Prof. Harald Schwalbe leitete ein internationales Konsortium zur Forschung an SARS-CoV-2. Jetzt wurde es trotz seiner guten Ergebnisse aufgelöst – damit aus Substanzkandidaten Wirkstoffe werden können.
UniReport: Herr Prof. Schwalbe, als Deutschland im März 2020 wegen des Corona-Lockdowns stillstand, starteten Sie ein großes Forschungsprojekt zu SARS-CoV-2 und riefen das COVID-19-NMRKonsortium ins Leben. Die zwischenzeitlich rund 240 beteiligten Forscherinnen und Forscher aus 18 Ländern wollten mit Hilfe der Kernspin-Resonanz-Spektroskopie (NMR) Strukturen des Virus aufklären und damit bestimmen, wie Atome und Moleküle in den Proteinen und im RNA-Erbgut des Virus angeordnet sind. Warum ist es wichtig, das zu wissen?
Harald Schwalbe: Wenn man die Struktur des Erregers in allen Details kennt, kann man versuchen, sehr gezielt Moleküle zu finden, die an entscheidenden Stellen der SARS-CoV-2-Proteine oder der Virusgenom-RNA binden und dadurch die Vermehrung des Virus stoppen. Das Virus ist vergleichsweise klein: Es hat nur 27 Proteine und 15 relevante RNA-Abschnitte, die das Infektionsgeschehen steuern. Unser Konsortium hatte sich vorgenommen, zunächst die RNAs sowie die Proteine aufzureinigen und ihre Strukturen über NMR zu bestimmen und dann Substanzbanken kleiner Moleküle danach zu durchsuchen, welche von ihnen an welche Substrukturen der viralen RNAs oder Proteine binden.
As soon as the pandemic hit, researchers worldwide started working intensively on SARS-CoV-2. However, their desire for rapid successes in drug development led most of them to focus on important proteins such as the spike protein or an enzyme called main protease, which is central to the maturation of virus particles in the cell and against which the drug Paxlovir was successfully developed. Why did you want to examine all RNAs and all proteins at once in the consortium?
Since the beginning of 2022, a total of 2,781 SARS-CoV-2 proteins and more than 60 RNA-protein complexes have been structurally characterized worldwide, mostly using crystallography or high-resolution cryo-electron tomography. That notwithstanding, a tremendous amount of this data is in fact redundant: 900 of the studies focused on the spike protein and 500 on the main protease. In setting up the NMR consortium, not only did we want to avoid such redundancy. We were also able to standardize the preparation of RNAs and viruses in laboratories worldwide, as a result of which the quality of the data and the comparability of the data sets are much higher than if each lab did more or less the same, with slight aberrations. Compared to cryo-electron tomography and crystallography, another advantage of NMR is that it can be used to characterize proteins that dynamically assume different structures. RNA structures in particular, which the virus uses to control its replication, can only be imaged using NMR. And RNA research is precisely what we here in Frankfurt specialize in: since 2000, we have been working in collaborative research centers to study RNAs. The subject of mRNA, which used to be considered niche research, is now on everyone's lips.
Has the COVID-19-NMR consortium achieved its goals?
Ja, heute habe wir 22 Proteine der 27 SARS-CoV-2-Proteine – fünf hatten wir von vorneherein aus technischen Gründen ausgeschlossen – und alle RNA-Steuerungselemente zugänglich gemacht. Außerdem haben wir eine ganze Reihe an kleinen Molekülen als potenzielle Bindungspartner identifiziert. Viele Kolleginnen und Kollegen haben gesagt: „Aber wir wissen doch, dass das Virus über das Spike-Protein in die Zelle eindringt, und dass die Blockade der Hauptprotease die Virusvermehrung stoppt. Warum fokussiert Ihr Euch nicht auf diese und die wenigen anderen Proteine, die für die Virusinfektion relevant sind?“ Wir haben dagegengehalten, dass wir bislang nicht verstehen, warum zum Beispiel SARSCoV- 2 jetzt weltweit ein viel größeres Problem ist, als es SARS-CoV vor einigen Jahren war. Und dass als Nächstes vielleicht ein Virus namens SARS-CoV-3 kommt. Wir waren daher überzeugt, dass es sich lohnt, SARS-CoV-2 so genau wie möglich anzuschauen. Denn welche Proteine und RNASteuerelemente bei künftigen Mutationen oder neuen, ähnlichen Virusarten relevant sein werden, wissen wir heute noch nicht.
When you started in 2020, tough contact restrictions were still in place. How can you conduct research under such circumstances?
Wir haben in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet: Montagmorgen um 7.30 Uhr haben die ersten beiden Forschenden im Labor angefangen, gearbeitet bis 14.00 Uhr und dann das Labor desinfiziert. Um 14.30 Uhr kam die zweite Schicht rein bis 22.00 Uhr, dann wurde wieder desinfiziert und anschließend startete die Nachtschicht. Mit 30 Leuten konnten wir so alle zwei Wochen vier neue RNA-Proben sauber herstellen, die dann im NMR-Spektrometer vermessen wurden, von anderen in einem zweiten Schichtverfahren. Die NMR-Daten wurden dann in weltweiten Teams digital analysiert. Das war ein Arbeiten wie am Fließband und hat wegen unseres standardisierten Vorgehens hohe Anforderung an die Disziplin gestellt. Funktionieren konnte das nur, weil alle im Team hier in Frankfurt und bei unseren Partnern in Darmstadt extrem motiviert waren. Doch es war auch die Zeit, wo die Alternative darin bestand, zu Hause zu sitzen und sämtliche Netflix-Serien durchzuschauen. Alle, die ich gefragt habe, waren total dankbar, dass sie arbeiten konnten und haben auch die ethische Verantwortung gespürt.
Although it was very successful, the consortium has now been disbanded. Why?
A new phase is beginning: we are no longer working on all proteins and RNAs at the same time, but focusing on individual proteins or RNA segments instead. Such work no longer requires a large group. We have made the consortium's entire work accessible to all global research groups as open source on the webpage www.covid19-nmr.de, and continue to build on this knowledge. Together with our cooperation partners in Marburg and Munich as well as our partners from industry, we have succeeded in Frankfurt to synthesize two molecules that very successfully inhibit the replication of SARS-CoV-2 in cell culture. We have patented these compounds so they may one day become antiviral drugs that a company can produce and sell. If the substances should ever enter clinical research, the clinical approval phases in patients will have to be financed – requiring a lot of money, which only someone who can make a profit from a finished drug will invest.
So, we actually need small groups and “scientific lone wolves” just as much as publishing consortia in open source?
Ja, und das betrifft nicht nur Patente und die Entwicklung von Wirkstoffen, sondern auch die wissenschaftliche Karrie- re. Vor allem in der Grundlagenforschung sind Publikationen mit möglichst wenig Autoren wichtig, damit jemand zeigen kann: Das habe ich erreicht, das qualifiziert mich zum Beispiel für eine Professur. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, wo wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sozusagen kampagnenfähig sein und eine ganze andere Art von Forschung machen müssen, arbeitsteilig und standardisiert. Hier müssen wir in Deutschland noch schneller werden, um Ressourcen kurzfristig bündeln zu können. Dabei sehe ich die Art, wie große gesellschaftliche Herausforderungen identifiziert werden, durchaus kritisch. Die entsprechenden Forschungsfelder erhalten üppige Finanzierungen, wohinter auch viel Lobbying steckt. Das führt zu Fehlentscheidungen der politischen Entscheidungsträger, die Virologie Jahrzehnte lang als wenig relevant einstuften.
What will happen next?
First of all, we are grateful for having had the ability to experience within the NRM consortium a previously unknown international sense of solidarity among the scientific community in the context of the coronavirus. Given that Europe’s borders have been closed, this is not a matter of course. There are many areas where we as scientists have delivered outstanding results, even if we are still a long way from achieving our goal. After all, we are only now in a position to develop targeted antiviral drugs – which incidentally is precisely what we are doing as part of a lead project run by the Federal Agency for Disruptive Innovation, where we are developing antiviral innovative agents against SARS-CoV-2 RNA together with our Goethe University colleague Prof. Sandra Ciesek as well as many other colleagues from Marburg and Munich.
Die Fragen stellte Markus Bernards.