Belege für interreligiöses Zusammenleben in Vorderasien

Archäologenteam der Goethe-Universität kehrt mit neuen Erkenntnissen über die Zeit vor 1500 Jahren von Grabung im Irak zurück.

Gird-î Kazhaw in der Abenddämmerung. © Dirk Wicke
Abb. 1: Gird-î Kazhaw in der Abenddämmerung. © Dirk Wicke

In der Region des heutigen Irak haben im fünften Jahrhundert Christen und Zoroastrier mutmaßlich friedlich nebeneinander gelebt: Diese Erkenntnis konnte ein Team von Archäologinnen und Archäologen der Goethe-Universität im Zuge einer dreijährigen Forschung bestätigen.

Ohne Funde, aber dafür mit vielen neuen Erkenntnissen ist das Archäologenteam um Dr. Alexander Tamm (Universität Erlangen-Nürnberg) und Prof. Dirk Wicke (Institut für Archäologische Wissenschaften) von ihren Feldforschungen aus dem Nordirak zurückgekehrt. In den vergangenen Monaten hat das zehnköpfige Team einen Gebäudekomplex am Fundplatz Gird-î Kazhaw im kurdischen Gebiet des Irak untersucht. Der schon seit 2015 bekannte Bau wurde wahrscheinlich um 500 nach Christus errichtet. Doch welchem Zweck er gedient hat, war bislang nicht sicher.

Die fünf quadratischen Pfeiler aus Bruchsteinen, teils mit weißem Gips verputzt, hatten vermuten lassen, dass es sich um einen Kirchenbau handeln könnte. Geophysikalische Untersuchungen hatten gezeigt, dass noch weitere Mauerzüge unter der Erde liegen, so dass diese „Kirche“ zunächst als Teil eines größeren Klosterkomplexes gedeutet worden war. Insbesondere auch das Verhältnis zu einem direkt angrenzenden Siedlungshügel mit einer kleinen sasanidischen Befestigungsanlage aus dem 5. bis 6. Jahrhundert nach Christus ist noch ungeklärt. Diese Befestigungsanlage ist überlagert von einem islamischen Friedhof.

Das Team aus Frankfurt setzte mit seinen Grabungen in diesem Spätsommer in zwei Arealen an: einer Flächengrabung um den Pfeilerbau (Areal A) und einer Untersuchung des islamischen Friedhofes (Areal B) mit Schwerpunkt auf der anthropologischen Dokumentation (Abb. 1). Relativ dicht traten in Areal A unter der Oberfläche Ziegelmauern sowie Böden aus Stampflehm und später auch aus Steinen und gebrochenen Ziegeln zu Tage. Eine große Überraschung war die Entdeckung weiterer Steinpfeiler, die die Existenz einer möglicherweise dreischiffigen Anlage mit Mittelschiff in Nordwest-Südöstlicher Richtung nahelegen, wie sie bereits in der frühchristlichen Sakralarchitektur dieser Region belegt sind. Ungewöhnlich ist die Größe des Mittelschiffes von vermutlich 25 auf 5 Metern (Abb. 2). Ob es sich bei den angrenzenden Räumen aber tatsächlich um eine Klosteranlage handelt, wird die Forschung in den nächsten Jahren klären müssen.

Abb. 2: Pfeiler aus Bruchsteinen in Areal A. © Dirk Wicke
Abb. 2: Pfeiler aus Bruchsteinen in Areal A. © Dirk Wicke

Ebenfalls eine große Überraschung in Areal A war die Entdeckung eines Raumes mit einem Boden aus sauber gefugten, gebrannten Ziegeln, an dessen nordöstlichem Kopfende ein Halbrund angedeutet ist (Abb. 3). Hauptindizien für die Nutzung der Gebäude als christlicher Versammlungsort ist bislang neben der Architektur der Fund einer Gefäßscherbe mit der Darstellung eines Malteserkreuzes (Abb. 4). Diese frühe Datierung für ein Kirchengebäude ist in der Region nicht verwunderlich, finden sich doch vergleichbare Anlagen im nordsyrischen und nordmesopotamischen Raum in größerer Zahl. (Zu dieser Thematik fand am 24./25.10.25 ein internationaler Workshop in Frankfurt statt.)

Abb. 3: Scherbe mit eingeritztem Kreuzdekor. © Dirk Wicke
Abb. 3: Scherbe mit eingeritztem Kreuzdekor. © Dirk Wicke
Abb. 4: Raum mit Backsteinboden. © Dirk Wicke
Abb. 4: Raum mit Backsteinboden. © Dirk Wicke

Besonders relevant für die Forschungen zu religiösen Nachbarschaften, wie sie zukünftig im Rahmen des ab 2026 bewilligten LOEWE-Zentrums „Dynamiken des Religiösen“ verfolgt werden, ist die Nähe zur oben beschriebenen sasanidischen Anlage. Sollten die beiden Bauten tatsächlich aus derselben Zeit stammen, würde das bedeuten, dass Zoroastrier, die Anhänger der Religion Zarathustras waren, und Christen damals nebeneinander lebten. Wann genau in Kazhaw die Hinwendung zum Islam geschah, wovon die islamischen Gräber Zeugnis ablegen (s. Abb. 5), ist ebenfalls Teil des Forschungsprogramms.

Freilegung eines Grabes in Areal B. © Dirck Wicke
Abb. 5: Freilegung eines Grabes in Areal B. © Dirck Wicke

Die Ausgrabungen in Kazhaw sind Teil eines größer angelegten Forschungsprojektes von Dr. Tamm und Prof. Wicke zu ländlichen Gemeinschaften und Siedlungen in der Shahrizor-Ebene im Nordirak. Ländliche und kleine Orte wurden bislang in der archäologischen Forschung kaum beachtet, das Hauptaugenmerk galt meist den Hauptstädten der antiken Großreiche. Sicher stellten diese die Motoren der kulturellen Entwicklungen in der Antike dar, die wirtschaftliche Basis der Versorgung jedoch wurde im ländlichen Raum geschaffen. Ohne diese Basis wäre das kulturelle Leben in den Metropolen nicht möglich gewesen. Im kommenden Jahr sollen die Arbeiten in Kazhaw mit dem Einsatz archäometrischer Methoden, insbesondere der Archäobotanik, Zoologie und forensischen Anthropologie fortgesetzt werden. Ziel ist zu erforschen, wie sich das Leben in den freigelegten Mauern abgespielt hat.

Weitere Informationen
Prof. Dr. Dirk Wicke
Institut für archäologische Wissenschaften
Goethe University Frankfurt
Telefon: 069 798-32317
E-Mail: wicke@em.uni-frankfurt.de

Relevante Artikel

Preisträgerin Maren Jordan mit Prof. Roland Hardenberg, dem Direktor des Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität. © Jennifer Markwirth

Warum im Oman weniger Kinder geboren werden

Forschungsförderungspreis des Frobenius-Instituts geht an Maren Jordan Einmal im Jahr verleiht das Frobenius-Institut den Frobenius Forschungsförderungspreis für exzellente ethnologische Dissertationen

Öffentliche Veranstaltungen
Severin Irl © privat

Severin Irl, Physischer Geograph

Von Inseln ist Severin Irl begeistert: Am Fachbereich Geowissenschaften/Geographie der Goethe-Universität hat er seit 2018 die Professur für Biogeographie und

You cannot copy content of this page