Mit einer öffentlichen Veranstaltung in der Goethe-Universität startet der neue LOEWE-Schwerpunkt „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ in der kommenden Woche offiziell seine Forschungsarbeit. Zwei prominente Persönlichkeiten konnten die Organisatoren für ein Gespräch über „Religion und religiöse Differenz in pluraler Gesellschaft“ an der Goethe-Universität gewinnen: Dr. Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller und habilitierter Orientalist, und Prof. Dr. Jan Assmann, Ägyptologe und Kulturwissenschaftler, Emeritus der Universität Heidelberg. Es findet statt am 28. Juni (Mittwoch) um 18.15 Uhr im Hörsaalzentrum, HZ 1, Campus Westend.
Nach der Vorstellung des Forschungsschwerpunkts durch Prof. Dr. Christian Wiese, Sprecher des vom Land Hessen geförderten Forschungsverbunds und Inhaber der Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie, wird zunächst Isaak Dentler, Schauspiel Frankfurt, das Kapitel „Licht“‘ aus Kermanis Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ lesen. Das Gespräch zwischen Assmann und Kermani moderiert Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des „Haus am Dom“ und Mitglied des Beirats im LOEWE-Schwerpunkt.
Kermani, der 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, war schon mehrmals zu Gast an der Goethe-Universität, u.a. hielt er 2010 die viel beachtete Poetik-Vorlesung. Der Orientalist kritisiert einen mit der „kompletten Verdrängung des Religiösen“ einhergehenden „religiösen Analphabetismus“, der zu einer „grundlegenden Verarmung der Gesellschaft“ führe. Religiöse Toleranz und Religionsfreiheit benennt er als bedeutsame europäische Werte und fordert, im Sinne der Aufklärung, Achtung vor dem Glauben und der Weltanschauung anderer. Assmann, der sich insbesondere als Ägyptologe einen Namen gemacht hat, ist unter anderem durch Arbeiten zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses hervorgetreten. Er hat mit seinen Reflexionen über die „mosaische Unterscheidung“ zwischen wahr und falsch wichtige Debatten über das Verhältnis von Monotheismus und Gewalt sowie über die Pluralismusfähigkeit der monotheistischen Religionen ausgelöst.
Der LOEWE-Schwerpunkt
„Aktuelle Debatten über die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen der Zuwanderung von Geflüchteten zeigen, dass sich Einwanderungsgesellschaften künftig auf ein weit höheres Maß an religiös-kultureller Pluralisierung und dadurch ausgelösten Ängsten und Konflikten einstellen müssen“, so der Sprecher des Forschungsverbundes, Christian Wiese. Und hier setzen die Forscherinnen und Forscher mit ihrem interdisziplinären und interreligiösen Konzept an: Sie untersuchen den Umgang der großen monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – mit religiöser Vielfalt und Differenz in Vergangenheit und Gegenwart. Dazu noch einmal Wiese: „Während andere interreligiöse Pluralismus- oder Dialogkonzepte zum Teil auf eine konsensorientierte, harmonisierende Überwindung von Gegensätzen zielen, wählen wir eine andere Perspektive: Wir gehen davon aus, dass Religionen grundsätzlich positionell und somit konflikthaft, deshalb aber nicht zwangsläufig pluralismusunfähig sind, sondern Differenzen ernst nehmen und zu achten vermögen.“
Das Projekt wird vom Land Hessen mit einer Summe von knapp 4,5 Millionen Euro gefördert, der Förderzeitraum reicht von 2017 bis 2020. Federführende Institution ist die Goethe-Universität, sie kooperiert mit der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Die Kooperation zwischen den beiden Universitäten in Frankfurt und Gießen leistet schon seit einigen Jahren einen innovativen Beitrag zu Fragen von Religion und Gesellschaft, religiöser Differenz und Interreligiösität sowie Migration und Integration. Darauf gilt es jetzt aufzubauen“, sagt Prof. Dr. Roderich Barth, Mitantragssteller aus Gießen und inzwischen Professor an der Universität Leipzig. Der Fachbereich Evangelische Theologie an der Goethe-Uni ist bereits mit dem Institut für Theologie an der Justus-Liebig-Universität eng verbunden; gemeinsam werden auch nichtkonfessionelle religionswissenschaftliche und –philosophische Studiengänge angeboten, die programmatisch auf die Thematik religiöser Vielfalt ausgerichtet sind. Ferner hat das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Land Hessen geförderte Zentrum für Islamische Studien Frankfurt/Gießen in den vergangenen Jahren eine führende Rolle im Bereich einer modernen islamisch-theologischen Wissenschaft eingenommen. Alle beteiligten Disziplinen, darunter auch die Jüdischen Studien und die beim Exzellenzcluster „Normative Orders“ angesiedelten Projekte, werden die Mitwirkung an dem Forschungsschwerpunkt auch dazu nutzen, um bestehende internationale Kooperationen auszubauen und neue zu initiieren.
Inzwischen haben – neben der Koordinatorin Dr. Nina Fischer – zehn Postdocs und sechs Promovierende aus Deutschland, Israel, Syrien und den USA ihre interdisziplinäre Arbeit an 13 Teilprojekten aus der Theologie, Religionswissenschaft, Ethnologie, Soziologie und Judaistik sowie den Islamischen Studien und den Erziehungswissenschaften aufgenommen. Sie werden nicht nur ihre Forschungsergebnisse publizieren, sondern darüber hinaus eine Vielzahl von Konferenzen und Workshops durchführen und insbesondere Veranstaltungen und Gesprächsforen zu gesellschaftlich aktuellen Themen mit anderen Bildungseinrichtungen in der Stadt Frankfurt und in der Region initiieren. Die Zusammenarbeit mit dem Forschungskolleg Humanwissenschaften in Bad Homburg ermöglicht es zudem, zeitweise Fellows aus dem In- und Ausland einzuladen, die das Themenspektrum des Forschungsschwerpunkts über die beteiligten Teilprojekte hinaus bereichern werden.
Quelle: Pressemitteilung vom 21. Juni 2017