Ein Kleinod der Frankfurter Musikgeschichte

Sebastian Furck: Johann Andreas Herbst, Kupferstich, [Frankfurt am Main] 1635 (UB Frankfurt/M, S36_G04115)
Sebastian Furck: Johann Andreas Herbst, Kupferstich, [Frankfurt am Main] 1635 (UB Frankfurt/M, S36_G04115)
Unter den zahlreichen Spezialsammlungen der Goethe-Universität befindet sich auch eine Sammlung Notendrucke aus der Zeit von 1580 bis 1680. Sie umfasst rund 300 Werke von 250 Komponisten in 120 Ausgaben und wurde im Auftrag der Stadt Frankfurt zur Gestaltung festlicher Musik zu besonderen Anlässen sowie der Sonn- und Festtagsgottesdienste angeschafft. Sie ist eine der bedeutendsten Stimmbuchdrucksammlungen in Deutschland.

1612 fand die Krönung von Kaiser Matthias in Frankfurt statt, bei der von heimischen und Gastmusikern anspruchsvolle Musikstücke aufgeführt wurden. Dies mag der Anlass dafür gewesen sein, einen hauptamtlichen Städtischen Musikdirektor einzustellen, der neben der Aufgabe, 6-8 Schüler in Musik zu unterrichten, auch die bis 1800 von der Stadt getragene Kirchenmusik in den evangelischen Hauptkirchen (Barfüßerkirche und St. Katharinen) gestalten sollte.

Johann Andreas Herbst als erster Frankfurter Musikdirektor

In den drei aufeinander folgenden Jahren 1621–1623 bewarb sich der zuvor in Butzbach und Darmstadt als Kapellmeister tätig gewesene Johann Andreas Herbst aus Nürnberg mit Widmungskompositionen bei der Stadt Frankfurt. Er schloss Anfang 1623 einen Dienstvertrag mit der Stadt und war zunächst 13 Jahre lang in Frankfurt tätig.

Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges ließen ihn 1636 in seine Heimatstadt Nürnberg zurückkehren, wo er als städtischer Musikdirektor wirkte und theoretische Werke zur Gesangskunst verfasste. 1644 kehrte er nach Frankfurt zurück und nahm seine frühere Tätigkeit wieder auf. Herbst starb im Alter von 77 Jahren am 24. Januar 1666.

Seminarveranstaltung zu Herbst und der Musik des Frühbarock

Im Hinblick auf den 350. Todestag von Johann Andreas Herbst entstand die Idee, zu diesem Jubiläum zusammen mit Studierenden der Goethe-Universität eine Ausstellung zu gestalten. So wurde im Wintersemester 2015/16 das Magister-Hauptseminar: Meister des Frühbarock – oder: wer sind die Komponisten zwischen 1600 und Bach? angeboten. Als Kernthema hat sich während der Vorbereitung zu diesem Seminar die von J. A. Herbst angeschaffte und in großen Teilen erhaltene Sammlung von Notendrucken seiner Zeit herausgestellt.

Entlang dieser Sammlung werden in den einzelnen Sitzungen Komponisten mit ihren in der Sammlung Herbst vertretenen Werken vorgestellt (z. B. Andrea und Giovanni Gabrieli, Melchior Franck oder Samuel Scheidt) oder die Geschichte des Notendrucks dargestellt. Dazu werden die Wege des Notenhandels in Europa oder die beiden von Herbst verfassten Theoriewerke vorgestellt. Weiter geht es um die Aufführungspraxis und die Entwicklung von Hof- und städtischen Kapellen in der Zeit.

Zu all diesen Themen wurde jeweils eine Vitrine gestaltet und mit Exponaten, insbesondere mit Drucken aus der Sammlung ausgestattet. Somit kann in diesem Seminar auch ganz praktisch mit fast 400 Jahre alten Originalen gearbeitet werden, eine Besonderheit, da ein Notentext sonst fast immer in facsimilierter Form als Untersuchungsgegenstand in einem Seminar vorliegt.

Verbreitung der italienischen Mehrchörigkeit und der Monodie in Europa

Mit der Sammlung Herbst erleben wir ein wesentliches Zeugnis für ein Stück Musikgeschichte und musikalische Entwicklungsströme in Europa. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich in Italien die sogenannte Venezianische Mehrchörigkeit. Im einfachsten Fall können das zwei Chöre mit jeweils Sopran, Alt, Tenor und Bass sein.

Es kann aber auch einen Hoch- und einen Tiefchor geben, die Anzahl der Chöre kann auf drei oder vier steigen und auch einzelne Chöre können mit unterschiedlicher Stimmenzahl besetzt werden. Aber die Mehrchörigkeit ist nur eine musikalische Neuerung in dieser Zeit. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entwickelten sich auch die Monodie und der Generalbass, auch Basso continuo genannt.

Monodie bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nicht mehr wie bisher in der „klassischen Vokalpolyphonie“ alle Stimmen eines Werkes mehr oder weniger gleichberechtigt sind, sondern eine oder zwei Stimmen solistisch verwendet und von einem Generalbass gestützt werden. Monodie und Generalbass wurden in der Folge bestimmend für die musikalische Entwicklung in ganz Europa, die Mehrchörigkeit hingegen, als deren prominentester Vertreter Giovanni Gabrieli gilt, kommt mit seinem Tod 1612 allmählich zum Erliegen.

Bei der Etablierung neuer musikalischer Kompositionsweisen außerhalb des Ursprungsortes entstehen natürliche Zeitverzögerungen. Eine mögliche Art der Verbreitung ist die Reisetätigkeit oder Lehrzeit von Komponisten an anderen Orten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Heinrich Schütz (1585–1672), der in seiner Jugend zweimal in Venedig u. a. bei Giovanni Gabrieli Kompositionsstudien betrieben hat. So wurden durch Schütz, der danach die meiste Zeit seines kompositorischen Lebens in Dresden verbracht hat, mehrchörige und monodistische Techniken nach Deutschland gebracht.

Johann Andreas Herbst war zwar nicht nachweislich in Italien, hat aber diese Musik, die sich in Deutschland allmählich verbreitete, wahrscheinlich schon in Nürnberg kennengelernt und sie dann nach Zwischenstationen in Butzbach und Darmstadt nach Frankfurt gebracht. Hier hat er ab 1623, gefördert durch den Rat der Stadt, diese „neue“ Musik auch in größerem Stil in Frankfurt etabliert. Davon zeugt die von ihm angeschaffte und wunderbarerweise erhaltene Sammlung von Musikalien, die genau diese oben genannten Neuerungen aus Italien repräsentiert.

Weg der Sammlung

Die für die Kirchenmusik benötigten Stimmbuchdrucke wurden zunächst bei den Musikdirektoren bzw. in den Kirchen aufbewahrt, danach dem Archiv des Almosenkastens übergeben, das sich wie das Gymnasium in den Räumlichkeiten des Barfüßerklosters befand. Durch die Aufstellung in der Gymnasialbibliothek wurden sie mit der Sammlung der Peterskirche vereinigt, die sie inhaltlich ergänzt.

1897 übernahm die Stadtbibliothek, die heutige Universitätsbibliothek, die Betreuung der Frankfurter historischen Musiksammlungen, darunter auch die rund 120 Musikdrucke aus der Gymnasialbibliothek. Sie ist eines der historischen Fundamente der Sammlungen der Musik- und Theaterabteilung. Die Stimmbuchdrucke sind durch den Onlinekatalog des internationalen Quellenlexikons der Musik (RISM) erschlossen.
[Autoren: Ann Kersting-Meuleman und Britta Schulmeyer]

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Hörbeispiel
Hieronymus Praetorius: Magnificat Quinti Toni (Ensemble Siglo de Oro)
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Die Ausstellung ist zu sehen vom 28.01. bis 04.03.2016 im 3. OG der Zentralbibliothek der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg,
Bockenheimer Landstraße 134-138, 60325 Frankfurt am Main.
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10.00 – 19.00 Uhr

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