Fusion: Keine schnelle Lösung für die Klimakrise

Künftig aber Versorgung von Ballungsräumen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom US-amerikanischen Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) haben bekannt gegeben, dass ihnen erstmals die Zündung eines „Sonnenfeuers im Labor“ gelungen ist, also eine Fusion von Wasserstoffkernen zu Helium, bei der mehr Energie freigesetzt wird, als in die Reaktion hineingesteckt wurde. Dies wird als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem „sauberen“, CO2-freien Fusionskraftwerk gewertet.

Wie weit der Weg zu einem solchen Fusionskraftwerk ist, erklärte der Physiker Prof. Holger Podlech vor zwei Jahren am Beispiel des Forschungsreaktors ITER im Magazin Forschung Frankfurt (2/2020, Klimakrise).

In Frankreich wird seit 2007 der Versuchsreaktor ITER gebaut. Mit ihm soll getestet werden, ob sich Energie aus Kernfusionen zur Stromerzeugung nutzen lässt.

Fusionsenergie: Sonnenfeuer auf der Erde

Die Vision vom sauberen, unerschöpflichen Strom

Der Experimental-Fusionsreaktor ITER nähert sich der Betriebsphase – auch aus Frankfurt kommen wichtige Beiträge. Obwohl die neue Technologie nicht zur kurzfristigen Verringerung der Treibhausgase beitragen wird, könnte sie einen wichtigen Pfeiler der künftigen Stromversorgung bilden.

Es ist ein alter Traum der Kernphysik: durch das Verschmelzen leichter Wasserstoff-Atomkerne genau die Energiequelle anzuzapfen, die Sterne wie unsere Sonne Jahrmilliarden leuchten lässt. Mit einer stabil ablaufenden Kernfusion wären Kraftwerke denkbar, die quasi unerschöpfliche Energie liefern: Aus 30 Kilogramm Wasserstoff könnte so viel Energie gewonnen werden wie aus einem Supertanker mit 260 000 Tonnen Öl. Zugleich gäbe es deutlich weniger Probleme mit strahlendem Atommüll als bei Kernkraftwerken. Zwar entstehen auch in Fusionskraftwerken radioaktive Materialien, allerdings sind es deutlich weniger und sie sind auch nicht so langlebig – was das eigentliche Problem beim hoch radioaktiven Abfall aus Kraftwerken darstellt.

Nun wurde die Fusionskraft schon in den 1950er Jahren als Heilsbringer für die Zeit nach der Kernenergie ausgerufen. Damals hieß es, in spätestens 50 Jahren werde die Fusionskraft einsatzbereit sein. An dieser Vorhersage hat sich in den letzten 70 Jahren allerdings wenig geändert, denn immer noch wird es auch in optimistischen Schätzungen mehrere Jahrzehnte dauern, bis die ersten Fusionskraftwerke in Betrieb gehen. Einige Spötter der Fusionskraft haben sie deshalb mit einem gewissen Berliner Flughafen verglichen, dessen Eröffnung ebenfalls regelmäßig verschoben wurde, wobei der Bau eines Flughafens im Vergleich zu einem Fusionskraftwerk allerdings ungleich weniger komplex ist.

ITER ist groß genug fürs Sonnenfeuer

»Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten kommen die Arbeiten am weltgrößten Fusionsreaktor ITER mittlerweile gut voran«, sagt Holger Podlech, Professor für Beschleunigerphysik an der Goethe-Universität. In Fusionsreaktoren ist ein extrem heißes und sehr dünnes Plasma mithilfe spezieller Magnetfelder in einem Donutförmigen Ring eingeschlossen. Es darf die Wand nicht berühren, da es sich sonst sofort abkühlen würde. Das würde jegliche Fusion unmöglich machen. Mit Mikrowellen wird das Plasma stark aufgeheizt – auf etliche Millionen Grad –, bis schließlich die Atomkerne ihre gegenseitige elektrische Abstoßung überwinden können und die Fusionsreaktion startet. Diese setzt dann riesige Energiemengen frei.

»Man muss also erst einiges an Energie in das Plasma hineinstecken, bevor es selbst Energie produziert«, erklärt Podlech. Um insgesamt einen positiven Energiesaldo zu erhalten, müssen Fusionskraftwerke relativ groß gebaut werden. Bei kleineren Anlagen sind die Verluste im Plasma zu stark; deshalb wären sie nicht wirtschaftlich. ITER selbst ist groß genug, um die Zündung des Sonnenfeuers zu ermöglichen. Es ist aber nicht als wirtschaftlich arbeitendes Kraftwerk geeignet. Es soll als Experimental- Fusionsreaktor dienen, mit dem die Forscher in den kommenden Jahren das Verhalten des heißen Plasmas unter die Lupe nehmen wollen. Um die Mitte dieses Jahrzehnts soll ITER in Betrieb gehen, anfangs aber noch, ohne das Plasma richtig zu zünden.

Nach ungefähr zehn Jahren mit umfangreichen Materialtests und Experimenten mit dem Plasma soll um das Jahr 2035 dann erstmals das »Sonnenfeuer« in der Plasmakammer leuchten – also eine stabile Fusionsreaktion gezündet werden. Genau das hatten sich frühere Experimente auch versprochen, sind aber immer wieder an unvorhergesehenen Schwierigkeiten gescheitert – etwa an eigenartigen Turbulenzen im heißen Plasma. Mit aufwendigen Computersimulationen und dank der größeren Anlage bei ITER sollten diese Probleme aber in den Griff zu bekommen sein. »Ich bin mir sehr sicher, dass ITER ein Erfolg wird«, sagt Podlech. Dafür seien die Grundlagen mittlerweile gut genug verstanden und die Probleme der Vorgänger eingehend analysiert worden. Früher sei man etwas sehr optimistisch an die Fusionsforschung herangegangen. Inzwischen lassen sich viele Eigenschaften von Fusionsplasmen, die man damals nur abschätzen konnte – und eben zu positiv einschätzte –, im Detail simulieren.

Die Baustelle von ITER im Februar 2020. Nach derzeitigem Planungsstand soll 2025 das erste Plasma gezündet werden, zehn Jahre später sollen Versuche zur Stromerzeugung starten.

Nur wenig heißes, gefährliches Material

Eine besonders wichtige Rolle beim Betrieb künftiger Fusionskraftwerke spielen die Materialeigenschaften der Kammer, die das Sonnenfeuer umschließt – sie muss einiges aushalten. Zwar ist das heiße Plasma sehr dünn: Nur wenige Gramm Brennstoff befinden sich in der Kammer. Das bringt einen großen Sicherheitsvorteil im Vergleich zu Kernkraftwerken mit sich, in denen sich viele Tonnen an Uran und Spaltprodukten befinden. Wenn in einem Fusionskraftwerk etwas schiefgeht, kann nicht viel passieren. Die Menge an heißem, gefährlichem Material ist einfach zu gering. Doch ein gezündetes Plasma erzeugt eine immense Hitze, und dazu kommt noch eine starke Neutronenstrahlung. Diese dringt tief in die Wandstrukturen ein, knallt auf die Atomkerne dieser Materialien und rüttelt kräftig an der inneren Struktur dieser Festkörper. Außerdem lässt sie Gase entstehen, die ebenfalls die Wandstrukturen von innen beschädigen können.

»In der Tat ist die Belastung der Materialien im Torus enorm und eine der größten ingenieurtechnischen Herausforderungen beim Bau von Fusionskraftwerken«, erklärt Podlech. Derzeit arbeiten Forscher an speziellen Verbundmaterialien aus hochfesten Spezialstählen, die eine gewisse Langlebigkeit garantieren sollen. Müsste man die teuren Strukturen zu oft austauschen, würde dies den Betrieb eines Fusionskraftwerks unrentabel werden lassen.

Gegenwärtig gibt es jedoch noch keine Möglichkeit, solche Materialien auf einem Prüfstand unter so harten Bedingungen zu testen, wie sie das Sonnenfeuer in der Plasmakammer erzeugen wird – nicht einmal in den stärksten Forschungsreaktoren. Auch Simulationen eignen sich nicht, weil sie nie alle Aspekte einer so starken Belastung nachvollziehen können. Die Arbeitsgruppe des Beschleunigerexperten Podlech war deshalb mitbeteiligt bei der Entwicklung der sogenannten International Fusion Materials Irradiation Facility (IFMIF). Bei dieser großen Anlage sollen leistungsstarke Teilchenbeschleuniger einen hochenergetischen Neutronenstrahl erzeugen, der ähnliche Eigenschaften wie das gezündete Plasma in einem Fusionskraftwerk aufweist. Damit lassen sich Materialien testen, die bei ITER um das Jahr 2035 zum Einsatz kommen sollen, wenn es dann hoffentlich heißt: Das Sonnenfeuer brennt stabil.

Kein Heilsbringer gegen den Klimawandel

Aber wie schaut der weitere Weg der Fusionskraft aus? In den letzten Jahren ist angesichts des Klimawandels weltweit zwar eine starke Entwicklung bei den erneuerbaren Energien zu sehen – leider mit vielen Jahren Verspätung, aber letztlich kommen sie doch. Aber erneuerbare Energien eignen sich zumindest bislang kaum als Grundlast, die Stromnetze sind unzureichend verknüpft, die Speichermöglichkeiten bislang viel zu gering (siehe jedoch den Beitrag »Stromspeicher«, Seite 89). Einige Länder setzen auf die Kernenergie, zumindest als Brückentechnologie, andere Länder wie Deutschland schwerpunktmäßig auf die besonders klimaschädliche Kohle. Nach den Berechnungen der Klimaforscher muss die Menschheit schon bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die globalen Treibhausgas- Emissionen stetig auf Null herunterfahren, um eine gefährliche Erwärmung mit stark negativen Konsequenzen zu vermeiden.

»Fusionskraft wird kein Heilsbringer für die 2050er Jahre sein, das lässt sich jetzt schon absehen «, sagt Podlech. Selbst wenn bei ITER alles wie erhofft abläuft und die Experimente bis etwa zum Jahr 2040 alle gewünschten Ergebnisse bringen, wäre nicht sofort danach mit dem Bau zahlreicher großer Fusionskraftwerke zu rechnen. »Nach einem Experimentalreaktor wie ITER würde man zunächst ein größeres Prototypen- Kraftwerk errichten, das zwar schon für die Stromproduktion geeignet ist, aber auch dazu dient, Betriebserfahrungen zu sammeln«, so Podlech.

Wenn die Atomkerne der beiden schweren Wasserstoff- Isotope Deuterium (2H) und Tritium (3H) verschmelzen, entstehen Helium (4He) und ein Neutron (n). Ob die bei der Reaktion freiwerdende Energie zur Stromerzeugung genutzt werden kann, wird erforscht.

Künftiger Stromlieferant für Ballungsgebiete

Planung und Bau eines solchen Prototypen- Fusionskraftwerks würden sicher deutlich mehr als ein Jahrzehnt benötigen. Wenn es einige Jahre wie gewünscht Energie geliefert hat, ließe sich anhand dieser Erfahrungen dann eine stärker standardisierte Baulinie kommerzieller Fusionskraftwerke entwickeln. Auch bei diesen Großprojekten wäre mit einer Bauzeit von 10 bis 20 Jahren zu rechnen. Zur Lösung der Klimaprobleme bis zum Jahr 2050 könnte die Fusionskraft also selbst dann, wenn alles wie am Schnürchen liefe, nichts beitragen. Als interessante Energiequelle später in diesem Jahrhundert könnte sie aber dennoch dienen. Gegenüber erneuerbaren Energien besitzt sie den Vorzug, enorm viel Energie auf kleiner Fläche erzeugen zu können. Ein Fusionskraftwerk könnte gut doppelt so viel Strom liefern wie ein großes Kernkraftwerk. Das macht die Technologie für Ballungsregionen interessant sowie für Gegenden, in denen weder mit Solarstrom noch mit Windkraft ausreichend Energie für die Bevölkerung und Industrie gewonnen werden kann.

Natürlich lässt sich schwer vorhersehen, wie die Preisentwicklung auf dem Energiemarkt bis zur zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts aussehen wird. Es könnte sein, dass die Fusionskraft bis dahin wirtschaftlich hoffnungslos abgehängt sein wird und regenerativ gewonnene Energieträger wie Wasserstoff oder Biokraftstoffe oder neuartige Speichertechnologien den gesamten Energiebedarf zu konkurrenzlos günstigen Preisen decken können – vielleicht aber auch nicht. »Ich denke, dass wir die Fusionsenergie eingehend erforschen sollten«, sagt Podlech. »Es ist immer gut, notfalls noch ein Ass im Ärmel zu haben, falls wir mit anderen Energieformen Schwierigkeiten bekommen.« Das könnte auch in Form von Konflikten bei der Landnutzung oder von Eingriffen in die Landschaft der Fall sein. Auch wenn die Fusionsforschung einige Milliarden kostet: Im Vergleich zu den internationalen Aufwendungen für die Energieversorgung sind das beinahe verschwindende Beträge.

Foto: Uwe Dettmar

Prof. Dr. Holger Podlech, Jahrgang 1968, leitet die LINAC-AG am Institut für Angewandte Physik, die sich mit der Entwicklung von Teilchenbeschleunigern und deren Teilkomponenten beschäftigt. Eines seiner Projekte befasst sich mit der Transmutation, mit deren Hilfe die Halbwertszeiten radioaktiver Kernkraftwerksabfälle verkürzt werden sollen. Seit 2012 ist der Physiker Professor an der Goethe- Universität, zuvor war er als Privatdozent und Wissenschaftler an der Goethe-Universität, der Michigan State University und dem Max-Planck- Institut für Kernphysik in Heidelberg tätig.

Der Autor Dirk Eidemüller, Jahrgang 1975, studierte Physik und als Nebenfach Philosophie in Darmstadt, Heidelberg, Rom und Berlin, schloss mit einem Diplom in Astroteilchenphysik ab und promovierte in Wissenschaftsphilosophie. Er wohnt in Berlin und arbeitet als freier Autor und Wissenschaftspublizist

Relevante Artikel

Standpunkte

Liebe Alumni und Freunde der Goethe-Universität, als Physikerin stehen einem viele Wege offen. Ich habe mich für den Brückenbau innerhalb

Öffentliche Veranstaltungen

Ehemalige Kunstbibliothek besetzt

Am Samstagabend hat eine Gruppe von etwa 15 Menschen die ehemalige Kunstbibliothek auf dem Campus Bockenheim der Goethe-Universität besetzt. Eine

You cannot copy content of this page