Hörsaal statt Ruhestand

Immer mehr Senioren studieren in Hessen

Kein Ruhestand für den Wissensstand: In Hessen ist die Zahl der Studierenden über 60 in den letzten zehn Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Besonders beliebt sind die Geisteswissenschaften – und die Goethe-Universität Frankfurt erweist sich als Hotspot dieses Trends. Dr. Eilika Emmerlich ist eine dieser Seniorenstudierenden: Mit 63 Jahren schrieb sie sich erneut ein, promovierte mit 69 in Philosophie – und sitzt mit 84 noch immer regelmäßig in Seminaren. Ein Porträt über eine Frau, die zeigt, was lebenslanges Lernen wirklich bedeutet.

Dr. Eilika Emmerlich
Hat ihre Erkenntnisse auf dem neusten Stand: Eilika Emmerlich © Heike Jüngst

Woche für Woche sitzt Eilika Emmerlich in den Hörsälen der Goethe- Universität Frankfurt – mitten unter Studierenden, die ihre Enkel sein könnten. Die so sportliche wie lesefreudige Seniorin besucht Philosophie-, Theologie- und Geschichtsseminare, diskutiert mit, liest Boethius im Original und lässt sich vom intellektuellen Austausch beflügeln. Nicht aus beruflichem Ehrgeiz, sondern aus Freude am Denken. »Ich bin Amateurin – im Sinne von ‚Liebhaberin‘. Ich lerne, weil ich’s liebe, nicht weil ich muss.«

Emmerlich ist Trendsetterin. Zu Beginn ihres Zweitstudiums 2004 noch eine Ausnahme, entdecken heute immer mehr ältere Menschen das Studium im Ruhestand. Im Wintersemester 2024/2025 waren landesweit 786 Menschen über 60 an hessischen Hochschulen immatrikuliert – ein Anstieg um über 56 Prozent seit 2014. Besonders beliebt sind geisteswissenschaftliche Fächer. Und Frankfurt, mit seiner »Universität des 3. Lebensalters« (U3L), gilt als Vorreiterin. Eilika Emmerlich zieht für sich allerdings die regulären Seminare vor. »Ich will wissen, wie die jungen Leute ticken. Alte kenne ich genug.«

»Ich konnte schreiben«: Erste Karriere in der Werbung

In ihren Seminaren wird Emmerlich geduzt, sie duzt zurück, diskutiert mit Verve. Dabei bringt sie eine Lebensgeschichte mit, die selbst in den bunt gemischten Hörsälen selten ist. Nach einem Philologie-Studium in München Anfang der 1960er Jahre – »Germanistik und Anglistik, ich konnte schnell mit Worten umgehen« – machte sie Karriere in der Werbung. Vom ersten Copytest ohne jede Ahnung von »Copywriting« bis in die erweiterte Geschäftsführung einer internationalen Agentur. London, Brüssel, Paris, Wien – Stationen ihres Berufslebens. »Ich hatte keine Ahnung von Werbung, aber ich konnte schreiben. Und denken.« Sie heiratet, gründet eine Familie. Bleibt beruflich am Ball.

Zurück zur Freiheit des Denkens im Zweitstudium

Die Philosophie, sagt sie, war stets ein leiser Begleiter. Richtig angesteckt wurde sie in Management-Seminaren bei Rupert Lay, einem Jesuiten und Ethiker. »Da ging’s um praktische Philosophie – Ethik, Führung, Logik. Ich wollte mehr.« Nach ihrer Verrentung schrieb sie sich deshalb für ein Philosophiestudium ein – mit 63. Fünf Jahre später promovierte sie. Heute besucht sie nach wie vor drei Seminare pro Semester: »Mehr schaffe ich nicht – für Sport und meine Ehrenämter brauche ich auch noch Zeit.«

Sich neu einfinden, dazulernen, aufgeschlossen bleiben – das ist für sie kein Altersthema, sondern eine Haltung. Auch in ihrer ehrenamtlichen Arbeit zeigt sich das. Sie gründete eine Flüchtlingsinitiative in Rödelheim, unterrichtete Deutsch und Staatsbürgerkunde, leitet heute den Heimat- und Geschichtsverein und bringt älteren Menschen im »Surf-Treff« digitale Medien näher. Technik ist kein Fremdwort für Sie. »Ich hatte selbst keine Ahnung vom Computer – hab’s mir beigebracht. Heute kommen die Leute mit ihren Tablets und fragen mich.« Für viele ist Eilika Emmerlich ein Vorbild – auch wenn sie selbst davon wenig Aufheben macht. »Viele der jungen Mitstudierenden sagen: Ich will auch mal so sein wie du. Das freut mich. Aber ich hab’s nicht geplant. Ich hab’s einfach gemacht.«

Heike Jüngst

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