Universitätsbibliothek forscht nach der Herkunft der Bücher

Problemlos zuzuordnen sind Bücher mit dem Stempel des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Dessen Bibliothek war 1933 beschlagnahmt und über mehrere Bibliotheken in Deutschland verteilt worden, unter anderem auch an die Universitätsbibliothek. (Foto: Nüchter)

Welche Bücher befinden sich zu Unrecht in den Magazinen der Unibibliothek? In einem umfangreichen Projekt wird die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg der Goethe-Universität ihre Altbestände daraufhin überprüfen, ob sich darunter Raubgut aus dem vormaligen Besitz von Verfolgten des NS-Regimes befindet. Kooperationspartner sind die Stadt Frankfurt am Main und die Senckenbergische Gesellschaft für Naturforschung, die als Eigentümer und Dauerleihgeber für einen beträchtlichen Teil der UB-Bestände verantwortlich sind. Die aufwändige Arbeit wird möglich durch Fördergelder vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. 

 „Eine Universitätsbibliothek sollte keine zu Unrecht erworbenen Werke in ihren Beständen haben. Das widerspräche dem Ethos von Forschung und Lehre, dem wir uns verpflichtet fühlen“, sagt Prof. Dr. Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität. „Mit den bewilligten Mitteln können wir uns zunächst einen Überblick verschaffen und in die erste Phase der Aufarbeitung treten“, sagt Wolff. Das Präsidium habe sich besonders für den Antrag beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg stark gemacht. Mit dessen wichtiger Mission fühlt sich Wolff auch noch aus ihrer Zeit als damals dafür zuständige Kultusministerin von Sachsen-Anhalt sehr verbunden. 

Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig: „Frankfurt hat mit der gemeinsamen Museumsinitiative ‚Gekauft. Gesammelt. Geraubt?‘ 2018 einen wichtigen Aufschlag auf dem Gebiet der Provenienzforschung geleistet. Diesen Weg gilt es konsequent weiterzugehen und alle Objekte in den städtischen Instituten einer kritischen Revision zu unterziehen. Was für die Frankfurter Museen gilt, muss auch für die Bestände der ehemaligen Stadtbibliothek gelten: keine städtische Sammlung darf sich im 21. Jahrhundert noch mit Objekten schmücken, die ihren Eigentümern geraubt oder unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung abgepresst worden sind.“ 

265.000 Euro sind vom Zentrum Kulturgutverluste genehmigt worden, hinzu kommen Eigenmittel der UB und Zuschüsse der Stadt Frankfurt, so dass für das Projekt insgesamt 333.000 Euro zur Verfügung stehen. Damit können zwei wissenschaftliche Mitarbeiterstellen finanziert werden sowie studentische Hilfskräfte. In den nächsten beiden Jahren steht der Altbestand in der Zentralbibliothek der Universitätsbibliothek im Fokus, und zwar die Bestände der Erscheinungsjahre bis 1945. Stichproben haben bereits mehrere Verdachtsfälle ergeben, etwa durch Indizien wie den handschriftlichen Namenszug einer jüdischen Wissenschaftlerin oder das Ex Libris einer jüdischen Krankenschwester. Diese Bücher gehören seit vielen Jahrzehnten zum Bestand – doch woher kamen sie? Darüber soll das jetzt bewilligte Projekt Aufschluss geben. 

Bereits in den 1950er Jahren waren Bände aus verschiedenen Teilbibliotheken der damaligen Stadt- und Universitätsbibliothek an das Institut für Sozialforschung zurückgegeben (restituiert) worden. Das Institut war von den Nationalsozialisten geschlossen, die Bücher in unterschiedliche Hände übergeben worden. Eine kontinuierliche Suche nach belasteten Beständen parallel zum Alltagsbetrieb hat sich jedoch als schwierig erwiesen. Im neuen Jahrtausend kam jedoch Bewegung in die Sache. „Schon dem früheren Direktor der Universitätsbibliothek Dr. Heiner Schnelling war es ein besonders wichtiges Anliegen, den Bestand auf eine etwaige NS-Belastung zu untersuchen“, sagt Dr. Mathias Jehn, der in der Universitätsbibliothek die Abteilung Bestandserhaltung und Digitalisierung leitet. Bei zwei unabhängigen Historikern hatte das Fritz-Bauer-Institut an der Goethe-Universität 2014 ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sie sollten herausfinden, ob sich eine vertiefte Provenienzforschung lohnen würde. Die Antwort war eindeutig: Ja, denn es wurden einige Indizien gefunden.  

Insgesamt rund 79.000 Bände sollen in den zunächst zwei Jahren der Projektförderung durchgesehen werden, dabei wird man sich auf die Zentralbibliothek in Bockenheim konzentrieren. Es geht um die Bücher, die zwischen 1942 und 1945 in den Bestand aufgenommen wurden, sowie die Bände mit der Signatur 00. Ein Großteil davon stammt aus dem Offenbach Archival Depot, das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern eingerichtet worden war, um Raubgut an die Besitzer zurückzugeben. Bei vielen Exemplaren war das damals nicht möglich, weil man die Herkunft nicht genau ermitteln konnte. Und so wurden die Restbestände an verschiedene Bibliotheken verteilt. „Heute haben wir ganz andere Recherchemöglichkeiten“, sagt Maria Nüchter, die als Bibliotheks-Referendarin in der UB arbeitet und als Projektmitarbeiterin in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart bereits Erfahrung in der Provenienzforschung gesammelt hat. Über das Internet seien zahlreiche Datenbanken verfügbar, in denen man Hinweise auf Vorbesitzer finden könne. Wenn kein Eigentumsvermerk in Form eines Stempels, eines Exlibris-Aufklebers oder einer handschriftlichen Eintragung vorhanden ist, wird es allerdings schwierig: „Bücher sind ja keine Unikate wie Kunstwerke, die eindeutig zugeordnet werden können“, sagt Nüchter. Dann bleibe nur, die Bücher in die Datenbank „Lost Art“ beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste einzutragen, um auf diese Weise ein wenig Gerechtigkeit herzustellen – und vielleicht doch noch den rechtmäßigen Eigentümer zu finden. 

Insgesamt rund 2,87 Millionen Euro hat der Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg auf Empfehlung des Förderbeirates „NS-Raubgut“ in der ersten Antragsrunde 2020 zur Verfügung gestellt, damit Museen, Bibliotheken, wissenschaftliche Einrichtungen, aber auch Privatpersonen der Herkunft ihrer Objekte auf den Grund gehen können. Seit 2008 fördern Bund und Länder Projekte zur Provenienzforschung, bis heute wurden dafür 34,7 Millionen Euro für 358 Projekte ausgegeben. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Rückgabe gibt es in Deutschland nicht, allerdings hat sich auch die Bundesrepublik im Rahmen der Washingtoner Erklärung dazu verpflichtet.

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