Wenige Tage nach dem großen Sommerfest findet jedes Jahr ein kleineres statt: das für die internationalen Wissenschaftler*innen und Promovierenden an der Goethe-Universität. Diesmal begegneten sich Menschen mit 23 Nationalitäten.
Das alljährliche Sommerfest für internationale Wissenschaftler*innen und Promovierende der Goethe-Universität hat Tradition. Seit 11 Jahren schon findet es wenige Tage nach dem großen Sommerfest der Goethe-Universität statt; Austragungsort ist jeweils das nahegelegene Gästehaus der Universität in der Ditmarstraße, nur einen kurzen Fußweg vom Campus Westend entfernt. Speziell im Sommer lassen sich hier Feste besonders gut feiern – zwischen grünen, baumbesetzten Wiesen, mit weitläufigen Terrassen und Springbrunnen bieten die Goethe-Uni Gästehäuser in der Frauenlob- und Ditmarstraße Besucher*innen Inspiration durch Natur und die Künste und einen Ort für den Austausch unter- und miteinander.
Es ist Freitagabend, Mitte Juli, die Hitze der letzten Wochen ist etwas zurückgegangen. Das große Tor zum Gästehaus auf der Ditmarstraße steht offen. Ein Duft von Essen liegt in der Luft – dieses Mal gibt es nepalesisches Buffet. Folgt man Nase und Ohr, findet man sich schnell im Foyer des eleganten Baus wieder. Hier wie auch im weitläufigen Garten bietet sich an diesem Abend ein Bild von Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Alters, Kinder hüpfen über die Wiese, die Gruppe Mediterraneo um den Gitarristen Walter Bareither spielt Jazzmusik – sie mischt sich mit dem angenehmen Stimmengewirr unterschiedlichsten Sprachen, das – umrahmt von Gelächter, kurzen Ansprachen unterschiedlichster Natur sowie vielen Selfies mit der kleinen Goethe-Statue – in der warmen Abendluft klingt.

Die Rezeption türkischer Filme der 60er und 70er Jahre in Deutschland erkunden
Zeynep Gültekin Akçay ist Film- und Kommunikationswissenschaftlerin an der Sivas Cumhuriyet Üniversitesi. Sie kommt bereits vor dem offiziellen Beginn der alljährlichen Feier an. Das Buffet wird noch gerichtet, die Instrumente für die Band werden bereitgestellt, und auch Goethe sucht noch nach einem gebührenden Stehplatz. Die Gastwissenschaftlerin aus der Türkei nutzt die verbleibende Zeit für einen Spaziergang. Ihr Mann und ihre 12-jährige Tochter sind erst vor ein paar Stunden in Frankfurt gelandet, und sie freuen sich, den ersten Abend in so einer schönen Umgebung zu verbringen.
Während ihres einjährigen Aufenthalts arbeitet die junge Wissenschaftlerin innerhalb der Frankfurt Memory Studies Platform am FB 10 (Neuere Philologien) unter Aufsicht von Prof. Astrid Erll an ihrem Oral History-Projekt zur Rezeption der türkischen Filmlandschaft der 1960er und 70er Jahre. „Ich bin besonders an der Wahrnehmung unter Deutschtürk*innen der ersten und zweiten Generation interessiert“, sagt sie. „Welche Gefühle rufen die Filme und Schauspieler*innen unter diesen Zeitzeug*innen hervor?“ Ihr Ziel besteht darin, diese Stimmen zu dokumentieren.
Seit ihrer Ankunft Anfang Mai hat sie schon einiges bewegt, Kontakte zu türkischen Gemeinden in Frankfurt, Offenbach und Umgebung geknüpft. Auch Heidelberg und Mannheim stehen auf der Agenda. Finanziert wird ihr Aufenthalt durch ein Stipendium ihrer Universität.
In den nächsten zwei Monaten wird ihre Familie sie teilweise bei ihrer Arbeit begleiten und die Zeit nutzen, um Deutschland zu erkunden. Für Tochter Ekin stehen dabei zudem Deutschunterricht und Schwimmen auf der Agenda – die 12-jährige hat bereits mehrere Goldmedaillen gewonnen –, während ihr Vater dank mobilem Arbeiten und Selbstständigkeit weiterhin seinen beruflichen Tätigkeiten nachgehen wird. Dass sie dabei gemeinsam während der Sommerferien auch ein neues Land erkunden können, finden alle spannend.
Anfang Dezember plant die Familie eine erneute gemeinsame kulturelle Erkundung – die deutschen und allem voran die Frankfurter Weihnachtsmärkte. Bis dahin wird Zeynep Gültekin Akçay die Zeit für ihre Forschung nutzen – nachhaltig, damit künftige Generationen ihre Stimmen hören und ihre Emotionen nachvollziehen können.
Auch wenn der Aufenthalt ausschließlich ihrer Forschung dient, zeigt das Beispiel der jungen Wissenschaftlerin, wie tiefgreifend Forschungsaufenthalte im Ausland auch die eigene Familie beeinflussen und welche Rolle sie im internationalen Austausch auch für künftige Generationen spielen.

Frankfurts Anziehungskraft als Finanz-, Forschungs- und Kommunikationsdrehscheibe
Wie prägend ein Auslandsaufenthalt ist, zeigt auch das Gespräch mit Saurabh Sharma und Zafar Abdullayev. Beide suchten nach einer Studienmöglichkeit im Finanzstandort Frankfurt und sind inzwischen PhD-Studierende an der Graduate School of Economics, Finance, and Management (GSEFM) mit Sitz im House of Finance auf dem Campus Westend. „Als Heimat der Bundesbank wie auch der European Central Bank ist die Stadt ideal für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften“, sagt Saurabh Sharma. Der Gaststudent aus dem indischen Jaipur und sein Kommilitone aus Baku, Aserbaidschan, sind bereits seit zwei Jahren als Teil des Programms in Frankfurt.
Beide sind besonders an geldpolitischen Transmissionen (monetary policy transmission) interessiert und sind meist gemeinsam oder mit anderen Mitgliedern ihrer Kohorte anzutreffen. „Ich liebe Frankfurt, die unterschiedlichen Nationalitäten, Eindrücke, Möglichkeiten, aber auch die lokalen und deutschen Traditionen und Gebräuche, die man hier lebt“, sagt Zafar Abdullayev. Diese einzigartige Atmosphäre findet sich auch innerhalb des Programms wieder, ergänzt er. „Vor allem unsere Kohorte ist sehr divers – ungefähr die Hälfte besteht aus internationalen Studierenden, vornehmlich aus Asien, Afrika und europäischen Ländern. Der Mix an Nationalitäten ist ebenso einmalig wie die unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründe, mit denen wir unser Thema angehen, diskutieren und erforschen.“
Neben der Forschung schätzt Saurabh Sharma den Westend Campus besonders. „Es ist wunderschön grün, vor allem im Vergleich zu anderen urbanen Universitäten, die ich bisher besucht habe. Alles ist fußläufig und gut zu erreichen und trotzdem inmitten der Natur gelegen. Manchmal sehe ich Menschen einfach unter den Bäumen im Schatten liegen, im Hintergrund die Kulisse der Skyline oder des Taunus.“ Zafar Abdullayev nickt und fügt hinzu, dass er vor allem den Austausch mit den Professor*innen sehr schätzt. „Schon während der Planung und vor meiner Ankunft wollte ich gezielt von diesen Personen lernen. Das alles hier in einem Ort vorzufinden: einmalig!“

Die GSEFM wird als Allianz zwischen der Goethe-Universität Frankfurt, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Technischen Universität Darmstadt und dem Leibniz Institute for Financial Research SAFE betrieben. So haben Teilnehmende auch die Möglichkeit, Kurse an Partnerinstitutionen zu belegen. Saurabh Sharma beispielsweise nimmt an einem Kurs zu Künstlicher Intelligenz an der TU Darmstadt teil. „Wenn man dann noch bedenkt, dass es nur 30 Minuten Bahnfahrt vom Westend zum Flughafen sind, wird einem wirklich bewusst, wie geeignet Frankfurt als Finanz-, Forschungs- und Kommunikationsdrehscheibe wirklich ist“, sagt er.
Zafar Abdullayev hat ein Stipendium erhalten und wird nach Vollendung des Programms an seine Universität zurückkehren. „Ich möchte den Bildungssektor meines Landes unterstützen, aber wenn es Möglichkeiten anderswo gibt, wäre ich natürlich auch offen.“ Auch Saurabh Sharma möchte zuerst einmal zurück nach Indien, wo er vorher im Bankensektor gearbeitet hat. Forschen will er auf alle Fälle weiter, und je nachdem, wo sein Interesse ihn hinführt und welche Möglichkeiten sich auftun, wäre auch er nicht abgeneigt, erneut ins Ausland zu gehen.
Italienische Expertise, jüdische Philosophie, Sommerschule und Mensch-Sein
Der Forschungsschwerpunkt von Dr. Francesco Pio Leonardi ist jüdische Philosophie, mit einem Hauptaugenmerk auf den Werken von Franz Rosenzweig und Herrmann Cohen sowie der Mathematik. Dabei ist der aus Italien stammende Forscher vor allem an dem Konzept der Revolution in der jüdischer Philosophie und seinen Auswirkungen auf westliches Gedankengut interessiert. „Unter der Obhut von Professor Christian Wiese – Inhaber der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie und Direktor des 2021 eröffneten Buber-Rosenzweig-Instituts – zu diesen Themen zu forschen, ist eine besondere Ehre für mich“, sagt er. „Nicht nur, weil er eine Koryphäe auf dem Gebiet ist, sondern auch weil er ein wahrer Mensch ist – der anderen mit der gleichen Offenheit begegnet, mit der er auch seine wissenschaftlichen Vorhaben angeht.“
Judeo-deutsche Philosophie, ist Francesco überzeugt, liefert wertvolle Impulse nicht nur für andere europäische Kulturen. Für ihn war die Goethe-Universität – mit starken Forschungsschwerpunkt in jüdischer Religionsgeschichte – ein logischer Ort für seine Forschung. Im September wird er an der in Frankfurt stattfindenden Summer School teilnehmen, die vom Frankfurt-Tel Aviv Center for the Study of Religious and Interreligious Dynamics ausgerichtet wird – einer gemeinsamen Forschungsinstitution der Goethe-Universität Frankfurt und ihrer langjährigen Partnerhochschule Tel Aviv University. „Gerade in Anbetracht der derzeitigen Situation im Nahen Osten ist es besonders wichtig, Verständnis füreinander zu schaffen“, sagt er.
Zuvor wird er allerdings für einen Monat in seine Heimat in Sizilien zurückkehren. Während seines Gastaufenthalts pendelt er viel. „Mein Sohn ist etwas mehr als ein Jahr alt, und ich versuche immer nur ein paar Wochen abwesend zu sein, um dann wieder ein paar Wochen daheim mit ihm und meiner Frau zu verbringen.“ Die Direktverbindung vom Frankfurter Flughafen macht ihm das Pendeln leicht.
Über Malaysia, Irland und Deutschland zur Leukämie-Forschung am Uniklinikum Frankfurt
Auch Hui Ming Tew aus Malaysia ist unter den Anwesenden. Die junge Frau erforscht Leukämie bei Kindern am Fachbereich Medizin. Nach Abschluss ihrer Schulausbildung in Malaysia erfolgte zunächst ein Bachelor in Irland. Mit Deutschland ist sie spätestens seit ihrem Master in Biochemie an der Universität Bonn bestens vertraut. „In unterschiedlichen Ländern zu forschen war definitiv eine bereichernde Erfahrung.“ Die Entscheidung für Frankfurt kam mit ihrem Fachgebiet Stammzellen. „Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf Professor Michael Rieger gestoßen. Vor allem seine Studien zu Leukämie faszinierten mich. Kurzentschlossen habe ich ihn kontaktiert und gefragt, ob er Interesse daran hätte, mich als PhD-Kandidatin zu betreuen. Ausschlaggebend war dann das zweite Interview vor Ort: Die Arbeitsatmosphäre und die netten Kolleg*innen haben mich überzeugt.“ Darüber hinaus habe sie von Freund*innen, die auch in Frankfurt promovieren, sehr viel Positives über die Stadt, ihre Universität und vor allem die internationalen Netzwerke gehört.
Einen kleinen Wehmutstropfen gab es dennoch: „Eigentlich sollte ich bereits im September mit meinem PhD beginnen, aber aufgrund von Komplikationen beim Visum hat sich der Start verzögert.“ Die unerwarteten Probleme mit ihrem Aufenthaltstitel konnten mithilfe der Uniklinik Frankfurt schnell behoben werden. „Das bestätigt nochmal meinen Eindruck vom zweiten Interview vor Ort. Ich freue mich auf die nächsten Jahre.“ Diese will Hui Ming Tew ganz ihrer Forschung widmen, der sie auch nach ihrer Promotion treu bleiben will. Ob in der Industrie oder im akademischen Bereich, das weiß sie allerdings noch nicht.
Möglichmacher: Goethes weltweit einziges internationales Welcome Center
Das internationale Sommerfest ist auch diesmal ein rundum gelungener Abend, auch für die grüne Goethe Statue, die sich hoher Beliebtheit erfreute, für unzählige Selfies posierte und dem geselligen Treiben beiwohnte. Viele Gäste winkten der Statue nochmal, als Florian von Bothmer sie von ihrem Sitzplatz in seinen Wagen trug, wo der Dichter und Denker sorgfältig angeschnallt wurde. Der GWC-Leiter und sein Team – Isabelle de Porras, John Khairi-Taraki, Friederike Schäfer und Alejandro Rios Aparicio – ziehen am Ende des Abends ein positives Fazit. „Das Ziel unseres Sommerfests besteht darin, Menschen miteinander zu vernetzen, sich kennenzulernen, Interessen auszutauschen, und – wer weiß? – vielleicht auch lebenslange Freundschaften zu schließen.“

Das Sommerfest für internationale Wissenschaftler*innen 2025 in Kennzahlen
68 Teilnehmende, darunter 12 Familienangehörige
36 Frauen, 32 Männer
23 Nationalitäten
16 Fachbereiche
4 Orga-Team Mitglieder
∞ Impulse für den freien und unbegrenzten Wissensaustausch und Begegnungen, die für ein Leben prägen
Science Diplomacy Preis und Kunstspende für das International House an Campus Riedberg
Das Fest für internationale Wissenschaftler*innen und Promovierende wird traditionell von der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Goethe-Universität organisiert. Deren Vorsitzender Prof. Jürgen Bereiter-Hahn nutzte die Feier, um gleich zwei weitere Herzensthemen zu platzieren.
Die Stiftung hat einen Preis ins Leben gerufen: den Goethe International Science Diplomacy Award. Die mit 2.000 Euro dotierte Auszeichnung soll ab 2026 jährlich an einen Wissenschaftler*in der Goethe-Universität verliehen werden. Ausgezeichnet werden besondere Initiativen, die der globalen wissenschaftlichen Vernetzung der Goethe-Universität dienen. Dazu gehören neben Aktivitäten mit internationalen Forschungsinstitutionen in Krisenregionen auch innovative Arten der Einbeziehung internationaler Wissenschaftler*innen in Forschungs- und Lehrprojekte, besondere Austauschaktivitäten oder Gastaufenthalte, außergewöhnliche internationale wissenschaftliche Konferenzen oder Workshops an der Goethe-Universität; ausgezeichnet werden auch Initiativen zur Förderung des Dialogs und des interkulturellen Austauschs mit internationalen Gästen während ihres Aufenthalts in Frankfurt.
Neben dem Preis stellte Bereiter-Hahn zudem die neuen Kunstwerke im Gästehaus am Riedberg vor und dankte den anwesenden Spendern, dem Ehepaar Petra und Oliver Munzel; dank ihrer Unterstützung konnte die Stiftung nicht nur ein Werk des Künstlers Thomas Pildner, sondern auch gleich neun Bilder des Malers Sascha Hartwich für die Korridore und Aufgänge zur Dachterrasse im International House am Campus Riedberg erwerben. Beide Künstler zeichnen sich durch ihre nachhaltige Arbeitsform aus – während Bildhauer und Drechsler Pildner nur abgestorbene oder bereits gefällte Bäume für seine Objekte nutzt, arbeitet Hartwich auf handgeschöpftem Baumwollpapier in verschiedenen Stärken, das aus Baumwollresten aus Indien Pakistan und Nepal hergestellt wird.

Gästehäuser unter neuer Obhut: Kerstin Adamle folgt auf Maria Reinhardt
Das diesjährige Sommerfest ist das letzte der langjährigen Hausdame Maria Reinhardt, die sich zum August 2025 in den Ruhestand verabschiedet. „Mit Maria Reinhardt geht mehr als eine Person in den Ruhestand – eine Institution verabschiedet sich von ihrer guten Seele“, sagte Prof. Jürgen Bereiter-Hahn, Vorsitzender der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Goethe-Universität. Gleichzeitig freuen sich er und das Team auf die künftige Zusammenarbeit mit Kerstin Adamle. „Mit Kerstin Adamle haben wir eine ebenso großherzige wie kompetente Persönlichkeit wie Maria Reinhardt für unsere Gästehäuser gewinnen können“, erklärte Bereiter-Hahn. „Wir wünschen ihr viel Erfolg und freuen uns auf die Zusammenarbeit.“











