Gravitationswellen öffnen neues Fenster ins All

Früher als erwartet, haben Astrophysiker das erste leise Zittern einer Gravitationswelle in ihren Detektoren aufgefangen. Seit 40 Jahren sind sie den schwachen Signalen, die Einstein vor 100 Jahre vorhersagte, auf der Spur. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Eine neue Ära der Gravitationswellenphysik hat begonnen. Erst vor einem halben Jahr prognostizierte Prof. Luciano Rezzolla vom Institut für Theoretische Astrophysik an der Goethe-Universität:

„Für einen theoretischen Physiker, der in der Astrophysik arbeitet, könnte es keine bessere Zeit geben als die Gegenwart. Nach Jahrzehnten der experimentellen und theoretischen Entwicklungen sind wir jetzt nahe am ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen. Niemand weiß, wann die erste Welle gemessen wird, aber wir sind sicher, dass sie schon ausgesandt ist und sich mit Lichtgeschwindigkeit auf uns zubewegt.“

Aus aktuellem Anlass geben wir seinen Beitrag aus Forschung Frankfurt 1-2015 wieder:

Gravitationswellen: Schon bald messbar?

Trotz 40 Jahren experimenteller Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, Gravitationswellen zu messen. Die erwarteten Signale sind so schwach, dass sie auch bei der neuen Generation hoch präziser Messinstrumente im Rauschen der Messung untergehen werden. Der theoretische Astrophysiker Luciano Rezzolla verrät, wie er sie dennoch zu fassen bekommen will.

Die nächsten fünf Jahre versprechen, zu aufregenden Zeiten für die theoretische Physik zu werden. Ab Ende dieses Jahres werden hoch entwickelte Gravitationswellendetektoren bereitstehen, um Daten für den ersten direkten Nachweis der Gravitationswellen aufzunehmen.

Vor genau 100 Jahren sagte Einstein die Existenz der Gravitationswellen in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie voraus. Aber trotz aller Anstrengungen konnten sie bisher nicht direkt nachgewiesen werden. Woher wissen wir dann, dass sie existieren? Glücklicherweise ist die Natur zu uns theoretischen Physikern freundlich. 1974 entdeckten zwei Radio-Astronomen, Russel Hulse und Joseph Taylor, ein System aus zwei Neutronensternen, die einander innerhalb von nur acht Stunden umkreisen. Neutronensterne sind erstaunliche Objekte: Sie besitzen das 1,5-Fache der Sonnenmasse und sind damit extrem massiv und gleichzeitig extrem klein (ihr Radius beträgt nur 15 Kilometer). Deshalb besitzen sie außerordentlich starke Gravitationsfelder, die im Wesentlichen mit denen eines Schwarzen Lochs vergleichbar sind. In einem Doppelsternsystem bewegen sich die Sterne fast mit Lichtgeschwindigkeit und senden dabei reichlich Gravitationswellen aus.

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Was sind Gravitationswellen?

Genau genommen sind Gravitationswellen wellenförmige Lösungen der Einsteinʼschen Gleichungen für die Allgemeine Relativitätstheorie. Diese beschreibt die Entstehung der Gravitationskraft als Folge einer Raum-Zeit-Krümmung. Etwas salopper formuliert sind das Kräuselungen der Raum-Zeit-Krümmung, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und dabei eine Energie und einen Drehimpuls transportieren.

Anschaulich kann man sich das wie ein glattes Laken vorstellen, auf das man eine schwere Kugel legt. Dabei entsteht eine Delle im Laken. Wenn man nun eine Murmel auf die Fläche legt, wird sie auf die Kugel zurollen, als ob sie von ihr angezogen würde. Genau so wirkt auch die Gravitationskraft auf die Raum-Zeit-Krümmung: Massive Körper verbiegen die vierdimensionale Fläche der Raum-Zeit und leichtere Körper folgen diesen Krümmungen.

Gravitationswellen sind lediglich eine Erweiterung dieses Bildes: Legen wir, wie in dem Beispiel, zwei massive Kugeln auf das Bettlaken, bewegen sie sich aufeinander zu und senden dabei kleine Wellen aus wie die Kräuselwellen auf einem Teich. Gravitationswellen sind nichts anderes als kleine Variationen der Raum-Zeit-Krümmung, die entstehen, wenn massive Körper beschleunigt werden.

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Doppelsterne geben versteckte Hinweise

Unglücklicherweise erreichen uns diese Wellen erst, wenn sie schon stark abgeschwächt sind, so dass selbst unsere empfindlichsten Detektoren sie nicht messen können. Dennoch wissen wir, dass sie ausgesandt werden, weil sich die Umlaufbahn des Doppelsternsystems verändert. Insbesondere nimmt der Abstand zwischen den Neutronensternen ab, weil das System Energie verliert. Die Sterne sind zwar immer noch weit voneinander entfernt (etwa eine Million Kilometer), so dass die Verkürzung der Umlaufbahn um 3,4 Meter pro Jahr minimal ist. Dennoch kann man dies mit leistungsfähigen und präzisen Radioteleskopen feststellen und über Jahrzehnte hinweg verfolgen. 1993, fast 20 Jahre nach ihrer Entdeckung, erhielten Hulse und Taylor den Physik-Nobelpreis für diesen indirekten Nachweis der Gravitationswellen. Die Daten, die sie über viele Jahre sammelten, stimmen bestens mit den Vorhersagen von Einsteins Theorie überein. So wesentlich diese Entdeckung auch war, für Physiker ist sie noch nicht ausreichend. Wir wollen die Existenz der Gravitationswellen direkt nachweisen und ihre Eigenschaften in Experimenten unter kontrollierbaren Bedingungen messen. Weil wir aber weder ein Neutronen-Doppelsternsystem im Labor herstellen noch einen Detektor zur Strahlungsquelle ins All schicken können, bauen wir hochempfindliche Detektoren auf der Erde. Aus diesem Grund sind im Laufe der Jahre etliche Detektoren entstanden.

NASA-Simulation zur Entstehung eines schwarzen Lochs

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Lange Arme, winzige Signale

Trotz mehr als 40 Jahre experimenteller Entwicklungen und Anstrengungen ist bis heute mit Detektoren kein direkter Nachweis gelungen. Das ist nicht sehr ermutigend, aber wir kennen wenigstens zwei Gründe für das Ausbleiben des Erfolgs. Der erste ist, dass die Strahlungsquellen äußerst selten sind. Tatsächlich kennen wir nur ein halbes Dutzend Neutronen-Doppelsternsysteme unter den Milliarden Sternen unserer Galaxie. Zusätzlich ist es schwierig, ein System zu finden, in dem die Sterne nah genug beieinander sind, um starke Gravitationswellen auszusenden. Die letzten 40 Jahre der Detektorentwicklung waren jedoch nicht vergeblich, denn wir haben nun endlich die Empfindlichkeit und das theoretische Wissen erlangt, um die ersten Signale in den kommenden fünf bis sechs Jahren messen zu können.

Moderne Gravitationswellen-Detektoren sind Interferometer, welche die Überlagerung von Laserstrahlen messen. Sie werden durch zwei senkrecht zueinander stehendende Arme des Interferometers geschickt. Erreicht eine Gravitationswelle diese Arme, dehnen sie sich aus. Dadurch verändert sich auch die Laufzeit des Lichts, was zu einer Veränderung des Interferenzmusters bei der Überlagerung der beiden Laserstrahlen führt. Weil Gravitationswellen nur äußerst geringfügige Änderungen der Länge bewirken, müssen die Arme des Interferometers extrem lang sein, um einen Effekt messen zu können. Tatsächlich beträgt ihre Länge zwischen drei und vier Kilometern. Diese Art von Detektoren arbeitet an der Grenze des heute technisch Möglichen. Doch trotz dieses gewaltigen technischen Aufwands bleiben Signale der Gravitationswellen so schwach, dass sie mit dem Rauschen des Experiments vergleichbar sind. Das bedeutet, das Verhältnis vom Signal zum Rauschen liegt in der Größenordnung von eins.

Lauschen im Rauschen

Wie können die Signale dann aufgespürt werden? Der Trick beseht in der »angepassten Filterung«. Das heißt, man kann das Signal herausfiltern, wenn man vorher weiß, wie es aussehen sollte. Das ist ungefähr so wie bei einer Party: wenn Sie mit 20 Menschen in einem großen Raum stehen und alle zur gleichen Zeit sprechen. Stellen Sie sich vor, Sie können diese Menschen, die etwa gleich weit von Ihnen entfernt stehen, nur hören und nicht sehen. Nun wollen Sie wissen, ob eine bestimmte Person anwesend ist, und – falls dies der Fall ist –, was sie sagt. Das erscheint zunächst unmöglich, aber es gelingt, wenn Sie die Stimme der Person kennen und genau wissen, was sie sagen möchte. Dies ist das Kernstück der angepassten Filtertechnik. Unsere Gehirne sind darin sehr geübt (probieren Sie es bei Ihrer nächsten Party).

Die nahe liegende Frage ist nun: Woher kennen wir das Signal der Gravitationswelle, das der Detektor messen sollte? Die Antwort: Wir können es ausrechnen, indem wir Lösungen für Einsteins Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie suchen. Meine Arbeitsgruppe nutzt parallel arbeitende Supercomputer, um die Einstein’schen Gleichungen und diejenigen der relativistischen Hydrodynamik numerisch zu lösen. Auf diese Weise können wir die Dynamik der Neutronen-Doppelsternsysteme und Schwarzen Löcher reproduzieren und berechnen, wie sich ihre Umlaufbahnen verändern. Und wir können auch die Wellenformen vorhersagen, die von den modernen Detektoren gemessen werden sollten.

Simulation gewaltiger Explosionen

Diese Simulationen sind alles andere als einfach. Sie erfordern die Lösung einiger der komplexesten Gleichungen in der Natur – der Einstein’schen Gleichungen – in allgemeinster Form und ohne jede Näherung. Diese Berechnungen erfordern moderne Supercomputer wie den LOEWE-CSC in Frankfurt. Ohne hochleistungsfähige Computer wäre unsere Arbeit nicht denkbar. Über die Lösung hochkomplexer Gleichungen hinaus müssen unsere Simulationen auch die katastrophalen Ereignisse modellieren, die auftreten, wenn zwei Sterne miteinander verschmelzen. Wenn das geschieht, entstehen riesige Magnetfelder und hohe Temperaturen. Diese enorme Freisetzung von Energie könnte der Grund für eine der gewaltigsten Explosionen im Universum sein: die Gamma-Strahl-Explosion. Dazu gäbe es einiges zu sagen, aber das würde den Rahmen dieses Beitrags deutlich sprengen.

Für einen theoretischen Physiker, der in der Astrophysik arbeitet, könnte es keine bessere Zeit geben als die Gegenwart. Nach Jahrzehnten der experimentellen und theoretischen Entwicklungen sind wir jetzt nahe am ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen. Niemand weiß, wann die erste Welle gemessen wird, aber wir sind sicher, dass sie schon ausgesandt ist und sich mit Lichtgeschwindigkeit auf uns zubewegt.

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Luciano Rezzolla. Foto: Dettmar
Luciano Rezzolla. Foto: Dettmar

Der Autor: Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Jahrgang 1967, studierte Physik in Bari und Triest, Italien. Nachdem er acht Jahre Leiter einer Forschungsgruppe zur Numerischen Relativitätstheorie am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam (Albert Einstein Institute) war, nahm er 2013 den Ruf auf eine Professur für Theoretische Astrophysik an der Goethe-Universität an.

Seine Forschungsgebiete sind kompakte astrophysikalische Objekte wie Schwarze Löcher oder Neutronensterne, die er mithilfe komplexer numerischer Simulationen auf Supercomputern untersucht. 2013 erhielt er den hoch dotierten Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Luciano Rezzolla ist Autor des 2013 erschienenen Lehrbuchs »Relativistic Hydrodynamics«. rezzolla@itp.uni-frankfurt.de

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