10 Jahre mit »Fukushima«: Japanologin Lisette Gebhardt über den Umgang mit der »Dreifachkatastrophe«

Die sogenannte Dreifachkatastrophe in Nordostjapan jährt sich am 11. März 2021 zum zehnten Mal. In den Medien war zuletzt kaum mehr von „3/11“ die Rede – so bezeichnet man die Ereignisse nach dem Muster der amerikanischen zeitgeschichtlichen Zäsur „9/11“. Erdbeben und Tsunami bewirkten eine großflächige Verwüstung, bis heute bleiben aber die zerstörten Meiler des Atomkraftwerks, in denen es zu Kernschmelzen kam, eine Bedrohung für Umwelt und Mensch.

»Fukushima 50«

Ein in Japan sehr populärer Film über die Ereignisse von Fukushima erschien im Februar in deutscher Fassung auf dem Markt für digitale Unterhaltung – passend sozusagen zum Dezennium der Dreifachkatastrophe. In der englischen Version und auch in der japanischen Originalfassung trug das Drama von Regisseur Wakamatsu Setsurô (*1949) den Titel „Fukushima 50“ (Fukushima Fifty). Es zeigt, wie ein Einsatzteam das durch Erdbeben und Tsunami am 11. März 2011 beschädigte Atomkraftwerk Fukushima Daiichi mit seinen havarierten Meilern soweit stabilisierte, dass ein noch größerer nuklearer GAU, der eine radioaktive Verseuchung weiter Teile Japans bedeutet hätte, verhindert werden konnte. Ein Kommentar zum Film schreibt erstaunlich offen: „Er zeigt, wie schwierig atomare Anlagen im Notfall zu kontrollieren sind und dass Japan nur aus Zufall und aus bis heute ungeklärten Gründen eine Verstrahlung von 1/3 des Landes entkam.“ Intendiert ist der Streifen jedoch als Heldenepos, das dem Volk zur Erbauung den Samurai-Geist seiner Männer vor Augen führt. Die Geschichte von den „50“ Tapferen war vor zehn Jahren vielfach in der Presse erzählt worden, wie viele Arbeiter unter schwierigsten Bedingungen damals versuchten, die strombetriebenen Kühlsysteme des AKW wieder zum Laufen zu bringen, um einer Überhitzung der Anlage zuvorzukommen, ist allerdings nicht bekannt, ebenso wenig ihre Identität und ihr späteres Schicksal. Wakamatsus Werk aus dem Jahr 2020 bekräftigt noch einmal das Narrativ der Katastrophenbewältigung, wie man es offiziell in Japan verlautbart. Von Regierungsseite aus soll der Eindruck entstehen, die Situation im Nordosten sei völlig unter Kontrolle und mache beste Fortschritte.

Anspruch, Wirklichkeit, PR

Stellen, die die Lage in Nordostjapan kritisch prüfen, kommen indes zu anderen Ergebnissen.

Positiven Prognosen nach dauern die Entsorgungsarbeiten noch 30 bis 40 Jahre. Da Teile des Gebiets in Tôhoku für 300 Jahre und länger belastet sind, kann man sie nicht mehr bewohnen und für die Landwirtschaft nutzen. Greenpeace hält fest: „Es werden noch sehr viele Regierungen kommen und gehen, die radioaktiven Probleme aber bleiben.“ Aufgrund der Gesamtradioaktivität der freigesetzten Stoffe stuft man die Havarie auf Höchstlevel 7 ein, gemessen auf INES, der International Nuclear and Radiological Event Scale, die allerdings als Werkzeug für die Öffentlichkeitsarbeit und nicht als fachwissenschaftliche Bewertungs-Richtlinie für AKW-Schäden konzipiert worden war. „Fukushima“ gilt nach „Tschernobyl“ (1986) als zweiter atomarer GAU, d. h. als Technikkatastrophe von globalem Ausmaß. Es gehört im Kontext neuerer Regierungstechniken wie der Public Policy zu den Strategien von Regierungen, sogenannte focusing events per Risikokommunikation im Lande und international möglichst vorteilhaft darzustellen, etwa durch geschicktes Wording und PR. Im Fall „Fukushima“ ist es in der Tat gelungen, das für die Ökologie unseres Planeten gravierende Vorkommnis weitgehend aus dem Weltgedächtnis zu löschen. Im „Fukushima-Projekt“ der Japanologie entstehen nach wie vor Arbeiten, mit denen sich das Fach auf geisteswissenschaftlicher Basis bemüht, dem Vergessen entgegenzuwirken.

Lisette Gebhardt ist Professorin für Japanologie an der Goethe-Universität. Von ihr sind zahlreiche Publikationen zum Thema erschienen, u. a. »Nukleare Narrationen – Erkundungen der Endzeit fünf Jahre nach Fukushima: Rezensionen und Essays« (2016) und »Japanische Literatur nach Fukushima: Sieben Exkursionen« (2014).

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2021 (PDF) des UniReport erschienen.

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