt während des Repetitoriums Boris Rhein kennen. Liebe auf den ersten Blick? Nein. Er zu konservativ, sie zu kritisch. Das Wenige, das sie zunächst teilen, ist dasselbe Geburtsdatum: 2. Januar 1972. Am Ende siegt die Neugier. Heute sind Tanja und Boris Rhein seit 30 Jahren ein Paar. Sie ist inzwischen Mitglied der CDU – und nach wie vor ein streitbarer Geist.

Nach dem Examen startet sie in einer Kanzlei für Arbeitsrecht. Das Fach packt sie, weil es um Menschen geht. Sie wird Fachanwältin, hält Vorträge, nimmt den ersten Sohn mit ins Büro. Sie wechselt nach der Geburt in den Staatsdienst, erst Landgericht Wiesbaden, dann Hessisches Innenministerium. Tarifverträge aushandeln, das liegt ihr. Als Boris Rhein Staatssekretär wird, zieht sie weiter zum Landgericht Frankfurt.

Dort entscheidet sie heute als Vorsitzende Richterin über Bau- und Insolvenzrecht. Sie arbeitet in Teilzeit, bleibt unabhängig. Ihr Beruf erfüllt sie, auch als »First Lady« will sie Richterin bleiben. In der Öffentlichkeit hält sie sich zurück. Sie mag keine großen Auftritte, keine Etiketten wie »Landesmutter«. Sie engagiert sich lieber konkret: im Ortsbeirat Nieder-Eschbach, als Schirmherrin für die Rheuma-Liga und das Müttergenesungswerk Hessen, den von ihr initiierten Förderverein FUSE für unerkannte und seltene Erkrankungen.

Zwei Söhne, ein Haus in Nieder- Eschbach, eine Ehe auf Augenhöhe. Mit Boris Rhein diskutiert sie über Politik, manchmal hitzig, immer ehrlich. Sie unterstützt ihn dabei, sich den Herausforderungen eines Ministerpräsidenten zu stellen. Er hört auf sie, sucht ihren Rat. Tanja Raab-Rhein lebt, was sie fordert: Respekt, Klarheit, Eigenständigkeit. Ihr Glück? »Ich bin sehr zufrieden.«

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