Die Ärztin Andrea Ablasser von der École polytechnique fédérale de Lausanne, der Virologe Glen Barber von der Ohio State University und der Biochemiker Zhijian ‚James‘ Chen von der University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas erhalten den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2025. Das gab der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung heute bekannt. Die Preisträger haben den cGAS-STING-Signalweg entdeckt. Das ist die Alarmanlage, die anschlägt, wenn DNA bei Infektionen, Krebs oder zellulärem Stress in das Plasma einer Zelle eindringt. Sie ruft sofort die Polizei des angeborenen Immunsystems auf den Plan. Arzneimittel, die in diesen Signalweg eingreifen, befinden sich derzeit in Entwicklung.
Das Auftauchen von DNA im Zytoplasma einer Zelle bedeutet höchste Gefahr. Es wird entweder von viralen Eindringlingen oder von Schäden innerhalb der Zelle selbst verursacht. Unser Immunsystem muss darauf sofort reagieren und Abwehrmaßnahmen einleiten. Wie ihm das gelingt, haben die Preisträger in den Jahren zwischen 2008 und 2013 herausgefunden und seitdem immer umfassender aufgeklärt. Sie entdeckten die Stationen und Signale einer intrazellulären Alarmanlage, ohne die wir nicht überleben könnten. „Der cGAS-STING-Signalweg ist ein Fundament unserer angeborenen Immunabwehr, nach dem lange gesucht wurde“, erklärt der Vorsitzende des Stiftungsrates, Prof. Thomas Boehm. „Mit seiner Entdeckung haben die Preisträger der Medizin die Möglichkeit erschlossen, Infektionen, Krebs und entzündliche Erkrankungen effektiver als bisher zu behandeln.“
Dass Nukleinsäuren wie die DNA eine Immunreaktion auslösen können, hatte Ilya Mechnikov schon 1908 bei der Verleihung des Medizinnobelpreises berichtet, den er sich mit Paul Ehrlich teilte. Wie sich diese Reaktion molekularbiologisch vollzieht, begann sich erst einhundert Jahre später zu klären, als Glen Barber mit seiner Gruppe 2008 ein Protein entdeckte, dem er den Namen STING gab. Dieses Protein ist in der Membran des ausgedehnten Röhrensystems der Zelle verankert, dem Endoplasmatischen Retikulums (ER). Nach einer Infektion mit DNA-Viren lässt dieses Protein bestimmten Genen im Zellkern ausrichten: Stellt sofort Interferone her. Es ist also, wie die Abkürzung sagt, ein STimulator von INterferon-Genen. Die Interferone verteilen sich im umliegenden Gewebe und regen die Bildung von Fresszellen und natürlichen Killerzellen sowie anderen Immunbotenstoffen an. Wie STING davon erfährt, dass DNA im Zellplasma aufgetaucht ist, blieb aber bis 2012 ein Rätsel, als Zhijian ‚James‘ Chen und seine Gruppe es lösten. Mit außerordentlicher biochemischer Raffinesse isolierte und identifizierte Chen ein kleines ringförmiges Molekül aus zwei Nukleotiden, das in der Lage ist, STING zu aktivieren – das cyclische Guanosinmonophosphat-Adenosinmonophosphat (cGAMP) – und anschließend das Enzym cGAS, das die Bildung von cGAMP katalysiert. 2013 charakterisierte Andrea Ablasser cGAMP im Detail und zeigte, dass es sich in Herstellung und Struktur chemisch von anderen Dinukleotiden unterscheidet. Für diese Leistung wurde sie 2014 mit dem Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis ausgezeichnet.
Aus den Entdeckungen der Preisträger ergab sich das folgende Gesamtbild: Das Enzym cGAS fungiert als Sensor für DNA im Zellplasma. Es umklammert die DNA-Stränge. Dadurch verformt es sich so, dass es aus den im Zellinneren reichlich vorkommenden Molekülen GTP und ATP den chemisch einzigartigen Botenstoff cGAMP herstellen kann. cGAMP wiederum steuert den Signalumwandler STING an, der daraufhin weitere Signalmoleküle in die Alarm-Stafette einbezieht. Das Ziel dieser Stafette sind diejenigen Gene im Zellkern, nach deren Plan Interferone und andere Immunbotenstoffe produziert werden.
Die Verzweigungen des von ihnen entdeckten Signalweges haben die drei Preisträger im vergangenen Jahrzehnt immer genauer kartiert. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei der Tatsache, dass der Sensor cGAS nicht zwischen fremder und eigener DNA unterscheidet. Das ist sinnvoll, weil eigene DNA normalerweise nur im Zellkern und in den Mitochondrien vorkommt. Wenn sie, wie bei Krebszellen zum Beispiel, ins Zytoplasma leckt, muss cGAS anspringen und die Immunabwehr einschalten. Das ist aber auch riskant, weil es zu unbegründeten Immunangriffen auf den eigenen Körper führen kann. Dagegen verfügen unsere Zellen über wirksame Schutzmechanismen. Je älter wir werden, desto eher aber versagen diese Mechanismen. Deshalb kommen Entzündungen, die nicht infektiös bedingt sind, immer häufiger vor. Sie werden auch als sterile Entzündungen bezeichnet und liegen klassischen Autoimmunkrankheiten ebenso zugrunde wie beispielsweise Herzkreislauf-Krankheiten und neurodegenerativen Krankheiten wie Parkinson. Sterile Entzündungen sind von einem überaktiven cGAS-STING-Signalweg geprägt.
Substanzen, die diesen Signalweg hemmen, haben folglich großes therapeutisches Potenzial, und spielen in der Forschung vieler Pharmaunternehmen eine wichtige Rolle. Andrea Ablasser gelang 2018 die Synthese des ersten STING-Inhibitors. Umgekehrt werden Agonisten dieses Signalweges nicht nur in der Impfstoffentwicklung, sondern auch als Krebsmedikamente erprobt. In Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren zeigen sie präklinisch starke Antitumor-Effekte.
Andrea Ablasser, Jahrgang 1983, ist Professorin für Lebensmittelwissenschaften an der École polytechnique fédérale de Lausanne in der Schweiz. https://www.epfl.ch/labs/ablasserlab/
Glen Barber, Jahrgang 1962, ist Professor am Department of Surgery der Ohio State University, Columbus, Ohio, USA, und leitet dort das Center for Innate Immunity and Inflammation.
https://cancer.osu.edu/for-cancer-researchers/research/research-labs/barber-lab
Zhijian J. Chen, Jahrgang 1966, ist George L. MacGregor Distinguished Chair in Biomedical Science, Howard Hughes Medical Investigator und Professor für Molecular Biology am University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas, USA. https://labs.utsouthwestern.edu/chen-zhijian-james-lab
Der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis ist der renommierteste Medizinpreis Deutschlands. Er ist mit 120.000 Euro dotiert und wird traditionell an Paul Ehrlichs Geburtstag, dem 14. März, in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Mit ihm werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geehrt, die sich auf dem von Paul Ehrlich vertretenen Forschungsgebiet besondere Verdienste erworben haben, insbesondere in der Immunologie, der Krebsforschung, der Hämatologie, der Mikrobiologie und der Chemotherapie. Finanziert wird der seit 1952 verliehene Preis vom Bundesgesundheitsministerium, dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. und durch zweckgebundene Spenden folgender Unternehmen, Stiftungen und Einrichtungen: Else Kröner-Fresenius-Stiftung, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, C.H. Boehringer Sohn AG & Co. KG, Biotest AG, Hans und Wolfgang Schleussner-Stiftung, Fresenius SE & Co. KGaA, F. Hoffmann-LaRoche Ltd., GSK GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, Grünenthal Group, Janssen-Cilag GmbH, Merck KGaA, Bayer AG, Georg von Holtzbrinck GmbH & Co.KG,, B. Metzler seel. Sohn & Co KGaA. Die Preisträger werden vom Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung ausgewählt. Eine Liste der Stiftungsratsmitglieder ist auf der Internetseite der Paul Ehrlich-Stiftung hinterlegt.
Die Paul Ehrlich-Stiftung ist eine rechtlich unselbstständige Stiftung, die treuhänderisch von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität verwaltet wird. Ehrenpräsidentin der 1929 von Hedwig Ehrlich eingerichteten Stiftung ist Professorin Dr. Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die auch die gewählten Mitglieder des Stiftungsrates und des Kuratoriums beruft. Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung ist Professor Dr. Thomas Boehm, Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, Vorsitzender des Kuratoriums ist Professor Dr. Jochen Maas. Prof. Dr. Wilhelm Bender ist in seiner Funktion als Vorsitzender der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität zugleich Mitglied des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung. Der Präsident der Goethe-Universität ist in dieser Funktion zugleich Mitglied des Kuratoriums.