Historische Stoffe sind auf die eine oder andere Weise bereits seit vielen Jahrzehnten in Comics umgesetzt, man denke nur an Asterix oder Prinz Eisenherz. Während in diesen Comics jedoch noch der fantastische oder parodistische Zugriff auf die Geschichte maßgebend ist, hat sich die grafische Literatur spätestens seit Art Spiegelmans MAUS auch als ein anerkanntes Medium historischer Zeugenschaft etabliert.
Dieser Entwicklung nachzuspüren hat sich das 1. Frankfurter Symposium zur Comicforschung zur Aufgabe gemacht, das unter dem Titel „Geschichte im Comic – Geschichte des Comic“ vom 4. bis 6. September im IG-Farben- Haus der Goethe-Universität stattfand. Die Comicforschung hat in Frankfurt eine gute Tradition, auch dank Dr. Bernd Dolle-Weinkauff, Organisator der Tagung und Kustos des Instituts für Jugendbuchforschung. Bereits 1982 fand hier das erste Kolloquium zur Comicforschung statt.
Es folgten Forschungsprojekte, Dissertationen und die fortgesetzte Sammlungstätigkeit des Comic-Archivs, das heute über 60.000 Exemplare beherbergt. Das diesjährige Symposium war in Frankfurt das erste seiner Art und zugleich war es die 10. Wissenschaftstagung der Gesellschaft für Comicforschung, die 2005 gegründet wurde, um die deutschsprachige Comicforschung zu fördern und zu vernetzen. In ihrem Eröffnungsvortrag zeigte die dänische Historikerin Anne Magnussen exemplarisch auf, wie Comics als historisches Quellenmaterial behandelt werden können.
Die in ihnen zum Einsatz kommenden Darstellungsweisen offenbaren die Funktion von Comics als Ideologieträger. Deren Analyse könne erhellen, welche gesellschaftlich verbreiteten Vorstellungen zu bestimmten kulturgeschichtlichen oder politischen Entwicklungen beigetragen haben. Dazu sei es notwendig, vom überkommenen Paradigma der Geschichtswissenschaft, fiktionale Texte aus dem Quellenkorpus zu verbannen, Abstand zu nehmen. Magnussen schilderte, wie sich (Zeit-)Geschichte auch in solchen Comics manifestiert, die keine historischen Stoffe behandeln.
Geschichtliche Authentizität im Comic?
Eine in diesem Zusammenhang über die Tagungsdauer hinweg wiederkehrende Frage war die nach der Authentizität von Geschichtsdarstellungen im Comic. Es scheint evident, dass das gezeichnete Bild einer historischen Situation den Anspruch auf eine wirklichkeitsgemäße Darstellung nicht erfüllt. Wenn der Comic akribisch recherchierte historische Fakten in Bild und Schrift einfließen lässt, sei anstelle von Authentizität besser von Authentizitätseffekten oder -suggestionen zu sprechen.
Wie aber mit autobiografischen Comics, Zeitzeugenberichten oder Reportage- Comics umgehen? Die prinzipielle Unzuverlässigkeit des gezeichneten Bildes kollidiert hier mit dem Anspruch auf historische Korrektheit. Einige Vorträge haben unter diesem Aspekt die Rolle von Comics für die DDR-Erinnerungskultur untersucht. Entscheidend war in dieser Hinsicht auch der Zeichenstil des jeweiligen Künstlers: versucht er in naturalistischer Manier einen Authentizitätseffekt zu erzielen oder verfremdet er die Darstellung bewusst, um die Unmöglichkeit eines getreuen Abbildes zu reflektieren?
Weitere Themenschwerpunkte waren die Antike im Comic oder auch Darstellungen des Zweiten Weltkriegs – in US-Comics, wo Superhelden Hitler bekämpfen, oder in fernöstlichen Manga, die mitunter von der Ignoranz gegenüber den Kriegsverbrechen der Japaner zeugen.
Barbara Yelins »Irmina«
Ein Höhepunkt der Tagung war das öffentliche Werkstattgespräch mit der Comic-Künstlerin Barbara Yelin. Die Münchnerin gab zunächst mit einer kommentierten Bilderstrecke Einblicke in ihre Arbeit und stellte sich anschließend den Fragen ihres Gesprächspartners Bernd Dolle-Weinkauff. Yelins jüngstem Werk kam hierbei eine besondere Bedeutung zu.
Ihr Comic-Roman Irmina erzählt die Lebensgeschichte einer Frau, die in den 1930er Jahren als ehrgeizige und eigensinnige junge Dame nach England aufbricht, um dort ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen, nach ihrer Rückkehr nach Deutschland aber zu einer Unterstützerin und Profiteurin des Nationalsozialismus wird. Den Anstoß zu dieser Arbeit gab der Fund einer Kiste mit Briefen und Fotografien von Yelins Großmutter.
Für Yelin haben diese historischen Dokumente als „Puzzleteile“ in der Konstruktion ihrer Romanhandlung fungiert. Dass Yelin das Quellenmaterial nicht als bloße Faktensammlung diente, sondern sie im freien Umgang mit ihm ein künstlerisches Werk komponierte, mache, so Dolle-Weinkauff, den Unterschied deutlich zwischen der Arbeit eines Historikers und der einer Comic-Künstlerin, die ein ganz anderes Publikum erreichen und ein anderes Erleben von Geschichte ermöglichen könne. [Autor: Lukas Sarvari]