In immer mehr Familien sind beide Eltern berufstätig. Doch wer kümmert sich um die Kinder, wenn die Kita geschlossen ist? Tagesmütter und Leihomas haben Konjunktur, doch ist dieses Feld auch für Männer attraktiv? Eine Vorstudie im Fachbereich Soziologie beschäftigt sich mit dem Phänomen „Leihopas“: In welchem Umfang gibt es sie? Was sind die Gründe für Männer, sich in reiferem Alter um Kinder zu kümmern?
Ein Forschungsprojekt im Fachbereich Soziologie an der Goethe-Universität will das herausfinden. Männer, die einen Kinderwagen schiebend durch den Park gehen: Noch vor 40 Jahren wäre dieser Anblick in Deutschland durchaus ein Hingucker gewesen. Das hat sich grundlegend geändert, dank veränderter Geschlechterrollen. Männer bringen sich heute nicht nur als Väter anders ein, sondern auch in ihrer Rolle als Großväter.
Doch was tun, wenn Enkel auf sich warten lassen? Für manch einen mag das Bedürfnis, ein Kind mit erziehen zu wollen, mit ihm zu spielen, sich mit ihm zu beschäftigen, wie es vorher nie möglich war, ein Grund sein, sich als „Leihopa“ in einer fremden Familie zu betätigen. Doch auch andere Gründe sind denkbar.
Licht in diesen bislang kaum erforschten Bereich bringen soll ein Forschungsprojekt unter der Leitung der Frankfurter Soziologieprofessorin Birgit Blättel-Mink und Alexandra Rau, Professorin für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, das vom Hessischen Wissenschaftsministerium im Zuge der Genderforschung finanziert wird. Blättel-Mink ist auch Direktorin des Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse (CGC) der Goethe-Universität.
Diplomsoziologe Luigi Wenzl (29) führt das Projekt durch und hat bereits bei den Vorrecherchen festgestellt: „Bislang gibt es keine soziologische Studie, die sich explizit mit ‚alte(rnde)n‘ Männern als Betreuungspersonen für und in Familien befasst.“ Dabei, so seine These, handele es sich um ein soziales Phänomen, das sich in Zukunft durchaus ausweiten kann. Doch in welcher Größenordnung kommt dieses Phänomen derzeit vor?
Handelt es sich vor allem um Männer, die das Empfinden haben, ihre Kompetenzen bei den eigenen Kindern nicht ausreichend realisiert zu haben, und das nun ehrenamtlich tun wollen? Oder geht es den Leihopas um die Möglichkeit, die Rente mit einem kleinen Zuverdienst aufzubessern?
Für gleich drei große soziologische Debatten der Gegenwart könnte das Thema somit relevant sein: für die Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die erzieherischen Versorgungslücken in den Familien, für die Debatte um die (Re-)Aktivierung der „jungen Alten“ für den Dienst an der Gesellschaft, und schließlich für die Debatte um prekäre Arbeitsverhältnisse, die keine ausreichende Altersvorsorge ermöglichen.
Freizeitgestalter oder Erzieher?
Für eine Datengrundlage hat Luigi Wenzl zunächst Vermittlungsinstanzen in Hessen recherchiert und bisher 28 Projekte identifizieren können, die „ehrenamtliche“ Leih- oder Wahlgroßeltern mit Familien in Kontakt bringen. Im nächsten Schritt werden vertiefende Interviews mit den ermittelten Leihopas und – zum Vergleich – mit einigen Leihomas, geführt.
„Begünstigende Faktoren für ein solches Engagement sind nach ersten Einschätzungen das Fehlen eigener Enkelkinder, ein emotionales Bindungsinteresse zu einem Kind, der Wunsch, sich durch den Kontakt zu Kindern jung zu halten und den Kindern damit zugleich die Erfahrung zu ermöglichen, mit ‚Älteren‘ in Kontakt zu treten, um so letztlich diesen auch ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben“, schließt Wenzl aus den subjektiven Selbstdarstellungen derjenigen, die er bereits befragt hat.
„Manche ältere Menschen haben auch das Gefühl, sie müssten der ‚modernen‘ Erziehung etwas entgegensetzen“, ergänzt Birgit Blättel-Mink – wobei die befragten „Leihopas“ ihre eigene Position ausschließlich als Freizeitgestalter, nicht als Erzieher hätten verstanden wissen wollen. Voneinander abweichende Auffassungen von den Aufgaben des Leihopas können freilich zu Schwierigkeiten und Spannungen führen.
Wie Eltern und Leihopas ihre unterschiedlichen Ansichten und Bedürfnisse aushandeln, auch das soll die Studie beleuchten. Sind Leihopas flexibel einsetzbar, oder verlangen sie nach einer festen Struktur? Und wo kommen sich die Bedürfnisse am besten entgegen? „Wir werden sicherlich auf unterschiedliche Typen von Leihopas stoßen:
Die einen haben das Gefühl, etwas weitergeben zu wollen, die anderen wollen Lücken in ihrem eigenen Leben kompensieren“, vermutet Blättel-Mink. Bei seinen ersten Interviews wurde Luigi Wenzl bereits klar: Oft kommen Männer erst durch ihre Partnerinnen zur Betreuung von fremden Kindern. Und manche schrecken dann doch davor zurück: In der Außenwahrnehmung habe es oft noch etwas Verdächtiges, wenn sich ältere Männer mit Kindern abgeben. Manche Projektträger bieten deshalb „Leihgroßeltern“ wie auch biologischen Großeltern einen Erfahrungsaustausch an oder sogar die Möglichkeit, einen „Großelternführerschein“ zu erwerben.