Goethe-Universität leistet wichtige Beiträge zur Erforschung jüdischen Lebens von den Anfängen bis heute.
Seit 1700 Jahren – also seit dem Jahr 321 – gibt es jüdisches Leben in Deutschland – ein enorm langer Zeitraum. Doch wieviel wissen die Menschen hierzulande über Geschichte, Kultur und Tradition des Judentums? Bei einem zentralen Festakt anlässlich dieses Jubiläums am 21. Februar in Köln sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster: „Mangelndes Wissen über eine bestimmte Gruppe von Menschen, vor allem über eine Minderheit, führt jedoch fast immer zu Vorurteilen. Dieses Phänomen mit all seinen schrecklichen Folgen zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsch-jüdische Geschichte. Auch heute noch gilt: Selbst wer persönlich noch nie einen Juden getroffen hat, wer sich für das Judentum eigentlich gar nicht interessiert, kennt antisemitische Vorurteile. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben – und sie halten sich umso besser, je weniger man über Juden weiß. Dagegen müssen wir angehen. Und zwar vor allem in den Schulen. Im Unterricht muss nicht nur mehr Wissen über das Judentum vermittelt werden, sondern auch verstärkt über Antisemitismus aufgeklärt werden.“
Im Sinne dieses Appells erbringt die Goethe-Universität zusammen mit ihren Partnern wesentliche Beiträge zur Überwindung von Unwissen und Vorurteilen:
Seit 51 Jahren besteht hier mit dem „Seminar für Judaistik“ eine Institution, die einen Schwerpunkt in der Erforschung des Judentums im deutschsprachigen Raum sowie im Bereich der Kulturgeschichte der europäischen Juden vom Mittelalter bis in die Neuzeit setzt. Forschungsprojekte, Dissertationen und internationale Tagungen zu verschiedenen Themen generieren wichtiges Wissen über jüdische Geschichte und Kultur, das in die Lehre der Judaistik und Jüdischen Geschichte eingeht. Konkret geht es im Fach Judaistik um Sprachen, Geschichte, Religion und Kultur der Juden von den Anfängen bis zur Gegenwart. Das schließt die Beschäftigung mit den vielfältigen Erscheinungsformen des Judentums, seinen Kontinuitäten und Wandlungen (einschließlich seiner Verflechtungen mit anderen Kulturen) in den verschiedenen Epochen und geographischen Räumen ein.
Das Fritz Bauer Institut als An-Institut unter der Leitung von Prof. Sybille Steinbacher, die seit 2017 an der Goethe-Universität den deutschlandweit ersten Lehrstuhl für die Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust innehat, erforscht interdisziplinär die Geschichte und Wirkung der nationalsozialistischen Massenverbrechen, insbesondere des Holocaust, und vermittelt die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit. Dabei versteht sich das Institut als Nahtstelle zwischen wissenschaftlicher Theoriebildung und kultureller Praxis. Von 2000 bis 2005 leitete der Erziehungswissenschaftler und Publizist Prof. Micha Brumlik das Fritz Bauer Institut. Der 2013 emeritierte Wissenschaftler, der zahlreiche Sachbücher, Essays und Artikel zur Geschichte des Judentums und zu zeitgenössischen jüdischen Themen veröffentlicht hat, ist noch immer als Seniorprofessor an der Goethe-Universität tätig.
Auch die 2019 erfolgte Berufung von Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, als Honorarprofessorin setzt einen wichtigen Akzent in der Lehre und bei der anschaulichen Vermittlung jüdischen Lebens in Deutschland und Frankfurt. Ihren Anspruch formulierte Wenzel in einem Interview im UniReport so: „Sie (Studierende) lernen bei mir nicht nur die konkrete Objektwelt der materiellen jüdischen Kultur kennen. Ich halte sie auch an, allgemeinverständliche Texte zu diesen Objekten zu schreiben, also ihr Wissen so aufzubereiten, dass es für die breite Öffentlichkeit interessant ist.“
Und nicht zuletzt wurde gerade mit dem neuen Buber-Rosenzweig-Institut an der Goethe-Universität eine Einrichtung ins Leben gerufen, die sich der Erforschung des Judentums in Moderne und Gegenwart widmen soll. Das Institut, das am Fachbereich Evangelische Theologie angesiedelt ist, fasst zahlreiche und im großen Maße drittmittelgeförderte Projekte zusammen und trägt weiter zur Verstetigung des Forschungsbereichs an der Goethe-Universität bei. Die Wurzeln des Instituts liegen in einer Stiftungsgastprofessur für jüdische Religionsphilosophie, die Martin Buber (1878-1965) gewidmet war und 2010 in eine feste Professur umgewandelt wurde. „Mit ihren zahlreichen Drittmittelprojekten, dem Fokus auf der Nachwuchsförderung und der internationalen Vernetzung ist die Martin-Buber-Professur bereits jetzt eine feste Größe unter den Forschungsinstitutionen zur modernen jüdischen Geschichte und Kultur. Der Status als Forschungsinstitut eröffnet uns die Chance, noch besser wahrgenommen, fokussierter handeln und junge internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anziehen zu können“, sagt Prof. Christian Wiese, Inhaber der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie, in einem Beitrag des Webmagazins der Goethe-Universität.
Die Hebraica- und Judaica-Sammlung der Frankfurter Universitätsbibliothek ist die größte ihrer Art in Deutschland und auch international von herausragender Bedeutung. Die Sammlung verantwortet seit 2016 den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Fachinformationsdienst Jüdische Studien (www.jewishstudies). Im Rahmen des bundesweiten Festjahres wird die Universitätsbibliothek unter Beteiligung von Wissenschaftler*innen und Studierenden der Goethe-Universität das Projekt 17 Motive jüdischen Lebens durchführen, das neben einer digitalen Plattform auch eine Ausstellung umfassen wird.
Die Bedeutung der Goethe-Universität bei der Erforschung des Judentums in Deutschland und Europa wirkt auch in die Wissenschaftswelt hinein: 2023 empfängt die Universität Frankfurt den alle vier Jahre stattfindenden Kongress der European Association of Jewish Studies (EAJS) mit ca. 1.000 Teilnehmer*innen, vor allem aus Europa, Israel und Nordamerika. Unter den Themen aus der ganzen Breite der Jüdischen Studien wird die Auseinandersetzung mit Frankfurt als Ort wichtiger Entwicklungen im Judentum eine besondere Rolle spielen. „Die Goethe-Universität, die bei ihrer Gründung und dann wieder seit 1960 ein sehr positives Verhältnis zur Beschäftigung mit dem Judentum hat, ist der ideale Ort, um über die Vielfalt jüdischer Kultur und Geschichte zu sprechen“, sagt Prof. Elisabeth Hollender, Präsidentin der EAJS und Professorin am Seminar für Judaistik.
Mehr Informationen https://2021jlid.de/
Veranstaltungshinweis
Prof. Micha Brumlik spricht am 24. Februar 2021 (19 Uhr) anlässlich einer Veranstaltungsreihe der „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (CJZ) Main-Taunus bei einer Online-Veranstaltung zum Thema „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
Der Zugang erfolgt über den Anmeldelink bei Zoom.