PROTACs: »Entsorgung« als Therapie

Der Pharmazeut Manfred Schubert-Zsilavecz erläutert die neuen Wirkstoffe.

Bislang greifen fast alle Arzneistoffe in Krankheitsprozesse ein, indem sie entweder fehlende Moleküle ersetzen oder fehlfunktionierende Moleküle (oder ihre Herstellung) blockieren. Wirkstoffe neuen Typs, die „Proteolysis Targeting Chimera“ oder PROTAC genannt werden, machen es anders: Sie lassen durch die zelleigenen „Müllschredder“ störende Proteine beseitigen. Noch ist keiner von ihnen zugelassen, allerdings wurde vor wenigen Tagen ein Zulassungsantrag für Vebdegestrant gestellt (siehe unten).

Ein PROTAC (grün) wirkt wie ein »molekularer Klebstoff «, der gezielt das krankheitsverursachende Protein (blau) an das zelluläre Recyclingsystem (pink) bindet und so dessen Abbau induziert. Die Abbildung basiert auf einer hochaufgelösten Proteinstruktur, die im Labor von Prof. Knapp charakterisiert wurde und die molekularen Details der durch PROTAC induzierten Interaktion sichtbar macht. Diese Struktur hat entscheidend dazu beigetragen, den PROTAC-Klebstoff präzise zu optimieren. Das darauf basierende PROTACMolekül wird derzeit in präklinischen Krebsmodellen, insbesondere bei Leukämie, getestet. Abbildung: Andreas Krämer
Ein PROTAC (grün) wirkt wie ein »molekularer Klebstoff «, der gezielt das krankheitsverursachende Protein (blau) an das zelluläre Recyclingsystem (pink) bindet und so dessen Abbau induziert. Die Abbildung basiert auf einer hochaufgelösten Proteinstruktur, die im Labor von Prof. Knapp charakterisiert wurde und die molekularen Details der durch PROTAC induzierten Interaktion sichtbar macht. Diese Struktur hat entscheidend dazu beigetragen, den PROTAC-Klebstoff präzise zu optimieren. Das darauf basierende PROTACMolekül wird derzeit in präklinischen Krebsmodellen, insbesondere bei Leukämie, getestet. Abbildung: Andreas Krämer

Die Herausforderung

Bei vielen Krankheiten wird in den Zellen im Körper von einem Protein viel zu viel gebildet oder seine Produktion erfolgt im falschen Moment. Manchmal wird sogar ein schädliches Protein gebildet, das es gar nicht geben dürfte. Zur Behandlung werden dann zumeist Medikamente verwendet, die das relevante Protein selbst oder seine Herstellung blockieren.

Zwei Beispiele:

  • Viele Menschen produzieren in ihrem Körper zu viel Cholesterin. Statine sind Arzneistoffe, die in der Leber ein Schlüsselenzym der Biosynthese des Cholesterins senken, wodurch die körpereigene Cholesterinproduktion gedrosselt wird.
  • Oder Kopfschmerzen: Viele Kopfschmerzen beginnen mit der Bildung bestimmter Schmerzsubstanzen durch zwei Enzyme, die Cox1 und Cox2 heißen. Ibuprofen, ASS, Diclofenac und Naproxen blockieren diese Enzyme mit der Konsequenz, dass kein Schmerz mehr entstehen kann.

Vor gut 20 Jahren kamen Wissenschaftler – darunter der diesjährige Stiftungsgastprofessor – auf eine völlig neue Idee: Jede Zelle – so die Überlegung – hat einen Müllschredder für Proteine. Könnte man nicht diesen Schredder auf das betreffende Enzym oder den Rezeptor „hetzen“? Der würde daraus quasi Kleinholz machen. Das geht tatsächlich. Die ersten Wirkstoffe, die auf diese Weise funktionieren, werden gerade in klinischen Studien erprobt. Sie heißen PROTACs bzw. „Proteolysis Targeting Chimeras“.

Wie der Schredder erfährt, was er schreddern soll

Der Proteinschredder in den Zellen zerlegt nicht einfach alles, was ihm begegnet. Er schreddert ein Protein nur, wenn vorher eine Art zelluläre „Etikettiermaschine“ das Etikett „kann weg“ draufgeklebt hat. Der offizielle Name dieser Maschine ist Ligase E3. PROTACs müssen die unerwünschten Proteine damit zusammenbringen. Dazu haben die Forscherinnen und Forscher in den Pharmalabors Wirkstoffe aus zwei Teilen gebaut: Der eine Teil ist so gemacht, dass er sich an die „Etikettiermaschine“ heften kann, und der andere ist so gebaut, dass er sich an das unerwünschte Protein heftet. Wenn jetzt ein Mensch so ein Medikament einnimmt, gelangen diese Doppelmoleküle in die Zellen und verbinden sich mit Maschine und Zielprotein. Die Maschine etikettiert das Zielprotein, den Rest besorgt dann der Schredder.

Krankheiten, bei denen PROTACs helfen könnten

Viele Unternehmen versuchen, auf diese Weise neue Behandlungsmöglichkeiten für Patienten und Patientinnen mit ganz unterschiedlichen Krankheiten zu entwickeln. Allein gegen Krebs sind mehr als 70 verschiedene PROTACs in Entwicklung: gegen Brustkrebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs, Lymphknotenkrebs und andere Krebsformen. Aber es geht auch um Autoimmunkrankheiten, z. B. Gelenkrheuma oder atopische Dermatitis. Da müssen Immunreaktionen unterdrückt werden. Das gelingt heute schon bei vielen Betroffenen mit herkömmlichen Medikamenten ganz gut, aber eben nicht bei allen. Im Labor wird experimentiert, ob man mit PROTACs auch Viren bekämpfen kann. Viren dringen in Zellen ein und vermehren sich dort. Daran wirken Virenproteine mit. PROTACs könnten dafür sorgen, dass diese Virenproteine ganz schnell beseitigt werden. Ein spannendes Gebiet sind die neurodegenerativen Krankheiten. Bei denen sind oft Proteine Teil des Problems, die sich zusammenklumpen und dann als Müll in den Nervenzellen herumliegen. Bei Alzheimer sind das Aggregate aus Tau-Protein, bei Frontotemporal- Demenz ebenfalls, bei Parkinson Aggregate aus Alpha- Synuclein und bei Morbus Huntington Aggregate aus mutiertem Huntington. Und bisher sind keine Medikamente zugelassen, um diese Proteinaggregationen zu verhindern. Einige Unternehmen arbeiten nun daran, gegen diese Proteinaggregate PROTACs zu entwickeln. Wenn die Aggregation schon nicht verhindert werden kann, dann sollen eben die Aggregate wieder geschreddert werden. Diese PROTACs sind aber noch im Laborstadium.

Zulassungsantrag für Vepdegestrant bei der FDA eingereicht

Die pharmazeutischen Unternehmen Arvinas und Pfizer gaben am 8. August 2025 bekannt, dass sie für den gemeinsam entwickelten Protein- Degrader Vepdegestrant einen Zulassungsantrag bei der FDA eingereicht haben (1). Dieser Antrag ist insofern bedeutend, als er einen Meilenstein bei der Entwicklung der sogenannten PROTACs darstellt, die außerhalb von klinischen Studien bisher nicht therapeutisch verfügbar waren. PROTACs sind oral applizierbare bifunktionale Wirkstoffe, die intrazellulär den gezielten Abbau von krankheitsrelevanten Proteinen induzieren. Vepdegestrant bindet mit einem Östrogen-mimetischen Molekülteil an den Östrogenrezeptor (ER) und mit einem anderen Molekülteil an die E3-Ligase. Die so induzierte räumliche Nähe (proximity) zwischen dem ER und der E3-Ligase führt zur Ubiquitinylierung und in der Folge zum gezielten Abbau (Degrading) des Östrogenrezeptor- Proteins durch das zelluläre Proteasom. Vepdegestrant soll nach der für 2026 erwarteten Zulassung für die Behandlung von Patientinnen mit Östrogenrezeptor- positivem (ER+)/humaner epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor 2-negativem (HER2-) und ESR1-mutiertem Brustkrebs eingesetzt werden, die zuvor eine endokrine Therapie erhalten haben.

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz ist Kuratoriumsvorsitzender der Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur.

Der Name PROTAC PROTAC
(gesprochen „pro-täck“) steht für „Proteolysis Targeting Chimera“. Chimäre heißt so ein Wirkstoff, weil er aus zwei völlig verschiedenen Teilen besteht – so, wie sich die Chimäre der Mythologie aus mehreren Tieren zusammensetzte. „Targeting“ heißt, auf etwas abzuzielen. „Proteolysis“ ist der englische Fachbegriff für das Schreddern von Proteinen. PROTACs sind folglich Chimären, die gezielt für das Schreddern von Proteinen sorgen.

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