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Alpengestein verrät Dynamik von Plattenbewegungen im Erdinnern

Wie sich Platten im Erdmantel bewegen und wie sich Gebirge bilden, ist nicht ganz leicht zu untersuchen. Spezielle Gesteine, die tief ins Erdinnere hinabgesunken und von dort wieder zurückgekehrt sind, können Antworten liefern. Einem internationalen Geologenteam ist es nun unter Federführung des Instituts für Geowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt gelungen, einen Weißschiefer aus den Alpen mittels Computermodellierung so genau zu analysieren, dass sich eine bisherige Theorie über die Bewegung von Platten in Frage stellen lässt.

Prof. Dr. Lucie Tajčmanová, Universität Heidelberg, untersucht die Weißschiefer-Probe aus dem Dora-Maira-Massiv der Westalpen. Foto: Sebastian Cionoiu, Universität Heidelberg

Geowissenschaftler:innen untersuchen Gesteine in Gebirgsgürteln, um zu rekonstruieren, wie diese sich einst in die Tiefe hinabbewegt haben und dann wieder an die Oberfläche zurückkehrten. Diese Verschüttungs- und Exhumierungsgeschichte gibt Hinweise auf die Mechanismen der Plattentektonik und der Gebirgsbildung. Bestimmte Gesteine, die zusammen mit Platten weit ins Erdinnere hinabsinken, werden unter dem dort herrschenden enormen Druck in andere Gesteinsarten umgewandelt. Bei dieser UHP-Metamorphose (UHP: ultra high pressure) wird zum Beispiel Siliziumdioxid (SiO2) im Gestein zu Coesit, das auch als UHP-Polymorph von SiO2 bezeichnet wird. Chemisch handelt es sich zwar immer noch um Siliziumdioxid, doch sind die Kristallgitter enger gepackt und daher dichter. Wenn sich die Platten aus der Tiefe wieder nach oben bewegen, kommen auch die UHP-Gesteine wieder an die Oberfläche und sind an bestimmten Stellen im Gebirge auffindbar. Ihre Mineralzusammensetzung liefert Informationen darüber, welchen Drücken sie auf der vertikalen Wanderung durchs Erdinnere ausgesetzt waren. Über die Maßeinheit des lithostatischen Drucks lassen sich Druck und Tiefe in Beziehung setzen: Je höher der Druck, desto tiefer lag das Gestein.

Für die mikroskopische Untersuchung wurde ein Dünnschnitt des Weißschiefers auf einen Glasträger geklebt (Bildmitte). Foto: Sebastian Cionoiu, Universität Heidelberg

Bisher ging die Forschung davon aus, dass UHP-Gesteine in 120 Kilometern Tiefe begraben waren. Von dort unten sind sie dann mit den Platten wieder an die Oberfläche zurückgekehrt, wobei der Umgebungsdruck gleichmäßig, also statisch, nachließ. Eine neue Studie von Goethe-Universität Frankfurt sowie den Universitäten Heidelberg und Rennes, Frankreich, stellt diese Annahme eines langen, kontinuierlichen Aufstiegs jedoch in Frage. Beteiligt an der Studie waren von Seiten der Goethe-Universität Frankfurt unter anderem Erstautorin Cindy Luisier, die im Rahmen eines Humboldt-Forschungsstipendiums an die Goethe-Universität Frankfurt kam, und Thibault Duretz, Leiter der Arbeitsgruppe Geodynamik am Institut für Geowissenschaften. Das Wissenschaftsteam untersuchte einen Weißschiefer aus dem Dora-Maira-Massiv in den italienischen Westalpen. „Weiße Schiefer sind Gesteine, die sich während der Alpenbildung aus der UHP-Metamorphose eines flüssigkeitsveränderten Granits gebildet haben“, erklärt Duretz. „Das Besondere an ihnen ist die große Menge an Coesit. Die Coesitkristalle im Weißschiefer sind mehrere Hundert Mikrometer groß und damit ideal für unsere Untersuchungen.“ Das Stück Weißschiefer aus dem Dora-Maira-Massiv enthielt rosa Granate in einer silbrig-weißen Matrix unter anderem aus Quarz. „Das Gestein hat eine besondere Chemie und damit Mineralogie“, so Duretz. Mit dem Wissenschaftsteam untersuchte er es, indem er zuerst einen sehr dünnen Schnitt von etwa 50 Mikrometern Dicke anfertigte und diesen dann auf Glas aufklebte. So konnten die Mineralien unter dem Lichtmikroskop bestimmt werden. Anschließend folgte die Computermodellierung bestimmter, besonders interessanter Stellen.

Diese Stellen waren von den rosa Granatkörnern umschlossene Siliziumdioxid-Partikel, in denen sich zwei SiO2-Polymorphe gebildet hatten. Einmal Coesit, das bei sehr hohem Druck (4,3 Gigapascal) entstand. Bei dem anderen Siliziumdioxid-Polymorph handelte es sich um Quarz, das wie ein Ring um das Coesit herum lag. Es entstand bei viel niedrigerem Druck (1,1 Gigapascal). Der Weißschiefer war also erst sehr hohem, dann viel niedrigerem Druck ausgesetzt gewesen. Es hatte eine starke Druckabnahme oder Dekompression gegeben. Die entscheidende Entdeckung war folgende: Von den SiO2-Einschlüssen gingen speichenförmige Risse nach allen Seiten aus, das Ergebnis des Phasenübergangs von Coesit zu Quarz. Dieser Übergang bewirkt eine große Volumenänderung – und verursachte starke Spannungen im Gestein. Diese ließen den Granat brechen, der die SiO2-Einschlüsse umgibt. „Solche radialen Risse können sich jedoch nur bilden, wenn das Wirtsmineral, der Granat, sehr stark bleibt“, erklärt Duretz. „Und Granat bleibt nur dann sehr stark, wenn der Druck sehr schnell abfällt.“ Sehr schnell heißt in geologischen Dimensionen in Tausenden bis Hunderttausenden von Jahren. In diesem „kurzen“ Zeitraum muss der Druck von 4,3 auf 1,1 Gigapascal gesunken sein. Andernfalls hätte der Granat, anstatt Risse zu bilden, sich zum Flüssigen hin verformt, um die Volumenänderung in den SiO2-Einschlüssen auszugleichen.

Feinstruktur der Weißschieferprobe: Eines der rosa Granatkörner (garnet, linkes Bild, eingebettet in die Mineralien Quarz, Rutil und Phengit) mit SiO2-Einschlüssen (quarz inclusions), von denen Risse ausgehen (cracks). Simulationsrechnungen (rechtes Bild) bestätigen die Interpretation der Risse als Spannungsrisse. Bilder: Thibaut Duretz, Goethe-Universität

Die Tatsache der schnellen Dekompression lässt laut Duretz die bisherige Annahme, dass UHP-Gestein 120 Kilometer Tiefe erreicht, weniger wahrscheinlich erscheinen. Denn der Aufstieg aus einer solchen Tiefe liefe in einem langen Zeitraum ab, der nicht zur hohen Dekompressionsrate passt. „Wir vermuten eher, dass unser Weißschiefer nur 60 bis 80 Kilometer tief lag“, so der Geologe. Und auch die Prozesse im Erdinnern könnten ganz anders sein als bisher angenommen. Dass sich Gesteinseinheiten kontinuierlich über große Entfernungen nach oben bewegen, aus 120 Kilometern Tiefe bis zur Oberfläche, erscheint ebenfalls unwahrscheinlicher als vorher. „Unsere Hypothese lautet, dass stattdessen schnelle tektonische Prozesse stattfanden, die zu minimalen vertikalen Verschiebungen von Platten führten.“ Dies könne man sich so vorstellen: Die Platten bewegten sich im Innern der Erde plötzlich ruckhaft ein kleines Stück nach oben – und der Druck, den das UHP-Gestein umgab, ließ dadurch in relativ kurzer Zeit nach.

Publikation: Luisier Cindy, Tajčmanová Lucie, Yamato Philippe, Duretz Thibault: Garnet microstructures suggest ultra-fast decompression of ultrahigh-pressure rocks. Nature Communications (2023) https://doi.org/10.1038/s41467-023-41310-w

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