Die Goethe-Universität ist überzeugt, dass die Studie an Fledermäusen, die die Organisation „Ärzte gegen Tierversuche“ für einen von ihr vergebenen Negativpreis nominiert hat, wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse unter anderem zum möglichen Ersatz von Tierexperimenten durch Computersimulationen geliefert hat. Da das Gehirn der Fledermäuse in seinem Bauplan dem des Menschen ähnelt, können die Erkenntnisse aus dieser Forschung zum besseren Verständnis von Krankheiten wie zum Beispiel Parkinson- und Tourette-Syndrom oder ADHS beitragen. Bei den Versuchen achteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sorgfältig darauf, dass die Tiere nicht unter Stress gerieten.
Die Nominierung für den Negativpreis bezieht sich auf die wissenschaftliche Veröffentlichung: López-Jury L. et al. A neuron model with unbalanced synaptic weights explains the asymmetric effects of anaesthesia on the auditory cortex. PLoS Biology 2023; 21(2): e3002013.
Ziel der Studie
In der Studie wurde an Fledermäusen untersucht, wie Nervenzellen in der Hirnrinde auf komplexe natürliche Laute reagieren und ob die Narkotisierung der Tiere einen Einfluss darauf hat. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung an Fledermäusen können dazu dienen, die Funktionsweise auch des menschlichen Gehirns und Krankheiten wie Parkinsonkrankheit, Tourette-Syndrom oder ADHS besser zu verstehen. In der Studie wurde konkret geprüft, ob man in Computermodellen einen Teil des Experiments simulieren kann, indem man den Einfluss der Narkotisierung auf das Hören herausrechnet. Damit sollte das langfristige Ziel verfolgt werden, die Anzahl der untersuchten Tiere deutlich zu reduzieren.
Vorbereitung
Mehrere Tage vor dem eigentlichen Experiment wurden dazu den Tieren unter Vollnarkose zwei rund 0,4 Millimeter große Öffnungen in den Schädelknochen eingebracht und ein Haltestift zur Fixierung des Kopfes während des Experiments außen an die Schädeldecke geklebt. Während der folgenden Tage, an denen sich die Tiere von der Operation erholen konnten, wurden sie sorgfältig überwacht und erhielten Schmerzmittel.
Experimente
Die Experimente der oben genannten Studie wurden an narkotisierten Fledermäusen durchgeführt und mit Daten aus Computermodellen sowie mit bereits vorhandenen Daten aus Experimenten mit wachen Fledermäusen verglichen. Bei den Tierversuchen wurden zwei haarfeine Elektroden vorsichtig in das Gehirn eingeführt und die Reaktionen von Nervenzellen beim Hören von Tönen unterschiedlicher Höhe gemessen. Die Fledermäuse lagen dabei mit fixiertem Kopf in einem ihrer Körperform angepassten Halter, was dem Verhalten der Fledermäuse entgegenkommt, die gerne in Gruppen hängen oder enge Nischen in ihren Wohnquartieren aufsuchen. Der Halterung war auf 30 Grad Celsius erwärmt, und viele Fledermäuse schliefen während der Experimente immer wieder ein, woran zu erkennen ist, dass sich der Stress für die Tiere in Grenzen hielt. Die Experimente dauerten zwischen zwei und vier Stunden. Regelmäßig erhielten sie während dieser Zeit Wasser und Futter. Wenn ein Tier unruhig wurde oder sich seine Herzfrequenz erhöhte, wurde das Experiment nicht weitergeführt.
Computersimulationen
Für die aktuelle Studie verwendete das Forschungsteam ein Computermodell, das die Verarbeitung von Höreindrücken bei wachen Fledermäusen nachbildet. In dieses Modell wurden die bekannten Effekte des Narkosemittels Ketamin eingebaut und mit den Ergebnissen an narkotisierten Tieren verglichen.
Ergebnisse
Das Narkosemittel Ketamin beeinflusst die Verarbeitung von Höreindrücken im Gehirn nicht gleichmäßig, sondern es beeinflusst zum Beispiel die Reizverarbeitung tiefer Töne stärker als die von hohen Tönen. Dies ließ sich mit den vorhandenen Computersimulationen nicht abbilden. Daher sind Experimente mit wachen Tieren für Forschungsfragen, die sich mit der Verarbeitung vom Hören in unterschiedlichen Hirnregionen befassen, vorerst weiter nötig und lassen sich derzeit noch nicht durch Experimente mit narkotisierten Tieren ersetzen. Gleichzeitig arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Verbesserung der Computermodelle mit dem Ziel, die Anzahl der Versuchstiere zu verringern und ihre Belastung durch den Versuch möglichst gering zu halten.
Dass die Auswirkungen von Ketamin auf die Nervenzellen, die Hörreize verarbeiten, frequenzspezifisch sind, wirft die Frage auf, ob dies möglicherweise beim Menschen ähnlich der Fall sein könnte und welche Auswirkungen das hätte. Dies sollte weiter erforscht werden, denn Ketamin wird auch zur Behandlung von Depressionen genutzt (https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S2215036622003170 ).
Die Ergebnisse der Grundlagenforschung an Fledermäusen, die ähnlich wie der Mensch sehr komplexe Lautmuster wahrnehmen können, die Funktionsweise auch des menschlichen Gehirns und Krankheiten, die bei Menschen mit einer veränderten Wahrnehmung von Geräuschen oder Sprache einhergehen, besser zu verstehen. Dazu gehören das Parkinson- und das Tourette-Syndrom, bei denen die Sprache gestört ist, und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), bei der Umweltreize nicht mehr angemessen verarbeitet werden.
Viele Befunde bei Fledermäusen lassen sich auf den Menschen übertragen, da Fledermäuse und Menschen beides Säugetiere sind und ihre Gehirne– obwohl sie sich in einigen Aspekten unterscheiden – einen ähnlichen Bauplan besitzen. Beispiele dafür sind Arbeiten zum Verständnis darüber, wie Lernen das Gehirn verändert (https://www.nature.com/articles/nrn1222) und wie der „innere Kompass“ des Gehirns der Säugetiere (im Hippocampus) in 3D funktioniert (https://www.nature.com/articles/nrn3888).
Behördliche Genehmigung
Die Tierversuche wurden genehmigt von der Tierschutzkommission des Regierungspräsidiums Darmstadt (#FU1126).
(Text aktualisiert am 19.3.2024)