Equal Pay Day: „Die Pandemie ist auch eine Superchance“

Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität

Am 10. März 2021 ist Equal Pay Day: Bis zu diesem Tag haben Frauen statistisch gesehen umsonst gearbeitet, während Männer vom 1. Januar an für ihre Tätigkeit bezahlt werden. Doch es gibt Licht am Horizont: Wie der Hessische Lohnatlas 2020 zeigt, schließt sich die Lücke immer weiter. Und auch die Pandemie bringt für Frauen neue Möglichkeiten, um weiter aufzuschließen. Über die Zusammenhänge sprachen wir mit Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität, das für die Landesregierung den Hessischen Lohnatlas erstellt.

2017 hat Hessen mit der ersten Ausgabe des Hessischen Lohnatlas ein Zahlenwerk vorgelegt, das für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt Daten zur Entgeltlage von Frauen und Männern beinhaltet. Die zweite Ausgabe ist 2020 erschienen. Wie wird sich die Pandemie auf die Entgeltlücke auswirken?

Die Daten in der 2020er-Ausgabe stammen aus den Jahren 2012 bis 2018. In diesem Zeitraum hat sich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen verkleinert – im Schnitt um vier Prozentpunkte auf 11,9 Prozent. Wir sind also in einer positiven Entwicklung, wenn die Lücke auch immer noch groß ist. Ich erwarte, dass sich der positive Trend grundsätzlich trotz Corona fortsetzt. Zahlen dazu gibt es aber noch nicht.

Auch wenn es noch keine konkreten Zahlen gibt: Wie ist Ihre Prognose?

Wir können beobachten, dass die Beschäftigten sich in dieser Pandemiesituation sehr stark an ihren Arbeitgeber gebunden haben. Wir haben so wenig Arbeitsmarktdynamik wie selten zuvor, kaum jemand wechselt die Stelle, es gibt auch weniger offene Stellen. Da sich Entgeltentwicklungen ja oft über Stellenwechsel oder über eine Veränderung von Arbeitsformen oder Arbeitsumfängen ergeben, tut sich da gerade vermutlich weniger als noch vor der Pandemie im Hinblick auf die Entgeltlücke.

Sind in Corona-Zeiten die Arbeitsplätze von Frauen stärker bedroht als die von Männern?

Die Pandemie wirkt sich branchenspezifisch aus. Von den Corona-Maßnahmen sind manche Branchen stark betroffen – etwa die Gastronomie, der Tourismus, auch Kunst und Kultur. Hier müssen wir mit einem massiven Rückgang von Beschäftigten rechnen, weil viele Betriebe nicht überleben werden. In diesen Bereichen sind überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt. Stark betroffen ist auch der stationäre Handel, auch hier haben wir viele weibliche Beschäftigte. Andere Bereiche sind von der Pandemie überhaupt nicht betroffen. Und in wieder anderen führt die Pandemie gar zu starkem Aufwuchs, die Nachfrage hat zugenommen: der IT-Bereich, der Onlinehandel, das Handwerk und die Bauwirtschaft. Aber gerade viele dieser boomenden Branchen haben einen eher geringen Frauenanteil.

Dennoch sehen Sie positive Auswirkungen des Lock-Downs auf die Erwerbstätigkeit von Frauen.

Vor allem die massive Ausweitung des Homeoffice wird sich positiv bemerkbar machen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass bis zu 40 Prozent aller Betriebe Beschäftigte im Homeoffice haben, vor allem qualifizierte und hochqualifizierte Personen. Dass man im Homeoffice räumlich und zeitlich flexibel arbeitet, kommt Frauen zugute. Denn sie sind es, die häufiger Erwerbsarbeit und familiäre Verpflichtungen miteinander vereinbaren. Die Arbeitgeber merken, dass die Arbeitsergebnisse nicht schlechter werden als vor der Pandemie, und auch beim Thema Führung auf Distanz hat man sich entspannt. Das funktioniert inzwischen gut, die Menschen haben sich in den neuen Routinen eingerichtet.

Werden die Arbeitgeber das Homeoffice auch nach der Corona-Krise fest in die Arbeitsorganisation einplanen?

Das Homeoffice wird bleiben. Viele Betriebe haben ihre Beschäftigten befragt und wissen, dass viele Homeoffice beibehalten wollen – zumindest in Hybridformen. Auf alle Fälle wird sich unsere Arbeitswelt nach Corona verändert haben: Die Norm des stationären Arbeitens zu festen Betriebs- und Präsenzzeiten wird für viele nicht mehr gültig sein. Die mobilen Arbeitsformen werden hoffentlich bald gleichberechtigt sein, so dass es künftig egal ist, ob ich im Betrieb oder an anderen Orten arbeite, solang die Ergebnisse stimmen. Das wäre eine günstige Ausgangssituation, die Frauen helfen würde, sich stärker in Beschäftigung einzubringen und die bessere Chancen für ihren Aufstieg eröffnen können.

Werden Frauen im Homeoffice gegenüber Männern in Präsenz nicht wieder das Nachsehen haben?

Es ist derzeit noch offen, ob Männer wieder komplett in die Betriebe zurückkehren werden. Durch die Pandemie haben auch viele Männer gemerkt, dass das Homeoffice Vorteile mit sich bringt. Von Wirtschaftsförderern, z.B. im Bereich Limburg oder Gießen, weiß ich, dass bald viele Homeworkingspaces gebildet werden, also Büros vor Ort in der Region, wo man zum Beispiel an drei Tagen in der Woche für eine Frankfurter Bank arbeiten kann, ohne hinfahren zu müssen. Diese Möglichkeit des mobilen Arbeitens in der Heimatregion wird von vielen Männern nachgefragt.

Es gab im vorigen Jahr auch alarmierende Studien, die einen Rückfall in die Rollenverteilung der 1950er Jahre diagnostiziert haben.

Man muss das differenziert betrachten. Frauen übernehmen in der Regel mehr häusliche Arbeiten als Männer. Mit der Geburt des ersten Kindes entwickelt sich eine ursprünglich partnerschaftliche Arbeitsteilung im Haushalt oft zuungunsten der Frau. Und im Corona-Homeoffice kamen oft noch die Kinderbetreuung und das Homeschooling hinzu. Aber es gibt eine interessante Studie aus dem IAB: Bei hochqualifizierten Paaren, die im Homeoffice tätig sind, verschiebt sich das Verhältnis der Aufgabenteilung zugunsten von Frauen; die Männer übernehmen mehr Aufgaben als vor der Pandemie. Das ist ein ermutigendes Signal, das hoffentlich über die Pandemie hinaus erhalten bleibt.

Der Lohnatlas vergleicht die Einkommen aller berufstätigen Frauen mit dem aller berufstätigen Männer – und nicht etwa die Einkommen der beiden Geschlechter bei gleicher Tätigkeit. Warum ist diese Herangehensweise dennoch richtig?

Wir betrachten im Kern Männer und Frauen, die sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt sind. Für 2018 haben wir die Lücke von 11,9 Prozent ermittelt. In einem zweiten Schritt schauen wir auch auf die Qualifikation. Zwischen Männern und Frauen mit akademischem Abschluss zeigt sich die größte Lohnlücke, sie liegt bei 26,5 Prozent. Und während sich die Lücke im Gesamtbild in den vergangenen Jahren verkleinert hat, die un-  und angelernten Frauen sogar mit den Männern fast gleichziehen, stagnieren die Zahlen bei den Akademikern.

Woher kommt diese große Lohnlücke im Bereich der hochqualifizierten Arbeitnehmer?

Frauen schaffen es einfach nicht in dem Maße wie Männer in Führungspositionen. Das ist vermutlich das Phänomen der gläsernen Decke. Präsenz, feste Arbeitszeiten und Vollzeit bringen nach wie vor Vorteile, wenn es um den Aufstieg geht. Zudem wirkt das Homophilieprinzip: Das gleiche Geschlecht hat einen Vertrauensvorschuss. Das machen Menschen unbewusst, aber es führt eben dazu, dass Männer viel häufiger Männer bei ihrem Weg in Führungspositionen unterstützen und eher weniger Frauen. Im Ergebnis verdienen Männer durch ihren Aufstieg mehr als Frauen, obwohl beide über die gleiche Grundqualifikation verfügen. Aber wenn Präsenz und feste Arbeitszeiten durch mehr Flexibilisierung, also die Formen des mobilen Arbeitens, an Bedeutung verlieren, können Frauen künftig bessere Chancen haben.

Verdienen Frauen in Führungsposition denn dann wenigstens gleich viel wie Männer?

In Betrieben, die sich für mehr Transparenz stark machen, zeigt sich, dass auch im mittleren und oberen Management Entgeltlücken bestehen. Solche Betriebe bemühen sich dann, diese Entgeltlücken zu beseitigen. Das rechnet sich, sagen uns die Verantwortlichen, zum Beispiel bei Adobe oder Salesforce: Die Frauen fühlen sich wertgeschätzt, und auch Männer finden eine faire Behandlung gut. Das führt zu einer starken Bindung der Beschäftigten und macht die Arbeitgeber attraktiv. Über Zertifizierungen kann man Entgeltgleichheit auch nach außen kommunizieren.

Wie kommt es überhaupt zu solchen Differenzen bei der Bezahlung?

Einige Studien zeigen, dass Männer schon beim Einstieg in ein Unternehmen besser verhandeln als Frauen. Aber das ändert sich wohl gerade: In Städten wie Frankfurt, wo viele Studienabsolventen in den Beruf einsteigen, verringern sich die Unterschiede. . In den ersten Berufsjahren haben wir relativ gleiche Entgelte. Erst mit der Familiengründung ändert sich das. Führung in Teilzeit ist eine Möglichkeit, die in der betrieblichen Welt leider noch nicht sehr verbreitet ist.

Sie erstellen den Hessischen Lohnatlas im Auftrag der Landesregierung, Arbeitsmarktgesetzgebung ist aber Bundessache. Was kann die Landespolitik beitragen, damit sich die Lohnlücke schneller schließt?

In Hessen fährt man seit 2017 eine Strategie mit zwei Säulen: Die eine Säule ist Transparenz, die entsteht durch den Lohnatlas, ein sehr ambitioniertes Vorhaben, weil die Analyse sehr kleinteilig ist und zeigt, dass die Situation in den verschiedenen Regionen in Hessen sehr unterschiedlich ist. Die zweite Säule besteht darin, Diskurse zu fördern, Bewusstsein zu schaffen – abgeleitet aus den Befunden aus dem Lohnatlas. Wir richten den Blick sowohl auf die Rahmenbedingungen wie die verfügbare Kinderbetreuung, aber auch auf die Berufsorientierung junger Menschen. Mädchen orientieren sich eher in Bereiche hinein, in denen es im Schnitt niedrigere Entgelte gibt. Seit 2020 fokussieren wir uns mehr auf die Betriebe und versuchen, mit der regionalen Wirtschaft ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, dass diese untergesetzlichen Maßnahmen extrem wirksam sein können, weil sie in der Region, in den Betrieben ansetzen, dort wird entschieden, ob Entgeltgleichheit stattfinden kann oder nicht. Das heißt nicht, dass der Bund sich nicht mit Quoten im Management befassen soll, aber in der Fläche braucht man solche Bottom-up-Ansätze.

Hessen als Vorreiter?

Es ist gut, wenn ein Bundesland so vorangeht. Kein anderes Land hat eine solche Strategie oder gar ein mit dem Lohnatlas vergleichbares Datenwerk. In anderen Ländern werden punktuell auch Projekte und Aktivitäten entfaltet, aber so eine systematische Strategie gibt es bisher nur in Hessen.

Und ist der Zeitpunkt während der Pandemie günstig für solche Gespräche?

Auf jeden Fall. Im Moment gibt es ein Möglichkeitsfenster, denn wir haben in vielen Branchen einen Fachkräftemangel, der bis 2035 von Jahr zu Jahr noch größer werden wird. Das ist ein guter Hebel, um mehr Frauen in Beschäftigung oder auch in Führungspositionen zu bringen, und das wird zu einer Verringerung der Entgeltlücke führen. Frauenpolitik und Arbeitsmarktpolitik gehen hier günstiger Weise Hand in Hand.

Sind Sie optimistisch, dass sich langfristig etwas ändern wird?

Ja, es sind immense Lücken zu füllen, ohne die Frauen geht es nicht. Die Pandemie ist zudem eine Superchance, flexibles Arbeiten aufzuwerten und es mit Karrierechancen zu verbinden.

Interview: Anke Sauter

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