Die Ökonomen Sascha Wilhelm und Steffen Eibelshäuser untersuchen das tägliche Auf und Ab der Spritpreise. Mithilfe spieltheoretischer Ansätze haben sie das Rätsel weitgehend gelöst.
Die Klage über hohe und steigende Spritpreise gehört vielleicht zu den Lieblingsthemen der Deutschen, zumindest bei denen, die häufiger eine Tankstelle ansteuern müssen. Augenblicklich ist das Preisniveau recht hoch, dabei spielt die andauernde Trockenheit in diesem Jahr eine nicht unwichtige Rolle, wie der Mikroökonom Steffen Eibelshäuser erläutert:
„Wegen der geringen Wasserstände können die Tankschiffe nicht mehr voll beladen werden, die Lagerstände schrumpfen und somit verteuern sich die Spritpreise, übrigens mit sehr großen Unterschieden im bundesweiten Vergleich: In Frankfurt muss man im Vergleich zu Hamburg bis zu 20 Cent mehr zahlen.“ Neben dem Preisniveau sind die eigenwillig anmutenden Zyklen von Preisanstieg und -senkung vielen Autofahrern ein Dorn im Auge.
Die digitalen Anzeigen ermöglichen es den Tankstellenbetreibern, sehr schnell die Preise zu ändern. Warum kommt es aber überhaupt zu derartigen Preiszyklen? Wer sich beispielsweise einen Pullover kaufen möchte, kann doch auch auf relativ stabile Preise zählen, sollte man meinen. „Der Spritpreis- Markt ist einer, auf dem das Produkt im Prinzip recht gleich ist, egal, wo ich tanke.
Ähnliches hat man im Bereich der Finanzmärkte oder im Online-Bereich. Der Preis ist also aus Kundensicht die wichtigste Entscheidungsvariable. Bei einem Pulloverkauf ist das nicht der Fall; zudem könnten Geschäfte heute noch nicht so schnell die Preisschilder austauschen“, erklärt Sascha Wilhelm.
Riesiger Datensatz
Der Spritmarkt ist also sehr „wettbewerbsintensiv“, sagen die beiden promovierenden Ökonomen, die sich als Team begreifen: Eibelshäuser ist in seiner Forschung eher theoretisch ausgerichtet, Wilhelm hingegen ein Experte in der Auswertung der Daten. Und Daten gibt es mehr als genug, denn seit 2013 sind Tankstellenbetreiber dazu verpflichtet, die Tankstellenpreise an eine Markttransparenzstelle für Kraftstoffe zu melden.
Verbraucher können sich über Apps über die jeweils günstigsten Tankstellen informieren. „Nun hatten wir als Forscher endlich einen riesigen Datensatz, der vorher noch nicht analysiert werden konnte“, betont Wilhelm. Am Anfang der Analyse stand die Beobachtung eines Widerspruchs: So, wie die Marktteilnehmer im Laufe eines normalen Tages agieren, konnte in der Literatur dazu nicht richtig erklärt werden, so Wilhelm.
Sein Teamkollege Eibelshäuser modellierte die strategische Interaktion zwischen den Playern auf Grundlage der Spieltheorie: „Man legt dabei fest: Wer kann zu welcher Zeit was machen? Tankstellen können die Preise festsetzen. Bei einem hohen Preis ist die Gewinnmarge entsprechend hoch, jedoch lockt man dann möglicherweise weniger Konsumenten an die Zapfsäule. Die Entscheidung für einen bestimmten Preis ist also mit einer Entscheidung für einen bestimmten Profit verknüpft – und für eine erwartete Reaktion der Konkurrenz.
Dies kann man in der Spieltheorie formalisieren und dann lösen“, erklärt Eibelshäuser. Auf Grundlage der Theorie entwickelten sie die Vorhersage, dass die Tankstellen sich im Laufe des Tages immer schneller unterbieten, bis die Preise so tief im Keller sind, dass man sich dem Einkaufspreis nähert. „In dieser Situation geht einer der Anbieter wieder mit dem Preis hoch, weil er weiß, dass seine Konkurrenten ihm dann folgen werden“, sagt Wilhelm.
Theorie deckt sich mit Praxis
Zur empirischen Forschung im Bereich der Ökonomie, betonen beide, gehöre auch dazu, dass man die Unternehmen mit befrage. Aus Gesprächen mit Verantwortlichen habe sich ergeben, erzählt Sascha Wilhelm nicht ohne Stolz, dass deren Preisgestaltung die Theorie insgesamt bestätige. „Der Vorwurf, dass im Bereich der Spritpreise kein richtiger Wettbewerb herrsche und stattdessen Preisabsprachen getroffen würden, stimmt so nicht“, unterstreicht Wilhelm.
Dass die Funktionsweise des Spritmarktes der Politik bekannt sein muss, zeige das Beispiel Österreich: Dort wurde eine Regelung eingeführt, dass die Tankstellenbetreiber die Preise nur mittags erhöhen dürfen. „Wir haben das einmal am Computer simuliert, um zu schauen, wie sich das auf die Preisentwicklung auswirkt. Und unsere Modellierung hat sich bewahrheitet: Aus Sorge, dass man am Einkaufspreis kleben bleiben könnte, halten die Unternehmen die Preise stabil, aber auf einem recht hohen Level – ein Wettbewerb mit fluktuierenden Preisen hat sich nicht eingestellt“, so Wilhelm.
Ihre Theorie, betonen die beiden Doktoranden, behalte auch angesichts des augenblicklichen hohen Preisniveaus ihre Gültigkeit. „Wir erklären damit den Wettbewerb der Tankstellenbetreiber untereinander, also die relativen, nicht die absoluten Preise“, sagt Steffen Eibelshäuser. Neben den geschwundenen Lagerbeständen, eine Folge der langanhaltenden Trockenheit, sei eben auch die Lage auf dem Rohölmarkt entscheidend für das Preisniveau. Zudem machten hohe Steuern ca. 60 bis 70 Prozent des Endpreises aus.
Mehr Wettbewerb – flexiblere Preise
In Deutschland sei der Kunde sehr preissensibel und steuere auch schon für geringe Abweichungen eine andere Tankstelle an. „Aufgrund dieser Mentalität sind ja auch die Discounter in Deutschland bekanntlich sehr stark. Man kann das mit dem Slogan ‚Geiz ist geil‘ beschreiben oder aus ökonomischer Sicht als rational“, lacht Sascha Wilhelm. Was würden die beiden Experten denn nun den Autofahrern raten?
„Wir haben es jeden Tag mit stabilen Preiszyklen zu tun. Morgens sind die Spritpreise recht hoch, sinken bis zum Mittag und steigen dann wieder an, nachmittags sinken sie dann wieder. Ab 17 Uhr kommt es zu einer neuerlichen Erhöhung, dann ein Absinken bis 20 Uhr. Danach geht es dann wieder nach oben“, beschreibt Eibelshäuser die Entwicklung am Tage. Wäre denn vorstellbar, dass sich die Konsumenten auf die Zyklen eines Tages so einstellen, dass die Tankstellenbesitzer gegensteuern müssten?
„Ein großer Teil der Kunden ist ja recht unflexibel – man achtet gar nicht auf den Preis, weil man ein Dienstfahrzeug betankt, oder man ist auf die nächstliegende Tankstelle angewiesen“, schränkt Wilhelm dieses Gedankenspiel ein. Seine Teamkollege ergänzt: „Wenn die Kunden alle nur noch kurz vor 12, also vor der zu erwartenden Preiserhöhung tanken würden, dann könnten die Betreiber gezwungen sein, darauf zu reagieren.
Viele nutzen ja heute die Apps, daher ist diese Entwicklung nicht undenkbar. Wir werden das jedenfalls im Auge behalten.“ Durch die zunehmende Digitalisierung werde die Interaktion der Marktteilnehmer auf jeden Fall zunehmen, das dynamische Pricing werde damit wichtiger werden, sind die beiden fest überzeugt. In Supermärkten experimentiere man bereits mit digitalen Preisschildern.
„Unsere Theorie widerspricht der klassischen Lehre von der Stabilität der Preise durch Wettbewerb; wir können ja gerade aufzeigen, dass durch mehr Interaktion und gegenseitige Beobachtung eine höhere Preisflexibilität entsteht“, erläutert Wilhelm. Interessant damit auch für den Lehrbetrieb in den Wirtschaftswissenschaften: „In meiner Übung zur Vorlesung „Mikroökonomie 1“ bringe ich das Beispiel Spritpreise immer gleich zu Anfang“, ergänzt Eibelshäuser.
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Zum Paper von Sascha Wilhelm und Steffen Eibelshäuser: »Markets Take Breaks: Dynamic Price Competition with Opening Hours«
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »