Neue Methoden zur Erforschung der Film- und Kinokultur aus Marburg, Mainz und Frankfurt.
Einst war eine Filmvorführung ein flüchtiges Ereignis, das außer schönen Erinnerungen im Gedächtnis des Publikums keine Spuren hinterließ. Heute, im Zeitalter des Streaming, setzt jeder Film einen digitalen Fußabdruck im Reich der Daten. Und nicht nur das: Der Film selbst hat sich mit der digitalen Transformation grundlegend verändert und neue Formen und Formate entwickelt. Diese Umbrüche stellen das kleine Fach Filmwissenschaft vor große Herausforderungen – und bieten zugleich neue Chancen für Forschung und Lehre. In den kommenden fünf Jahren wird ein Team aus Filmwissenschaftlerinnen und Filmwissenschaftlern der Universitäten Marburg, Mainz und Frankfurt im „Digital Cinema-Hub“ (DiCi-Hub) erforschen, wie diesen Herausforderungen und Chancen begegnet werden kann. Das Projekt wird von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Förderlinie „Weltwissen – Strukturelle Stärkung Kleiner Fächer“ mit 1 Million Euro gefördert.
Für die Filmwissenschaft stellt der Übergang zur digitalen Filmproduktion und -distribution in Verbindung mit der Emergenz digitaler Kommunikationsnetzwerke einen bedeutsamen Umbruch dar. Zunehmend erreichen Forscherinnen und Forscher ihre Gegenstände und Quellen in digitaler Datenform, oft verknüpft mit hoch entwickelten Metadaten. Auch das Internet bietet reichhaltige Datenschätze, die mit entsprechenden Werkzeugen geerntet und genutzt werden können. Bisher sind filmwissenschaftliche Daten – ihre Strukturen, Verknüpfungen und Möglichkeiten – von der Forschung wenig bearbeitet worden. Das Verbundprojekt DiCi-Hub der Universitäten Marburg, Mainz und Frankfurt will dies nun ändern.
„Um der zeitgenössischen Vielfalt der Netzwerke, Formate und Märkte von Bewegtbildern, ihrer globalen Herkunft und ihrer globalen Zirkulation angemessen Rechnung zu tragen, muss die Film- und Medienwissenschaft ihr Methodenspektrum, aber auch ihre Arbeitsweise anpassen“, so Prof. Dr. Malte Hagener von der Universität Marburg, einer der Antragsteller. Das kooperativ vorgehende Strategiekonzept zielt auf die Entwicklung neuer konzeptueller Grundlagen und Methoden für das „kleine Fach“ Filmwissenschaft: Etablierte (post-)hermeneutische Methoden sollen mit neuen digitalen Forschungsinstrumenten und Methoden verbunden werden. DiCi-Hub stellt drei Schlüsselbereiche der Filmkultur ins Zentrum – nämlich Netzwerke (Philipps-Universität Marburg), Formate (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) und Märkte (Goethe-Universität Frankfurt am Main).
„Die digitalen Tools und Methoden, die wir in enger Kooperation mit IT-Fachleuten entwickeln, werden dazu beitragen, ein neues Verständnis der Entwicklung und Dynamik von transnationalen Netzwerken der historischen und aktuellen Film- und Kinokultur zu gewinnen“, so Prof. Dr. Yvonne Zimmermann, die in Marburg zusammen mit Hagener für den Teilbereich „Netzwerke“ zuständig ist. Prof. Dr. Alexandra Schneider wird in Mainz den Teilbereich „Formate“ leiten. „Formate haben einen erheblichen Einfluss auf die ästhetischen Eigenschaften eines Films sowie wichtige Konsequenzen für die Modi des Zugangs, der Distribution aber auch für den ökologischen Fußabdruck von Medien – alles Phänomene, zu denen wir mithilfe von digitalen Methoden neue Zugänge gewinnen können“, sagt Schneider. In Frankfurt widmet sich Prof. Dr. Vinzenz Hediger dem Teilbereich Märkte. „Mit digitalen Methoden kann es uns gelingen, ein genaueres Bild von der Zirkulation von Filmen und den Präferenzen des Publikums jenseits der etablierten Institutionen wie Kinos, Festivals und Filmmuseen zu gewinnen“, sagt Hediger.
An allen drei Standorten sollen die entwickelten Methoden in die Lehre implementiert und Infrastrukturen weiterentwickelt werden. Die Universitäten arbeiten darüber hinaus im übergreifenden Modul Data Criticism/Data Literacy zum Thema Verlässlichkeit, Herkunft, Validität, Integrität und Dichte von Forschungsdaten zusammen. Dabei profitiert das Projekt von bereits bestehenden Forschungsprojekten an den drei Standorten und einschlägigen Forschungsverbünden, wie beispielsweise dem kürzlich gegründeten Marburg Center for Digital Culture and Infrastructure (MCDCI) der Philipps-Universität, das den digitalen Wandel aus geistes- und sozialwissenschaftlicher Perspektive erforscht. Die Projektleiterinnen und Projektleiter kooperieren darüber hinaus unter anderem seit 2017 im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs 2279 „Konfigurationen des Films“, dessen Doktorandinnen und Doktoranden von der Kooperation innerhalb von DiCi-Hub ebenfalls profitieren sollen.
Das Projekt wird durch die VolkswagenStiftung mit 1 Million Euro gefördert; dazu kommen Eigenleistungen der drei beteiligten Universitäten, so dass insgesamt 1,3 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Über einen Zeitraum von fünf Jahren wird ein Team aus Filmwissenschaftlerinnen und Filmwissenschaftlern mit IT-Experten Werkzeuge, Module und Tools entwickeln, die ebenso der Lehre wie der Forschung dienen sollen.
Kontakt:
Prof. Dr. Malte Hagener, Professor für Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Geschichte, Ästhetik und Theorie des Films, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg, E-Mail: hagener@uni-marburg.de
Prof. Dr. Yvonne Zimmermann, Professorin für Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Geschichte und Pragmatik visueller Medien, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg, E-Mail: yvonne.zimmermann@uni-marburg.de
Prof. Dr. Alexandra Schneider, Professorin für Filmwissenschaft mit Schwerpunkt Mediendramaturgie, Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, E-Mail: a.schneider@uni-mainz.de
Prof. Dr. Vinzenz Hediger, Professor für Filmwissenschaft, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt, E-Mail: hediger@tfm.uni-frankfurt.de