Der emeritierte Biologe Rüdiger Wittig ist auch mit fast 79 Jahren noch forschend unterwegs. Besonders haben es ihm die Moore seiner Heimat Westfalen angetan.

Das Amtsvenn ist ein Moorgebiet im nordwestlichen Münsterland. Lange Zeit wurde von der dort ansässigen Bauernschaft sehr stark Torf abgebaut, was der Stabilität dieser einzigartigen Landschaft nicht gerade zuträglich war. Erst seit Anfang der 1980er-Jahre steht das Gebiet, bei dem es sich ohnehin nur noch um die Reste eines ehemals weitaus größeren Hochmoorgebietes handelt, unter Naturschutz. Wie hat es sich seitdem entwickelt, konnte sich das Moor regenerieren?
Geradezu prädestiniert für die Beantwortung dieser Frage ist wohl der Biologe Rüdiger Wittig, Professor für Geobotanik und Ökologie an der Goethe-Universität, seit 2013 emeritiert. Seine Habilitationsschrift zum Thema Moore und oligotrophe (nährstoffarme) Gewässer enthält zahlreiche Pflegevorschläge und bildete damit eine Grundlage für das Management dieser Gebiete.
Wittig befindet sich im sogenannten ‚Unruhestand‘, mit zahlreichen Forschungsprojekten hat er sich seit seiner Pensionierung beschäftigt. „Ich habe mir früher immer gewünscht, nach meiner Dienstzeit zu Themen zurückzukehren, die mir besonders am Herzen liegen. Als Biologe an einer Universität widmet man sich heutzutage vor allem Forschungsthemen, die international auch wahrgenommen werden. Die Moore Westfalens gehören nicht unbedingt dazu. Da waren meine Arbeiten zu den Auswirkungen des Sauren Regens und des Eintrags von Schwermetallen, zur Stadtökologie sowie die im Rahmen eines interdisziplinären Sonderforschungsbereiches durchgeführten Untersuchungen zur Bedeutung der Vegetation der westafrikanischen Savanne für die lokale Bevölkerung aus universitärer Sicht natürlich interessanter. Weil mein Beruf zugleich mein Hobby ist, kann ich mich seit meiner Emeritierung wieder Themen widmen, die gewissermaßen direkt vor meiner Haustüre liegen.“ Im Falle des Wolbecker Tiergartens ist das durchaus wörtlich zu verstehen: Dieser liegt nur einen Steinwurf von Wittigs Haus entfernt. In einer kürzlich erschienen Publikation konnte der Biologe unter anderem aufzeigen, dass das ehemalige Jagdgebiet von Adligen seit über 800 Jahren mit Wald bedeckt ist und somit das älteste Waldgebiet der westfälischen Bucht darstellt.
Natürliche und anthropogene Einflüsse
Moorlandschaften, die auch gerade wegen ihrer an der Oberfläche kaum sichtbaren Wasserflächen und Feuchtgebiete tief im kulturellen Gedächtnis verankert sind – man denke nur an die vielen Abenteuerfilme und Krimis, die im Moor spielen –, haben es dem Biologen angetan. „Wer sich in einem Hochmoor gut auskennt, läuft nicht Gefahr, einzusinken. Man muss nur die gut bewachsenen Stellen erkennen, die für eine gewisse Stabilität sorgen.“ Wittig ist gerade erst von einer mehrtägigen Moorbegehung des erst nach Erstellung seiner Habilitationsschrift unter Schutz gestellten, noch bis Ende 1980 in Abtorfung begriffenen Amtsvenns zurück. Dabei ließ er sich von einem ausgewiesenen Moosfachmann, Dr. Carsten Schmidt, begleiten, denn die nicht leicht zu unterscheidenden diversen Torfmoosarten bilden den wichtigsten Bestandteil der Moorvegetation und sind wichtige Indikatoren für den Zustand der Moore bezüglich Re- oder Degeneration sowie Eutrophierung.
Wie lautet nun Wittigs Bilanz? „Zuerst einmal muss man festhalten, dass die Regeneration entwässerter, teilabgetorfter Hochmoore von zahlreichen Faktoren abhängt, wobei ausreichende Feuchtigkeit unerlässlich ist, also feuchtes Klima und hochstehendes, nährstoffarmes Grundwasser an erster Stelle zu nennen sind. Solange der Torf kleinbäuerlich abgebaut wurde, bildete sich ein enges bandförmiges Mosaik aus schmalen Torfkuhlen und Torfrippen: Die schmalen ausgehobenen Kuhlen füllten sich schnell mit Wasser und waren durch die seitlich angrenzenden, dem Abtransport des Torfs dienenden Torfrippen windgeschützt, sodass es in den Gewässern nicht zu Wellenschlag kommen konnte.“ Nur so können sich flutende Torfmoose ansiedeln, eine stabile Decke über dem Wasser bilden und die Grundlage für die Ansiedlung von Wollgras bilden. Dieses stabilisiert mit seinen Wurzeln die Moosdecke, sodass sich schließlich die für Hochmoore bezeichnenden Torfmoos-Arten und darauf dann Glocken- und Rosmarinheide etablieren können. In industriell, das heißt großflächig abgetorften Mooren bilden sich entsprechend großflächige, windbeeinflusste Moorgewässer ohne Torfmoosdecke. Derartige Gewässer ziehen zudem Wassergeflügel, insbesondere Gänse, an, die mit ihrem Kot zur Eutrophierung der Gewässer beitragen. „So pittoresk aus touristischer Sicht auch Gänseschwärme über dem Moor aussehen mögen – für den Erhalt des Moores ist das alles andere als gut“, betont Wittig. Die Moore Nord- und Mitteleuropas sind sensible Biotope, für deren Erhalt einiges getan werden muss. Im Amtsvenn sorgt der große Appetit einer dafür eigens angeschafften Schafherde, dass sich keine Bäume ansiedeln. „Denn Bäume haben einen großen Wasserverbrauch, das können die Moore in Nordwestdeutschland nicht vertragen“, erläutert Wittig. Der wichtigste Faktor für die Regenerierung eines Moores hat nun aber auch mit dem Klimawandel zu tun, betont er: Besonders die letzten Jahre waren insgesamt zu trocken. „Typisch für eine Hochmoorregeneration ist der Wechsel von nassen und wechseltrockenen Stellen, Erstere konnte ich bei meiner letzten Begehung im Amtsvenn kaum finden. Früher musste ich mit beinhohen Stiefeln durch das Moor waten, jetzt hingegen reichen normale Stiefel. Das zeigt deutlich, dass die Entwicklung zu einem Hochmoor aus klimatischer Sicht im Amtsvenn eher unwahrscheinlich ist“, so Wittig etwas enttäuscht. Zusätzlich sind es auch weitere anthropogene Faktoren, die den Wasserhaushalt im Amtsvenn beeinflusst haben: So wurden notwendige Maßnahmen, um die Entwässerung des Moorgebietes einzudämmen, offensichtlich nicht ausreichend umgesetzt. Auch auf die Landwirtschaft kommt Wittig zu sprechen: Die starke Düngung in manchen Gebieten trägt zur Eutrophierung von Böden und Gewässern bei. Dabei hat der Biologe durchaus Verständnis dafür, dass Landwirte aufgrund von strengen Marktmechanismen manchmal unökologisch handeln. Er betont aber: „Die Stickstoffeinträge sind zu hoch! Insgesamt hoffe ich dennoch, dass ich mit meiner Forschung einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass eine hochsensible Landschaftsform wie das Hochmoor erhalten bzw. regeneriert werden kann.“
Der europäische Büffel – doch nicht integrierbar?
Wie schwierig Ökologie und Ökonomie, Naturschutz und Landwirtschaft zu vereinbaren sind, hat Wittig auch mit einem anderen, gerade in Hessen sehr populären Projekt erlebt: Im April 2013 wurde eine Gruppe von Wisenten in die Freiheit der Wittgensteiner Wälder ausgewildert. Wittig war kurz vor seiner Emeritierung damit beauftragt worden zu untersuchen, inwiefern diese europäischen Büffel eine mögliche Gefahr für Wiesen und Wälder darstellen. „Wir haben das auf einer dafür ausgewiesenen, acht Hektar umfassenden Waldfläche getan. Nach unseren Ergebnissen damals bestand keine Gefahr für die Flora.“ Doch es kam leider anders: Die ausgewilderte Herde machte sich vom ersten Tag an über Baumrinden her. „Möglicherweise war eine neue Leitkuh dafür verantwortlich, die dieses Verhalten in die Herde hineingetragen hat“, mutmaßt Wittig. Auch weil die Wisente das dafür vorgesehene Waldgebiet, das der mittlerweile verstorbene Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein zur Verfügung gestellt hatte, öfter verließen und in benachbarte Wälder vordrangen, liefen private Waldbesitzer Sturm. Momentan befindet sich die Herde wieder in einem geschlossenen Wildgatter, die Zukunft des Auswilderungsprojektes ist ungewiss.
Forschen auf der Skipiste und in Wäldern
Was wünscht sich der Biologe noch für seine Forschung? Steht man als Emeritus vor bestimmten Herausforderungen, auch jenseits universitärer Strukturen? „Andere pflegen als Pensionäre ihre Hobbys, gehen Golfen oder halten sich ein Segelboot, ich gehe eben ins Gelände“, lacht er. Eine kleine finanzielle Unterstützung erfährt er bisweilen auch, beispielsweise von der Akademie für ökologische Landesforschung in Westfalen, kann Fahrt- und Übernachtungskosten teilweise abdecken. „Mein großer Wunsch ist, noch möglichst lange gesund zu bleiben und weiterhin forschen zu können. Die Moorbegehung war doch mitunter anstrengend, wie ich feststellen musste – man fällt ab und zu in ein Wasserloch. Mich daraus wieder zu befreien, dauert heute deutlich länger als früher.“ Doch ein anderes, etwas weniger körperlich forderndes Projekt möchte Wittig gerne mit seiner Frau, die auch Biologin ist, realisieren: Sie wollen den Bestand der Bärlapp-Arten im Rothaargebirge kartieren. Vor einigen Jahren haben die beiden bereits einen Artikel dazu veröffentlicht, nun würden sie die Ergebnisse gerne aktualisieren. „Interessanterweise hat der Wandel des Skitourismus auch mit zur Veränderung der Bärlapp-Bestände beigetragen“, weiß Wittig zu berichten: zunächst positiv, zur Vermehrung seltener beziehungsweise zum Wiederauftauchen erloschener Arten aus der Gruppe der Flach-Bärlappe, seit Einführung der künstlichen Beschneiung aber negativ, nämlich zum allmählichen Rückgang und inzwischen zum völligen Erlöschen dieser Artengruppe im Rothaargebirge. Da alle ein-
heimischen Bärlapp-Arten kühles Klima benötigen, ist zu untersuchen, wie sich die in Wäldern wachsenden Bestände der verbliebenen Arten (Keulen-, Schlangen- und Tannen-Bärlapp) entwickelt haben.











