„Was wurde aus dem Deutschlandstipendium?“, fragte der Spiegel-Autor Armin Himmelrath in seinem Artikel vom 22. Mai 2017 auf Spiegel Online (hier gehts zum Artikel »).
Als Reaktion auf diesen Artikel haben die Deutschlandstipendiaten sowie Universitätsverantwortliche und Präsidiumsmitglieder zwei offene Briefe an Armin Himmelrath verfasst, die wir hier veröffentlichen.[dt_gap height=“10″ /]
Offener Brief der Deutschlandstipendiaten
Sehr geehrter Herr Himmelrath,
vor kurzem haben wir, die Deutschlandstipendiatinnen und Deutschlandstipendiaten der Goethe‐ Universität Frankfurt am Main, Ihren Artikel vom 22.05.17 auf Spiegel‐Online gelesen, in welchem Sie das Deutschlandstipendium als gescheitert beschreiben. Diese Sichtweise können wir nicht im Geringsten nachvollziehen. Stattdessen sind wir davon überzeugt, dass es sich bei dem Deutschlandstipendium um ein erfolgreiches Modell der Begabtenförderung handelt, welches definitiv weitergeführt werden sollte. Wir stehen hinter dem Deutschlandstipendium, weil es einen spürbaren Mehrwert für die Studierenden, die Universitäten, die Förderer und somit für unsere gesamte Gesellschaft darstellt und auch für ein Mehr an Bildungsgerechtigkeit sorgt. Genau diesen Mehrwert möchten wir Ihnen im Folgenden darlegen.
Als Empfänger des Stipendiums können wir nur unterstreichen, wie sehr die Anerkennung unserer Leistungen dazu beigetragen hat, sich weiterhin sozial zu engagieren und in manchen Fällen sogar noch engagierter zu werden. Wobei als Leistung nicht nur Noten, sondern auch die Überwindung biographischer Hürden, die sich aus der familiären oder kulturellen Herkunft ergeben, und ehrenamtliches Engagement berücksichtigt werden.
Neben der Anerkennung, die das Stipendium mit sich bringt, bietet uns das Deutschlandstipendium vor allem eine finanzielle und ideelle Förderung.
Hierbei haben Sie richtig erkannt, dass mit dem Deutschlandstipendium – im Gegensatz zu den Stipendien der Begabtenförderwerke – nicht der gesamte Lebensunterhalt von Studierenden bestritten werden kann. Vielmehr ermöglicht uns die Unterstützung mit 300 € monatlich ein Stück mehr Freiheit, indem wir zum Beispiel den Nebenjob beenden, ein Auslandssemester machen oder an Studienreisen und Weiterbildungen teilnehmen können, die sonst nicht realisierbar gewesen wären. Oder wir können uns einfach Fachlektüre leisten, die vorher nicht erschwinglich war. BAföG‐Empfänger haben durch das Deutschlandstipendium keinen Nachteil, da beide Leistungen kombinierbar sind. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass die Chancen für den Erhalt des Stipendiums unabhängig von der sozialen Herkunft sind.
Ein mindestens genauso wichtiger Bestandteil des Deutschlandstipendiums ist die ideelle Förderung. Hier besteht für uns an der Goethe‐Universität die Möglichkeit, an Projektarbeiten teilzunehmen, eigene Projekte zu verwirklichen sowie Lectures selber zu gestalten und zu besuchen. Der Mehrwert, den wir hieraus gewinnen, ist enorm. Neben der Entwicklung von Soft Skills, Sammlung von Erfahrungen in der Projektarbeit, dem Networking und dem Knüpfen von Kontakten zu Unternehmen etc. wird uns hierbei vor allem der Blick über den Tellerrand unseres Studiums ermöglicht, der schon zu der einen oder anderen erfolgreichen Geschäftsidee geführt hat („siehe Retrobrain“). Ein besonderer Bestandteil der ideellen Förderung ist die Projektarbeit. Hierbei können Stipendiatinnen und Stipendiaten in Gruppen von 12 – 15 Mitgliedern ihre eigenen Ideen mit Unterstützung von zwei bis drei Mentorinnen oder Mentoren realisieren. Letztere bereichern vor allem durch ihr Wissen und ihre Erfahrungen die Projektgruppen und tragen wesentlich zur Realisierung bei. Die resultierenden Projekte kreieren nicht nur den bereits erwähnten positiven Effekt, sondern auch einen spürbaren Vorteil für die Universität und die Region in Sachen Umwelt, Soziales oder auch Kulturelles. Die Projekte reichen von sozialem Engagement bei der Flüchtlingshilfe (zum Beispiel „Studierende begleiten Flüchtlinge in der Kriegkstraße“ und „Studierende begleiten Flüchtlinge im Hotel Anna“), über Spendensammeln für Hilfsbedürftige und Studienberatungen für Schüler (zum Beispiel Uni:hautnah), bis hin zu Sportfesten (zum Beispiel „Goethe kickt“ oder „Goethe goes Olympia“).
Die Universitäten können aus dem Deutschlandstipendium ebenso einen echten Mehrwert schöpfen. So ergab die Begleitforschung zum Deutschlandstipendium, dass 32 % der Förderer durch das Deutschlandstipendium zum ersten Mal eine Kooperation mit der Universität eingegangen sind. Hinzu kommt, dass jede Universität durch den Gestaltungsfreiraum im Rahmen des Deutschlandstipendiums die Möglichkeit hat, sich zu profilieren und somit für Studierende attraktiver zu werden. Hier steht es den Universitäten zum Beispiel frei, inwieweit sie das Ideelle Förderprogramm ausweiten und somit einen noch stärkeren Anreiz für das Stipendium etablieren.
Auch für die Förderer stellt das Stipendium eine Bereicherung dar. Bei den privaten Einzelspendern ist es häufig der Gedanke, der Universität über den Weg eines Deutschlandstipendiums etwas zurückzugeben. Nicht selten kommt es vor, dass auch Alumni des Deutschlandstipendiums spenden, weil sie genau wissen, wie sehr ihnen das Stipendium geholfen hat. Durch das „Matching“ können Förderer zudem mit einer oder einem ihnen zugeordneten Stipendiatin oder Stipendiaten näher in Kontakt treten. Wer würde sich als Studentin oder Student nicht darüber freuen, jemanden zu finden, der einem aus eigener Erfahrung nützliche Tipps für den weiteren Lebens‐ und Berufsweg geben kann, zumal hieraus auch Praktika resultieren können, die einem bei der späteren Berufswahl helfen. Auf der anderen Seite freuen sich Förderinnen oder Förderer, wenn sie etwas von ihren eigenen Erfahrungen an den Nachwuchs weitergeben können und sie diesen durch die Unterstützung zu weiteren Spitzenleistungen motivieren können. Bei Unternehmen liegt die Bereicherung vor allem im Kennenlernen potenzieller Fachkräfte. Wo sonst gibt es schließlich die Möglichkeit, leistungsstarke Studierende so ungezwungen und persönlich kennenzulernen, wie es zum Beispiel bei uns an der Goethe‐Universität Frankfurt am Main bei der Vergabefeier der Stipendien der Fall ist.
Wie Sie sehen, stellt das Deutschlandstipendium somit einen Mehrwert für die Gesellschaft dar. Des Weiteren sind wir davon überzeugt, dass dieser um ein vielfaches größer ist, als der, welcher von einer Verlagerung der vom Bund für das Deutschlandstipendium bewilligten Fördermittel auf das BAföG zur Erhöhung des Förderbetrags resultieren würde.
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Die wichtigsten Gründe hierfür sind folgende:
- BAföG wird vollständig aus Steuergeldern finanziert, das Deutschlandstipendium wird hingegen zur Hälfte aus Zuwendungen von privaten Förderern und Unternehmen finanziert. Somit konnten bis Ende 2016 bereits 113 Millionen € von privaten Förderern und Unternehmen für die Begabtenförderung generiert werden. Eine Umschichtung der Steuergelder würde dementsprechend zum Wegfall immenser Summen im Bereich der Begabtenförderung führen.[dt_gap height=“10″ /]
- Im Jahr 2015 erhielten 401.000 Studierende BAföG. Rechnet man die Summe der damaligen Ausgaben von 47 Millionen € für das Deutschlandstipendium dagegen, würde dies den monatlichen Förderbetrag für jeden Empfänger gerade einmal um 3,26 € pro Monat bei einer dreijährigen Förderung erhöhen.[dt_gap height=“10″ /]
- Außerdem belegen die vergangenen Zahlen der Entwicklung des Deutschlandstipendiums, dass es sich um ein sehr erfolgreiches Modell handelt. So bekamen im ersten Jahrgang 5.375 Studierende deutschlandweit ein Deutschlandstipendium. Gerade einmal fünf Jahre später wurden bereits 25.528 Stipendien vergeben. Damit wurde innerhalb von fünf Jahren eine jährliche Förderquote erreicht, die fast so hoch ist, wie die aller Begabtenförderungswerke zusammen (28.889), welche zum Teil seit mehr als einem halben Jahrhundert bestehen.
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Das Deutschlandstipendium leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Stipendienkultur in Deutschland.
Wir sind daher dafür, dass in Zukunft noch mehr Studierenden der Zutritt zum Deutschlandstipendium ermöglicht werden sollte und die aktuelle Förderhöchstquote möglichst bald erreicht wird. Dahingehend gibt es auch von Seiten der Stipendiatinnen und Stipendiaten verschiedene Projekte, um das Fundraising für das Deutschlandstipendium weiter voranzutreiben. So beschäftigen sich die Mitglieder der Projektgruppe „Experience Fundraising“ zum Beispiel damit, bereits bestehende Kooperationen zu vertiefen, neue Förderer zu akquirieren und den Bekanntheitsgrad des Deutschlandstipendiums zu steigern.
Bevor wir Ihnen nun jedoch noch mehr schreiben: Kommen Sie doch einfach zum Sommerfest des Deutschlandstipendiums der Goethe‐Universität am 26.06. und machen Sie sich selbst ein Bild von unseren Projekten, den Förderinnen und Förderern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich den Stipendiatinnen und Stipendiaten. Sie sind herzlichst eingeladen, und wir für unseren Teil würden uns über Ihr Kommen und den Austausch mit Ihnen freuen.
Mit besten Grüßen
Die Deutschlandstipendiatinnen und Deutschlandstipendiaten der Goethe‐Universität Frankfurt am Main[dt_gap height=“15″ /]
[dt_gap height=“10″ /]Offener Brief von Universitätsverantwortlichen und Präsidiumsmitgliedern
Sehr geehrter Herr Himmelrath,
Sie haben ganz Recht, eine Evaluation des Deutschlandstipendiums ist maßgeblich für den weiteren Verlauf des Programms. Wir, die Initiatorinnen und UnterzeichnerInnen dieses offenen Briefes, handeln aus der Perspektive von Hochschulleitungen und Projektverantwortlichen an Hochschulen und Universitäten in unterschiedlichen Bundesländern und möchten Sie motivieren, den Erfolg des Programms nicht ausschließlich an „virtuellen“, politisch motivierten Zielgrößen aus der Vergangenheit zu messen. Die aus dem Einführungsprozess erwachsenen Negativmeldungen um die Etablierung des Programms prägen bis heute den öffentlichen Diskurs zum Deutschlandstipendium. Das möchten wir – gemeinsam mit Ihnen – ändern.
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Neun Gründe, warum das Deutschlandstipendium ein Erfolg ist:
- In nur fünf Jahren hat es das Deutschlandstipendium zu rund 25.500 Stipendiaten und Stipendiatinnen gebracht. Diese begabten jungen Menschen erfahren in Deutschland erstmalig von ihrer eigenen Hochschule eine Auszeichnung für ihre Leistungen. Sie ragen damit aus der Masse heraus, ihre Anerkennung wird vor Ort – lokal und öffentlich – ausgesprochen. Dies veranlasst die Hochschulen dazu, sich intensiver und in strukturierter Form mit den Leistungen ihrer Studierenden zu befassen. (Demgegenüber erhalten „nur“ 28.889 Studierende ein Stipendium von einem der 13 bundesweit tätigen Begabtenförderwerke, deren Auswahlverfahren fern der Hochschulen erfolgen und die bereits seit mehr als 50 Jahren existieren.)[dt_gap height=“10″ /]
- Stipendiaten des Deutschlandstipendiums zeigen sich nicht nur dem privaten Förderer gegenüber dankbar, sondern engagieren sich verstärkt für ihre Hochschule. Es entsteht eine deutlich persönlichere Bindung, als das in Deutschland jemals zuvor der Fall war.[dt_gap height=“10″ /]
- Der Verwaltungsaufwand zur Etablierung und Pflege des Deutschlandstipendiums an den Hochschulen ist hoch, aber die Einführung von geordneten Prozessen zum Stipendienwesen und Fundraising an deutschen Hochschulen war längst überfällig. Die 20 Prozent Verwaltungskosten dienen somit auch als Anschubfinanzierung für die Erreichung eines internationalen Standards im Bereich Bildungsfinanzierung.[dt_gap height=“10″ /]
- Durch den Public-Private-Partnership-Aspekt bringen rund 7.000 private Mittelgeber „neues“ Geld in die Bildungsfinanzierung Deutschlands ein und beschäftigen sich mit den Bildungsstrukturen vor Ort. Viele von Ihnen werden dadurch erstmals in das universitäre Leben eingebunden und darüber hinaus auch für die Unterstützung von weiteren Hochschulprojekten interessiert.[dt_gap height=“10″ /]
- Die soziodemografischen Merkmale und die soziale Herkunft der Deutschlandstipendiaten unterscheiden sich kaum von der allgemeinen Studierendenschaft. Demnach hat jeder Studierende eine reelle Chance auf ein Deutschlandstipendium, da an den verschiedenen Standorten auch zum Hochschulstandort passende Auswahlkriterien entwickelt wurden.[dt_gap height=“10″ /]
- Die Philanthropie und das Stiftungswesen haben in Deutschland eine lange und beständige Tradition. Das Deutschlandstipendium überträgt diese Tradition in die Moderne und fördert durch die Teilhabe von Privaten ein Gegengewicht zur staatlichen Steuerung. Das Deutschlandstipendium bietet somit auch die Chance, die hohe soziale Selektivität des deutschen Bildungssystems zu durchbrechen.[dt_gap height=“10″ /]
- Das Deutschlandstipendium wird nicht nur von Unternehmen getragen, sondern bietet zahlreichen Privatpersonen die Gelegenheit, gesellschaftliches Engagement vor Ort zu zeigen. In den teilnehmenden Hochschulen der Länder entstehen aktive Communities aus Unternehmen, Stiftungen, Vereinen, Privatleuten und Studierenden. Das fördert Partizipation, zivilgesellschaftliches Engagement und Verantwortungsbereitschaft, auch bei den Studierenden.[dt_gap height=“10″ /]
- In Bezug auf das anvisierte Ziel, eine nachhaltigen Stipendienkultur zu etablieren, zeigen sich bereits erste Ergebnisse: Ehemalige Stipendiaten werden selbst zu Förderern. Viele Förderer, vor allem auch Privatpersonen, engagieren sich mittel- bis langfristig.[dt_gap height=“10″ /]
- 300 Euro monatlich, und dies zusätzlich zum Bafög, ist für die Studierenden eine große Hilfe: Viele können dadurch ihre Nebentätigkeiten auf einen Job reduzieren und profitieren gleichzeitig vom direkten Kontakt zu Ihren Förderern. Daraus erstehen Einblicke in Unternehmen, Praktika, ja sogar Freundschaften und konkrete Hilfen für das Studium.
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Wir laden Sie, Herr Himmelrath, ein, die gelebte Realität des Deutschlandstipendiums näher kennenzulernen, an unsere Universitäten und Hochschulen zu kommen und mit den Menschen – seien es Förderer und Förderinnen, Universitätsverantwortliche oder Stipendiatinnen und Stipendiaten – persönlich zu sprechen.
Die Initiatorinnen des offenen Briefes
Janine Janus | Heinrich-Heine Universität Düsseldorf, Leitung Zentrale Universitätsförderung, Stellv. Leitung Kanzlerbüro & Geschäftsstelle Hochschulrat
Lucia Lentes | Goethe-Universität Frankfurt, Referentin Deutschlandstipendium, Private Hochschulförderung
Die UnterzeichnerInnen
Yvonne Ayoub | Universität zu Köln, Leitung Stabsstelle Universitätsförderung
Andreas Eckel | Goethe-Universität Frankfurt, Leiter Private Hochschulförderung
Dr. Beate Firla | Goethe-Universität Frankfurt, Referentin Deutschlandstipendium, Studien-Service-Center
Dr. Martin Goch | Kanzler der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Jürgen Gradl | Technische Universität München, Referent Deutschlandstipendium
Dr. Olaf Kaltenborn | Pressesprecher der Goethe-Universität, Leiter der Abteilung PR & Kommunikation
Dr. Laila Nissen, auch im Namen des Präsidiums der Hochschule, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, Leiterin Fundraising der HfMDK und Geschäftsführung der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main e.V.
Prof. Dr. Matthias Rehahn | Technische Universität Darmstadt, Vizepräsident für Wissens- und Technologietransfer, Alumni und Fundraising
Iris Rubinich | Philipps-Universität Marburg, Referentin Stabsstelle Fundraising und Alumni-Service
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz | Goethe-Universität Frankfurt, Vizepräsident für den Bereich „Third Mission“
Prof. Dr. Anja Steinbeck | Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Monika Stöckl | Technische Hochschule Mittelhessen, Referat Fundraising – Deutschlandstipendium
Mareile Vogler | Technische Universität Darmstadt, Leiterin Alumni und Universitätsförderung
Bianca Weides | Universität zu Köln, Koordinatorin Stipendienprogramm, Stabsstelle Universitätsförderung
Prof. Dr. Birgitta Wolff | Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt