Die Politologin Cornelia Woll übernimmt im Wintersemester die Alfred-Grosser-Gastprofessur für Bürgergesellschaftsforschung.
Prof. Dr. Cornelia Woll ist Professorin für Politikwissenschaft am Centre d’études européennes an der Université Sciences Po in Paris. Bis vor Kurzem bekleidete sie dort das Amt der Vizepräsidentin für Studium und akademische Angelegenheiten. Von 2008 bis 2012 war sie stellvertretende Dekanin für Forschung an der Sciences Po.
UniReport: Frau Professor Woll, ist es eigentlich schwierig, Gesellschaftswissenschaft und Ökonomie in einem Forschungsfeld zusammenzubringen? Sehen viele nicht eine Kluft, wenn nicht gar einen Widerspruch zwischen beiden Sphären?
Prof. Cornelia Woll: Als Politikwissenschaftlerin geht es mir um die Wirtschaft als Objekt, diese analysiere ich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Das mag heutzutage ungewöhnlich erscheinen. Die Trennung zwischen Gesellschaftsund Wirtschaftswissenschaften wurde allerdings erst im letzten Jahrhundert vollzogen und ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Man kann ökonomische Entwicklung nicht verstehen, wenn man nicht hinterfragt, wer dort überhaupt wirtschaftet und Entscheidungen fällen muss – Personen, Staaten, Unternehmen –, und auf welchem Niveau diese Prozesse beeinflusst und gesteuert werden – lokal, national, international.
Mit diesen gesellschaftlichen und politischen Dynamiken haben sich die Klassiker aller Denkrichtungen beschäftigt: Smith, Marx, Weber, später auch Hayek und Keynes. Das Thema beschäftigt auch heute noch Fächer über die Wirtschaftswissenschaften hinaus: Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichts- und Rechtswissenschaften, Psychologie und Philosophie. Es besteht allerdings tatsächlich eine Spannung zwischen der Sphäre Wirtschaft und der Sphäre Gesellschaft: In der ersten stehen Gewinn und Wachstum im Mittelpunkt, in der letzteren die Kohäsion, der Zusammenhalt. Wie man beides in Einklang bringt, ist Aufgabe der Politik und daher eine genuin politikwissenschaftliche Frage.
Kann man daraus ableiten, dass die Ökonomie, zumindest so, wie sie gelehrt wird, zu wenig den Blick „von außen“, also den kritischen Blick auf Wirtschaft wagt?
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass der interdisziplinäre Blick sehr wichtig ist. Das wird immer mehr anerkannt, auch in den Wirtschaftswissenschaften. Natürlich ist es so, dass jedes Feld, wenn es erst einmal definiert ist, sich auch verteidigen muss, und daraus entstehen Grabenkämpfe. Ich habe durch meine wissenschaftliche Tätigkeit in verschiedenen Ländern, insbesondere in den USA und in Frankreich, deutlich gemerkt, dass jede Fachrichtung auch ganz anders ausgerichtet sein kann. Nur ein Beispiel: Mein Fach, die Politikwissenschaften, ist in Frankreich immer noch stark vom Öffentlichen Recht und der Soziologie geprägt, viel stärker als in Deutschland.
Die ökonomische Bildung ist in Deutschland eher mangelhaft, beklagen viele. Wären Sie für ein eigenes Fach „Wirtschaft“ an Schulen, oder sollte ökonomisches Wissen immer in Verbindung mit sozialwissenschaftlichen Fragen behandelt werden?
Ich glaube nicht, dass wir uns ein wirtschaftliches Einheitswissen wünschen sollten und damit schon in den Schulen anfangen müssten. Wirtschaft ist sowohl ein Studienobjekt als auch eine analytische Sprache, mit der man die Realität vereinfachen kann. Seit der Finanzkrise hat die Vermittlung der Sprache in den universitären Einführungsveranstaltungen an Bedeutung verloren, hingegen ist das Studienobjekt in den Vordergrund gerückt. Beispielhaft für den Versuch, mehr über das Objekt Wirtschaft zu sprechen, ist ein internationales Projekt zur Reform der Lehre mit dem Namen „Core Economics“; der Untertitel lautet „as if the last thirty years had happened“. Es hat einen starken empirischen Bezug: Zuerst wird geschaut, was es mit der Wirtschaft auf sich hat, danach erfolgt erst die Spezialisierung auf die analytische Sprache. Das halte ich für einen guten Ansatz.
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Der öffentliche Vortrag von Prof. Cornelia Woll Der Staat und die Banken im krisengeprüften Europa findet am 21. Januar 2019 statt. 19.00 Uhr, Hörsaalzentrum HZ8, Campus Westend.
Das internationale Programm Alfred-Grosser-Gastprofessur für Bürgergesellschaftsforschung wurde 2009 am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität angesiedelt.
Namensgeber ist der 1925 in Frankfurt geborene Publizist, Politologe und Soziologe Alfred Grosser. Gestiftet wurde die Professur auf Anregung der Deutsch-Französischen Gesellschaft von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.
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Sie haben sich unter anderem mit dem „Umgang mit Instabilität in Marktgesellschaften“ beschäftigt. Die Finanz- und Staatsschuldenkrise hat doch für große Unsicherheit in vielen Ländern Europas gesorgt und wohl nicht nur das Vertrauen in Banken, sondern auch in Regierungen und Institutionen erschüttert.
Wir erleben momentan eine Krise der modernen Wirtschaftsordnung: Die Nachkriegsordnung, die von sozialdemokratischen Staaten gemanagt wurde, ist einer internationalen integrierten Wirtschaftsordnung gewichen, die von einem rapiden Wachstum des Finanzsektors gekennzeichnet ist. Schwindendes Wirtschaftswachstum wurde durch staatliche und private Verschuldung kompensiert. Damit sind Staaten und Haushalte von den Schwankungen der Finanzmärkte deutlich stärker abhängig. Die politische Kontrolle über diese integrierte Wirtschaft ist aber sehr eingeschränkt: Kein Land oder keine Institution kann sie alleine steuern.
Die Finanzkrise hat diese Ohnmacht zur Schau gestellt. Auch wenn Regierungen beträchtliche Mittel aufbrachten, konnten sie in diesem Moment nur versuchen, die Finanzmärkte zu stützen. Das war mit Sicherheit im öffentlichen Interesse, hatte aber enorme wirtschaftliche Konsequenzen und Verteilungseffekte. Als Expertin für Lobbying bin ich davon ausgegangen, dass die Finanzinstitute über ihr Lobbying erfolgreich waren, staatliche Hilfe zu erhalten. Was ich aber feststellen musste, war, dass ihre Rettung im Prinzip nichts mit Lobbying zu tun hatte. Es lag schlicht daran, dass das gesamte Wirtschaftsleben an dem Überleben dieser Institute hing. Deshalb mussten sie in dem Moment einfach gestützt werden! Es gibt kein Land, das während einer Bankenkrise seine Banken ungeordnet bankrott gehen ließ. Daher bin ich zu einer Analyse übergegangen, die sich für die verschiedenen Handlungsvarianten interessiert: Wie rettet man die Banken? Gibt es Formen, in denen Banken sich gegenseitig stützen, oder wird das komplett vom Staat übernommen? Wann hat die Regierung überhaupt noch Handlungsmacht?
Die traurige Konsequenz ist, dass alles, was gemacht wird, auch wenn es letztendlich der Gesellschaft nützt, extreme Verteilungsungerechtigkeiten erzeugt. Sowohl die in der Wirtschaftstheorie gedachte Sanktion von Fehlverhalten durch Bankrott blieb aus als auch in vielen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung. Bei den Bürgern entstand nicht zuletzt durch das Krisenmanagement das Gefühl, dass ihre Regierungen sie nicht mehr schützen können oder wollen. Das erklärt in weiten Teilen das Anti-System Wahlverhalten, das wir zurzeit in vielen Ländern beobachten können.
Die Welt schaute in den letzten Monaten in Richtung USA. Sie kennen das Land gut von Ihren Forschungsaufenthalten dort. Wie sehen Sie den Ausgang der Midterms? Gibt es auch spezifisch ökonomische Gründe für den Wahlausgang?
Ja, ganz grundlegend! Für mich hat die Politik Trumps und zuvor der Erfolg der Tea Party mit wirtschaftlichen Fragen zu tun: Wer gehört zum System und wer ist vom System ausgeschlossen? Man hat bei den letzten Präsidentschaftswahlen viel von der Kohleindustrie und vom Rust Belt, von den zusammengebrochenen Industrien im Norden der USA, gesprochen. Hier geht es um wirtschaftliche Verlierer, die eine Politik suchten, die sie schützt, und das hat Trump benutzt, um zu sagen: Ich werde Euch verteidigen und Amerika wieder nach vorne bringen! Das heißt, sich aus der integrierten Wirtschaftsordnung zurückzuziehen und sich erstmal um sich selbst zu kümmern: America first!
Dies ist die Reaktion auf eine Wirtschaftsordnung, in der einzelne Staaten gar nicht mehr die Macht haben, Prozesse zu steuern, die über ihre Grenzen hinausgehen. Trump führt sein Land aus einer Weltordnung, die die Amerikaner überhaupt erst aufgebaut haben. Aus europäischer Perspektive wird immer wieder behauptet, Trump sei „unpresidential“, sein Verhalten sei aus seinen Charaktereigenschaften abzuleiten. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist er aber ein Anti-System-Phänomen. Dabei steht nicht mehr wie in früheren Zeiten die Konsenspolitik im Vordergrund. Nun wird das System selber herausgefordert. Die Ergebnisse der Midterm-Wahlen kann man sicherlich unterschiedlich interpretieren: als Erfolg oder Abstrafung Trumps, aber ich kann nur feststellen, dass die Abstrafung nur in der Höhe stattgefunden hat, wie auch bei anderen Präsidenten in ihrer ersten Amtszeit. Trump hat immer noch eine recht breite Unterstützung, und die kann man ohne die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft zu Fragen der internationalen Wirtschaftsordnung nicht verstehen.
Können Sie schon etwas über Ihren Vortrag „Der Staat und die Banken im krisengeprüften Europa“ sagen, den Sie in Frankfurt halten werden?
Darin werde ich die Frage verfolgen: Welche Kontrolle haben Regierungen noch über Banken in international integrierten Finanzmärkten, was haben wir aus der Ohnmachtserfahrung der Finanzkrise gelernt? Insbesondere interessiere ich mich für die Sanktionsmechanismen. Es ist wiederholt die Frage gestellt worden: Warum sitzt kein Wall-Street-Banker im Gefängnis? Wir haben nämlich nach der Finanzkrise einen Trend erlebt: Anstelle einer strafrechtlichen Sanktionierung kam es zu einer verhandelten Geldsanktionierung. Eine interessante Entwicklung, die es vorher im Finanzsektor nicht gab. Ich möchte herausarbeiten, wie diese Verschiebung von Sanktionsmechanismen dann wiederum Anreizstrukturen schafft, die Aufschluss darüber geben, ob sich die Krise so wieder ereignen kann oder ob wir besser gewappnet sind als beim letzten Mal.
[Die Fragen stellte Dirk Frank]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »