Der Startschuss für das deutsch-brasilianische Forschungsprojekt CAFE Brazil (Chemistry of the Atmosphere: Field Experiment in Brazil) ist gefallen. Unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Chemie sammelt seit gestern ein internationales Forschungsteam rund 60 Tage lang Daten zu den chemischen Prozessen in der weitgehend sauberen Atmosphäre über dem Amazonasregenwald in Brasilien. Das Verständnis der natürlichen chemischen Prozesse soll erklären helfen, wie sich zum Beispiel Luftverschmutzung auf die Atmosphäre auswirkt. Neben Messungen per Flugzeug werden die Daten auch mit Hilfe von Ballons und Drohnen und an der deutsch-brasilianischen Forschungsstation ATTO vom Boden aus erhoben. An der großangelegten, flugzeuggestützten Mission sind neben dem MPI für Chemie auch Forschende der Goethe-Universität Frankfurt um Prof. Joachim Curtius, des Forschungszentrums Jülich, des Karlsruher Instituts für Technologie, des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Universidade de São Paulo und des Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais beteiligt.
Die CAFE-Brazil-Expedition führt 70 Wissenschaftler:innen im Dezember und Januar nach Manaus. Der Flughafen der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Amazonas ist Start- und Landepunkt für die 20 geplanten Messflüge mit dem Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range Research Aircraft). HALO, betrieben vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist für große Höhen und lange Flugdistanzen geeignet und wird für wissenschaftliche Untersuchungen der Erdatmosphäre eingesetzt. Für die CAFE-Brazil-Mission hat das Forschungsteam HALO mit 19 Instrumenten bestückt, die dutzende Parameter messen werden, darunter Aerosole, flüchtige organische Verbindungen (VOCs), Schwefel- und Stickoxide, Kohlenstoffmonoxid, Methan, Ozon, freie Radikale und Wasser.
„Wir erwarten neue Erkenntnisse zu den chemischen Abläufen in der Atmosphäre über dem tropischen Regenwald und auch über die Wechselwirkungen zwischen der Biosphäre und der Atmosphäre, um so die grundlegende Rolle des Regenwaldes im Erdsystem besser zu erklären“, sagt Professor Jos Lelieveld, wissenschaftlicher Leiter der Forschungsexpedition und Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. Mit Spannung sieht auch Joachim Curtius, experimenteller Atmosphärenforscher und Professor an der Goethe-Universität in Frankfurt, den Forschungsflügen entgegen: „Wir sind froh, dass wir Teil dieses wichtigen Projekts sind und es nun endlich losgehen kann. Unser Fokus liegt auf der Entstehung von Partikeln aus Spurengasen, die der Wald ausstößt“. Eigentlich sollte CAFE-Brazil schon im Frühjahr 2020 an den Start gehen, musste aber wegen der Coronakrise verschoben werden.
Ein langjähriger Partner des Max-Planck-Instituts für Chemie ist die Universidade de São Paulo, die seit 25 Jahren Treibhausgase, Aerosole und Wolken über dem Amazonasgebiet erforscht. „Amazonien ist für den globalen Klimawandel von entscheidender Bedeutung. Wir müssen die Zusammenhänge zwischen den Waldemissionen, dem atmosphärischen Transport und den Auswirkungen des Klimawandels besser verstehen, denn die Strategien zur Erhaltung des Amazonaswaldes müssen sich auf die Wissenschaft stützen, um wirksam zu sein. Experimente wie dieses bieten den Rahmen für den Schutz des Regenwaldes“, sagt Paulo Artaxo vom physikalischen Institut der Universität São Paulo. Sein Kollege Luiz Augusto Machado, der am Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais und an der Universität São Paolo forscht, ergänzt: „Das CAFE Brazil-Projekt wird uns Einblicke dazu liefern, wie höhere Luftschichten mit biologischen Prozessen des Waldes verknüpft sind, die über vertikale Konvektion und Fallwinde miteinander verbunden sind. Darüber hinaus ergänzt die Kampagne die Langzeitmessungen am ATTO-Turm sehr gut.“
Messflüge in der Troposphäre
Die Flüge über dem Regenwald werden festgelegten Mustern folgen, um vertikale und horizontale Profile zu vermessen. Auf dem Plan stehen auch sogenannte Helixflüge, bei denen sich HALO aus niedrigen Höhen bis auf 15 Kilometer Höhe schraubt. Mit den Flugzeugmessungen wollen die Forschenden herausfinden, wie die atmosphärischen Oxidationsprozesse in der Troposphäre über dem Amazonasregenwald ablaufen und wie sie die Bildung und das Wachstum von Aerosolpartikeln steuern, die als Wolkenkondensationskerne von zentraler Bedeutung sind.
Die Wissenschaftler:innen wollen auch die Antwort auf die Frage erhalten, warum die Eigenschaft der Atmosphäre, sich selbst zu reinigen, über dem Regenwald nicht leidet, obwohl ständig riesige Mengen an Hydroxyl-Radikalen verbraucht werden. Die chemische Verbindung gilt als Waschmittel für die Atmosphäre, da sie Schadstoffe wie Methan oxidiert und wasserlösliche Reaktionsprodukte erzeugt, die mit dem Regen aus der Luft ausgewaschen werden.
Koordinierte Messungen am Forschungsturm ATTO
Untersuchungen an der Forschungsstation ATTO (Amazon Tall Tower Observatory), einem 325 Meter hohen Turm aus Stahl mitten im nördlichen brasilianischen Amazonas-Regenwald und circa 150 Kilometer von Manaus entfernt, werden die Messungen mit HALO komplettieren. Neben Klima-Beobachtungen in unterschiedlichen Höhen der Atmosphäre ermöglicht ATTO die Erforschung der Biosphäre Regenwald. Da auf dem Turm ein ähnlicher Instrumentensatz zum Einsatz kommt wie auf HALO, bietet dies die einmalige Gelegenheit, die Messungen im und direkt über dem Wald zu verknüpfen.
Die Datensätze, die die Forschenden in der weitgehend sauberen Luft über dem Amazonasregenwald gewinnen, wollen sie mit Ergebnissen vergleichen, die zum Teil aus früheren Messkampagnen stammen, unter marinen und verschmutzten Bedingungen eruiert wurden und die ebenfalls die Luftverschmutzung zum Forschungsgegenstand hatten.
Hintergrundinfos zur Kampagne: Der Amazonasregenwald hat weltweite ökologische Bedeutung – er produziert große Mengen an Sauerstoff, stabilisiert das globale Klima und beeinflusst den Wasser- und Kohlenstoffkreislauf. Er bildet große Mengen an VOCs wie Isopren. Aus ihnen wiederum entstehen Aerosolpartikel, die für die Bildung von Wolken und Niederschlag wichtig sind.
Die VOCs verändern sich in der Luft chemisch. Daran beteiligt sind sogenannte Hydroxyl-Radikale. Diese chemische Verbindung oxidiert Schadstoffe wie Methan und macht sie wasserlöslich. Sie werden mit dem Niederschlag quasi aus der Luft ausgewaschen.
Quelle: Max-Planck-Institut für Chemie