Unbekannte Helfer des Bodens: Wie wirbellose Tiere den Zersetzungsprozess von Pflanzen unterstützen

Wenn Pflanzen oder Teile von ihnen absterben, tragen Milliarden kleiner Lebewesen dazu bei, dieses organische Material abzubauen. Doch nicht nur Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze sind am Zersetzungsprozess beteiligt, sondern auch einige wirbellose Tiere. Welche Voraussetzungen ihr Erbgut dafür bereithält, untersuchte nun ein Team von Forscher*innen des hessischen LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), der Goethe-Universität Frankfurt und weiterer Institutionen. Ihre Erkenntnisse tragen dazu bei, bessere Vorhersagen über den Kohlenstoff- und Nährstoffkreislauf im Boden zu treffen.

Kleine, wirbellose Bodentiere wie Springschwänze (hier Disparrhopalites patrizi) bauen organische Substanzen ab. Neue genomische Analysen geben Hinweise darauf, dass dazu auch Zellulose, der Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände, zählen könnte.
Foto: Andy Murray, chaosofdelight.org

Sie leben in Heerscharen im Erdboden und sind durch eine Vielzahl von Arten vertreten: mikroskopisch kleine, wirbellose Bodentiere wie zum Beispiel Springschwänze und Hornmilben. Sie bauen organische Substanzen ab und setzen Nährstoffe für die Pflanzen frei. In einer Studie haben Forscher*innen nun entdeckt, dass ein weit größerer als bisher angenommener Anteil ihrer Arten auch direkt am Abbau von abgestorbenem Pflanzenmaterial beteiligt sein könnte. Diese Fähigkeit wurde bislang vor allem Bakterien und Pilzen zugeschrieben. Denn um Zellulose, den Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände, zu zersetzen, müssen die Organismen bestimmte Enzyme herstellen können.

Bei detaillierten Genomanalysen unterschiedlicher Arten von Springschwänzen (Collembola) und Hornmilben (Oribatida) wiesen die Forscher*innen in den meisten Arten exemplarisch ein Gen nach, das ihnen die Herstellung eines dieser speziellen Enzyme ermöglicht. Es gehört zu den sogenannten Glycosidhydrolasen, die für den Abbau komplexer Zuckermoleküle in einfachere Bestandteile verwendet werden. Auch Zellulose ist solch ein Vielfachzucker. Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen 232 Arten von wirbellosen Bodentieren. Eine umfangreiche Ressource bot dafür das am LOEWE-Zentrum TBG angesiedelte Projekt „Metagenomic monitoring of soil communities (MetaInvert)“, das genomische Daten zu diesen bisher wenig erforschten Organismen bereitstellt.

„Neue genomische Analysemethoden verhelfen uns zu wichtigen Erkenntnissen über diese artenreiche Tiergruppe, die aufgrund ihrer kleinen Größe und enormen Vielfalt schwer zu erfassen ist”, berichtet Co-Studienleiter Ingo Ebersberger, Professor für Angewandte Bioinformatik am Fachbereich Biowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied des LOEWE-Zentrums TBG. „Mithilfe bioinformatischer Analysen konnten wir alle Proben auf das gesuchte Gen prüfen, das die Tiere zur Zellulose-Aufspaltung befähigt.“ Zum Erfolg der Studie hat maßgeblich eine neue Software beigetragen, die von Ebersbergers Doktorandin und Studien-Erstautorin Hannah Mülbaier entwickelt wurde und es ermöglicht, gezielt und sehr präzise nach bestimmten Genen in Genomen zu suchen. „Neu ist dabei, dass mit dieser Software ein sehr komplexer sowie zeit- und arbeitsintensiver Schritt entbehrlich wird: die Vorhersage aller Gene in einem Genom. Stattdessen können wir nun direkt in einer Genomsequenz nach unseren Kandidatengenen suchen“, so Ebersberger.

Die neuen Erkenntnisse wirken sich entsprechend auf das Verständnis der Nahrungsnetze und des Kohlenstoffkreislaufs im Boden aus. Daher plädieren die Studienautoren dafür, wirbellose Bodentiere neben Bakterien und Pilzen als eine dritte evolutionär und ökologisch eigenständige Gruppe mit der Fähigkeit zur Spaltung von Zellulose zu betrachten. Besonders wichtig sei dies, da diese Tiere anders auf Umweltveränderungen reagieren als Mikroorganismen und sich dadurch die Prozesse der Zersetzung verändern könnten. Daher seien die Daten auch für die Berechnung von Modellen von großer Bedeutung, die Vorhersagen zur Entwicklung von Ökosystemen sowie Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufen treffen.

Publikation: Hannah Muelbaier, Freya Arthen, Gemma Collins, Thomas Hickler, Karin Hohberg, Ricarda Lehmitz, Yannick Pauchet, Markus Pfenninger, Anton Potapov, Juliane Romahn, Ina Schaefer, Stefan Scheu, Clément Schneider, Ingo Ebersberger, Miklós Bálint. Genomic evidence for the widespread presence of GH45 cellulases among soil invertebrates. Molecular Ecology (2024) https://doi.org/10.1111/mec.17351

Quelle: www.senckenberg.de/de/pressemeldungen/wie-wirbellose-tiere-den-zersetzungsprozess-von-pflanzen-unterstuetzen/

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