Auch wenn es sicher nicht die Regel ist, so kommt es doch in Kindergarten, Schule und Betreuungseinrichtungen immer wieder zu seelischer Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Netzwerk an der Goethe-Universität nimmt das Phänomen nun interdisziplinär in den Blick. Mit mehr als 30 Beteiligten war heute die Auftaktveranstaltung.
„Dimensionen seelischer Gewalt in pädagogischen Settings. Theoretische Bestimmungen und empirische Analysen“ – so lautet der Titel des neu gebildeten DFG-Netzwerks an der Goethe-Universität. Der Hintergrund: In pädagogischen „Settings“ kommt es häufig vor, dass Lehrkräfte oder pädagogische Fachkräften seelische Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen ausüben. Da die Erfahrung seelischer Gewalt prägend sein kann für das künftige Leben, ist es dringend erforderlich, dieses Phänomen gründlich zu erforschen. Auch die Kampagne des Kinderschutzbundes „Gewalt ist mehr als du denkst“ macht deutlich, wie aktuell und brisant das Thema ist, und zugleich, wie wenig geklärt ist, wer die Deutungshoheit darüber hat, was in pädagogischen Settings eine Form von Gewalt darstellt.
Auch in der Wissenschaft fehlen allgemeingültige theoretische Bestimmungen bislang. Im erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Diskurs wurde darüber zwar vereinzelt diskutiert, die Ergebnisse wurden jedoch noch nicht systematisch aufeinander bezogen. Das nun gegründete Netzwerk soll diese Lücke schließen helfen. Aus unterschiedlichen fachlichen Blickwinkeln sollen darin verschiedene Dimensionen des Phänomens seelische Gewalt herausgearbeitet werden, um so zu einer Theoriebildung zu gelangen. Es werden drei Schwerpunkte gebildet: 1. (Vorhandene) normative Positionierungen, 2. Formen seelischer Gewalt und 3. Professionstheoretische Perspektiven (und Einordnungen).
Das in den Erziehungswissenschaften angesiedelte Netzwerk bezieht Forscherinnen und Forscher aus der Sozialen Arbeit, der Sozialpsychologie, den Rechtswissenschaften, der Sozialphilosophie, der Sonderpädagogik, der Schulpädagogik sowie der Soziologie ein. Die Mitglieder des Netzwerks verfügen über Forschungserfahrung zu seelischer Gewalt oder verwandten Themen. Auch externe Expertise soll hinzugezogen werden, z.B. Prof. Annedore Prengel (ehemals Seniorprofessorin an der GU) sowie Dr. Dietrich Schotte (Universität Regensburg). Unter anderem in Kleingruppenarbeit werden vorhandene empirische Daten gemeinsam ausgewertet.
Das Projekt wurde GRADE anschubfinanziert und wird nun für drei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Beantrage wurde das Netzwerk von Dr. Anne Piezunka (Goethe-Universität) in Kooperation mit Prof. Dr. Sophia Richter (PH Vorarlberg) und Dr. Marlene Kowalski. Prof. Sabine Andresen, Erziehungswissenschaftlerin an der Goethe-Universität und Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes, hat die inhaltliche Mentorenschaft inne.